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Sehnsucht nach der Idylle

Henri Rousseau, als Sohn eines Klempnermeisters 1844 geboren, hatte ein künstlerisches Talent, das zu seinen Lebzeiten sicher lange Zeit verkannt wurde. 100 Jahre nach seinem Tod zeigt die Fondation Beyeler in Basel rund 40 Meisterwerke dieses Pioniers der klassischen Moderne.

Von Christian Gampert |
    Picasso hatte den richtigen Riecher. 1908 kaufte er für fünf Francs bei einem Trödler auf dem Montmartre das riesige Bild eines unbekannten Malers, ein "Portrait de femme": Vor einer Balkonbrüstung und gerafftem Vorhang steht – starren Blicks - eine schwarz gekleidete wächserne Frau, umgeben von allegorisch gemeinten Pflanzen, hinten verschwimmt eine Berglandschaft.

    Leinwand war teuer, und der Händler meinte, Picasso wolle das Werk übermalen. Das tat der nicht; stattdessen lud er den Maler des Bildes, Henri Rousseau, zu einem legendär gewordenen Bankett ein. Anwesend waren außerdem Bracque, Apollinaire, Max Jacob, Gertrude Stein. Das Essen kam nicht, man aß zunächst Ölsardinen aus Büchsen und betrank sich schwer. Am Ende der alkoholseligen Veranstaltung soll Rousseau zu Picasso gesagt haben, sie beide seien die größten Künstler der Gegenwart, Picasso im ägyptischen, er, Rousseau, im modernen Stil.

    Ganz falsch war das nicht, kunsthistorisch korrekt natürlich auch nicht. Aber die Mischung aus Herablassung und Faszination, die einige von Picassos Freunden dem genialen Sonderling Rousseau entgegenbrachten, hat sich bis heute gehalten, wenngleich die Preise für die Bilder doch leicht gestiegen sind. Die von Philippe Büttner kuratierte Ausstellung in der Fondation Beyeler ist daher schwer bemüht, das Bild vom "naiven" Künstler Rousseau zu korrigieren: Er wusste, was er tat, so die Argumentation, er baute die Bilder von hinten auf und collagierte dann die widersprüchlichsten Einzel-Elemente hinein, völlig unbekümmert um Größenverhältnisse und Perspektive.

    Natürlich ist das modern, und sicher ist es das, was Picasso angezogen hat: dass da einer mangels akademischer Ausbildung ganz für sich das Primitive, Magische, Absurde, Surreale entdeckt und es in den bizarrsten, aber irgendwie heil, kindhaft gebliebenen Szenerien umsetzt. Anders gesagt: Auch frühe Bob Dylan hatte wahrscheinlich keine Ahnung von der Harmonielehre des Jazz und dem Kontrapunkt, und er sang nicht wirklich schön – aber so what, kommt es darauf an? Henri Rousseau hat von der Zentralperspektive womöglich nie etwas gehört, gottlob vielleicht, er hat sie einfach ignoriert, er schichtet Flächen voreinander, und doch haben viele seiner Bilder etwas Räumliches, und einen eigenen psychischen Raum haben sie sowieso.

    Entscheidend ist, dass der Zöllner Rousseau einen freundlichen Grenzverkehr zum Unbewussten pflegte, dass sich da jemand den Zugang zu seinen frühen Wünschen offengehalten hat – während drumrum die Industrialisierung galoppierte. Der Kinderblick scheint naiv, aber Kinder sind erkenntnistheoretisch weiter, als wir alle denken – in diesem Schweben zwischen Unverdorbenheit und Kalkulation entsteht das Neue. Das haben all die Künstler gewusst, die dann Werke von Rousseau kauften (Kandinsky, Delauney) und manchmal seine Ideen weiterspannen.

    Das Puppenhafte der Porträts, das Kasperltheatralische vieler Personenarrangements, das unwirklich von allem Unrat, allem Unwesentlichen gereinigte Paris, die bukolischen Szenen mit pointilistischem Blätterwald, die lakonisch ineinander geschnittenen Jahreszeiten – all das wird in der Ausstellung aufs Schönste belegt. Sie ist thematisch gegliedert – Porträts, Landschaften, Städte, Dschungelbilder – und aus den besten Museen bestückt. Höhepunkt sind natürlich die großformatigen, mit satten Farben und floralen Requisiten zugewucherten Dschungelbilder, Traumlandschaften mit freundlich gemilderter Aggression, die über den wilden Tieren rote Sonnen aufgehen lassen – die Kuratoren stellen dann schöne Bezüge her, etwa zu den "Joueurs de football", die in einem baumgesäumten leeren Feld einer Lederkugel nachjagen, die die Sonne ersetzt.

    Picasso besaß übrigens auch Rousseaus sehr buntes Friedens-Bild von den sechs französischen Präsidenten, die vom Zaren, dem deutschen Kaiser und anderen Ausländern besucht werden, unter anderem vom kleinformatig im Bild hängenden italienischen König. Kein Mensch kann sagen, ob das nun inbrünstiger Ernst ist oder pure Ironie. Wahrscheinlich beides.