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Sehnsucht nach Verbindung

François Létourneaus Stück "Cheech oder Die Männer von Chrysler sind in der Stadt" zeigt eine Welt in Auflösung und mit Sinnverlust. Das in Dresden in der Regie von Alexander Tull gezeigte Werk ist schrill und schnittig, aber nicht sonderlich originell.

Von Hartmut Krug |
    Das Leben: eine einzige Notlage. Die Situation: chaotisch verzweifelt. Die Reaktion: hektische Aktivität, in der sich die alltägliche Welt in grotesker Übertreibung aufzulösen scheint. Rons Hostessenservice ist gerade zu dem Zeitpunkt beraubt worden, als mit den Männern von Chrysler eine wichtige neue Kundengruppe in der Stadt erwartet wird. Das Präsentationsbooklet mit den Fotos der Mädchen ist geklaut worden - sicherlich von Cheech, dem größten Konkurrenten. Also müssen ganz schnell neue Fotos gemacht werden, jetzt aber upgegradet, also "in versaut".

    Doch die beiden Mädchen, die wir zu sehen bekommen, machen Schwierigkeiten. Es geht ihnen grundsätzlich schlecht. Weil sie wie alle Personen im Stück des frankokanadischen Autors François Létourneau Probleme mit ihrer Identität haben. Stephanie will einiges ändern, an sich: ihre Hände, ihre Beine, und ganz, ganz viele Dinge. Aber weinen sehen werde sie keiner, verspricht sie sich, während sich Jenny unentwegt einen neuen Namen ausdenkt, um endlich sie selbst zu sein. Nicht einfach für ihren Chef Ron, der seine Uhr nach einem englischen Lehrbuch gestellt hat, mit dem er in genau getimten Abständen gegen seine Depressionen anzusprechen sucht.

    Am Anfang liegt Stephanie blutend am Boden und wiederholt unentwegt "Mir geht es gar nicht gut". Iin der nächsten Szene versucht ein Mitarbeiter des Hostessenservice in einer Apotheke ein Antidepressivum zu bekommen und erschießt dabei in überdrehender Verzweiflung den Verkäufer. Und so geht es in einer schnellen Folge von short cuts immer weiter mit verwirrten Menschen und ihren Depressionen und Kommunikationsschwierigkeiten.

    Autor François Létourneau, ursprünglich Schauspieler, der in der Uraufführung seines zur Zeit in Amerika verfilmten Stückes selbst eine Hauptrolle gespielt hat, liefert einen Genre-Mix aus Gesellschaftskritik und -klischees, aus überdrehter Satire und TV-Comedy-Versatzstücken. Leider kommt uns vieles bekannt vor, was hier erzählt wird. Und auch, wie es erzählt wird.

    Dabei liefert der Autor seine Geschichten nicht chronologisch ab, sondern springt zwischen den Zeiten hin und her. Man sieht Situationen, deren Begründung und Beginn erst in späteren Szenen nachgeliefert werden. Aber anders als zum Beispiel in Roland Schimmelpfennigs "Die Frau von früher", in dem diese Methode ebenfalls benutzt wird, um überraschende Haltungs- und Situationserklärungen nachzuliefern, geht es bei Létourneau weniger um Klärung als darum, eine Welt in Auflösung und mit Sinnverlust zu zeigen. Der ständige Kampf um Antidepressiva steht für die verzweifelte Sehnsucht nach Verbindung und Kommunikation: viel wird geredet über die leere Synapse, den Raum zwischen zwei Neuronen, der durch die Medizin wieder gefüllt und verbunden werden soll.

    Natürlich bleiben alle Versuche vergeblich. So, wenn ein Mann das ganze Stück hindurch in seiner heimischen Sofa-Landschaft nur darum kämpft, angerufen zu werden. Zu erleben ist dabei die Komik einer tiefen Verzweiflung, wenn dieser Mann mit dem Telefon spricht, aber noch nicht einmal den muntereren Ansagespruch der Besitzer seines geliehenen Anrufbeantworters übertönen kann, um sich bemerkbar zu machen.

    Bühnenbildner Julian Nagel hat fünf kleine Scheiben in den Raum zwischen dem Publikum gehängt: fünf Wohnmodule als unterschiedliche Lebensmodule. Hier vermischen sich Alltagswelt und Pornowelt als zwei Seiten einer gleichen Medaille: Natürlich kennen sich die Figuren aus beiden Sphären, ohne es zu wissen, und natürlich entdeckt ein verklemmter Mann, der sich eine "Wundertüte" vom Hostessenservice bestellt hat, aber eine Frau geliefert bekommt, die einen Selbstmord versucht, in deren Kollegin später seine eigene Frau.

    Létourneaus Stück ist schrill und schnittig, aber nicht sonderlich originell. Regisseur Alexander Tull hat versucht, seine Schauspieler zu körperlich überdrehter Typisierung anzuhalten. Doch noch immer werden zu sehr Figuren gezeichnet statt einfach nur Typen und bekannte Zitate zu liefern. Vor allem aber fehlt der Inszenierung der heftige Rhythmus, der szenische overdrive, der Létourneaus letztlich braves Stück in die notwendige groteske Überzeichnung bringt. In der dramaturgisch intelligent konzipierten Neubau-Reihe des Staatsschauspiels Dresden, in der im Kleinen Haus ein jüngeres Publikum mit zeitgeist-kritischen Stücken gewonnen werden soll, hat es durchaus schon überzeugendere Stücke und Inszenierungen gegeben.