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Selbsthilfe bei Schmarotzern

Biologie. - Wenn wild lebende Tiere krank sind, können sie sich nur selbst helfen. Schimpansen beispielsweise verschlucken ganze Blätter einer speziellen Pflanze, wenn sie von Würmern befallen sind. Und Bären reiben ihr Fell mit einem Pflanzensud ein, um Parasiten fernzuhalten. US-Forscher haben beobachtet, dass auch Insekten sich selbst behandeln, indem sie giftige Pflanzen fressen.

Von Christine Westerhaus |
    Die Raupen des Bärenspinners Grammia incorrupta sehen schon aus der Ferne betrachtet nicht besonders genießbar aus. Lange stachelige schwarze Borsten ragen aus ihrem Panzer und orange-farbene Punkte signalisieren ihren Feinden: "Vorsicht, ich bin giftig". Dennoch werden die Bärenspinner-Raupen regelmäßig von so genannten Parasitoiden heimgesucht. Von Raupenfliegen beispielsweise, die ihre Eier auf ihnen ablegen. Die Larven dieser Schmarotzer bohren sich durch den Panzer der wehrhaften Raupen und beginnen, sie von innen aufzufressen. Erst wenn sie ihr Opfer komplett ausgehöhlt haben, verlassen die Parasiten ihren – inzwischen toten - Wirt. Doch manchen Raupen gelingt es, ihre todbringende Fracht mit Pflanzengiften unschädlich zu machen.

    "Es ist wie eine Art Chemotherapie. Wenn eine Raupe von Parasitoiden befallen ist, muss sie sehr drastische Maßnahmen ergreifen, sonst stirbt sie. Deshalb frisst sie Pflanzen, die starke Gifte enthalten um ihren Feind umzubringen","

    erklärt Michael Singer von der Wesleyan Universität in Middletown. Die Gifte, die die Raupen gegen ihre ungebetenen Gäste einsetzen, sind so genannte Pyrrolizidin-Alkaloide. Sie sind vor allem in Greiskräutern enthalten, die auf vielen Wiesen wachsen und manchmal auch bei Weidetieren zu Vergiftungen führen. In ihren Experimenten ließen die Forscher den Raupen die Wahl zwischen alkaloidhaltigen Pflanzen und ungiftiger Nahrung. Waren die Tiere von Schmarotzern befallen, fraßen sie mehr von den giftigen Pflanzen. Gesunde Raupen wählten dagegen lieber die ungiftigen Gewächse. Gleichzeitig beobachteten die Biologen, dass die befallenen Raupen eher überlebten, wenn sie Alkaloid-haltige Pflanzen fressen konnten. Singer:

    ""Wir glauben nicht, dass die Raupen wissen, dass sie von Schmarotzern befallen sind und deswegen diese Gifte fressen. Vermutlich ist es eher eine Art Rückkopplungssystem mit dem Immunsystem der Tiere. Es ist bekannt, dass die Zellen dieses Abwehrsystems auf Fremdkörper reagieren und dann versuchen, den Eindringling einzukapseln. Wenn das nicht funktioniert, scheint es einen Mechanismus zu geben, der die Empfindlichkeit der Geschmacksnerven ändert."

    Dass die Geschmacksnerven von Grammia incorrupta empfindlicher werden, wenn die Tiere von Parasiten befallen sind, haben Michael Singer und seine Kollegen bereits in früheren Studien festgestellt. Die Anwesenheit eines Schmarotzers bewirkt also, dass die Raupen plötzlich mehr Appetit auf Pyrrolizidin-Alkaloide bekommen. Die Bärenspinner selbst sind jedoch durch spezielle Enzyme vor dem Gift geschützt. Sie speichern die Pyrrolizidin-Alkaloide in ihrem Körper in einer ungiftigen Form. Erst im Verdauungssystem des Schmarotzers entfalten die Toxine ihre tödliche Wirkung. Doch trotz der speziellen Schutzenzyme ist die Eigentherapie für die Raupen nicht ungefährlich, wie die Forscher festgestellt haben:

    "Es besteht für die Raupen immer die Gefahr, dass sie sich selbst vergiften. Und das haben wir in unseren Studien auch beobachtet: Manchmal sind die Tiere gestorben, weil sie offensichtlich zu viel Gift gefressen hatten."

    Michael Singer vermutet, dass auch viele andere Insekten Pflanzengifte nutzen, um sich gegen Krankheitserreger und Schmarotzer zu wehren. Auch deshalb hält er es für wichtig, die biologische Vielfalt in einem Ökosystem zu erhalten.

    "Bisher wurde es nur intelligenten Tieren wie zum Beispiel Primaten zugetraut, dass sie sich selber therapieren können. Wenn wir aber genauer hinschauen, merken wir, dass diese Fähigkeit viel weiter verbreitet ist. Und dieses Wissen ist enorm wichtig, um das Zusammenspiel der Arten verstehen zu können. Wenn wir ein Ökosystem erhalten wollen, dürfen wir also nicht vergessen, dass viele Tiere auch auf pflanzliche Medizin angewiesen sind."