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''Seliges Angedenken''

Sie hat 16 Bücher geschrieben, gilt als eine der Galionsfiguren der sexuellen Befreiung in Amerika, als "weiblicher Henry Miller". Weltruhm und 12 1/2 Millionen verkaufte Exemplare brachte ihr der 1973 erschienene autobiographische Roman "Angst vorm Fliegen". Heute ist Erica Jong 55 Jahre alt und ihre Identitätssuche konzentriert sich weniger auf erotisches Gebiet als auf die Recherche ihres jüdischen Famillenerbes. Ihrer kürzlich erschienenen Autobiographie "Keine Angst vor Fünfzig" ließ die Schriftstellerin nun wieder einen Roman folgen: "'Seliges Angedenken" ist eine verschlungene Generat: Lonensaga, die vier Frauenschicksale über einen Zeitraum von 100 Jahren verfolgt und deren fundamentale Verknüpfung über die wechselnden Zeitläufte hinweg sichtbar macht. Im Mittelpunkt steht die junge Historikerin Sara, die die Geschichte ihrer Mutter, Großmutter und Urgroßmutter anhand von Tonbändern, Briefen und Tagebuchaufzeichnungen erforscht und vor dem Vergessen rettet. Erica Jong dazu: "Ich zitiere in meinem Buch einen Satz, der, glaube ich, aus dem Talmud stammt: 'Wirklich tot sind nur jene, an die sich niemand mehr erinnert,' und ich glaube tatsächlich, daß das Erzählen eine Art von Magie darstellt, andernfalls würde ich nicht schreiben. Erzählend erwecke ich die Toten zu neuem Leben, hole die Vergangenheit in die Gegenwart. In "Seliges Angedenken" nimmt jede einzelne der Frauen in irgendeiner Form Kontakt mit der folgenden Generation auf, doch erst die junge Sara ist in der Lage, all die verstreuten Materialien so zu sortieren, daß ein Grundmuster sichtbar wird. Alle diese Frauen glauben, daß es eine positive Sache ist, ihren Töchtern und Enkelinnen die Geschichte ihres persönlichen Kampfes um Verwirklichung mitzuteilen. Ich glaube, daß uns ein Schicksal eingepflanzt wird durch unsere Großeltern, unsere Eltern, und daß diese uns stark beeinflussen- Und bevor wir nicht verstehen, wie sie uns geformt haben, sind wir nicht wirklich frei."

Erdmute Klein |
    Es liegt Erica Jong in ihrem Roman viel daran, zu zeigen, wie sich bestimmte Verhaltensmuster innerhalb von Familien etablieren, beispielsweise, wie die Bindungsängste emanzipierter, starker Frauen sich in der Wahl schwächerer oder ungeeigneter männlicher Partner manifestieren, wie sie in ihrer Jugend aus- und aufbrechen in ferne Länder und an -irgendeinem Punkt ihres Lebens wieder heimkehren zur eigenen Mutter und sich fragen: Wer bin ich eigentlich, wo liegen meine Wurzeln? "Diese Art, sich zu erinnern und die Vorstellung, Träger oder Trägerin dieser Erinnerung zu sein, ist im jüdischen Glauben fest verankert", so Jong. "Indem wir unserer toten Eltern und Großeltern gedenken, holen wir sie ins Leben zurück. Indem wir Dinge befolgen, die sie uns rieten, geben wir ihrem Leben eine Zukunft. Oft habe ich mich gefragt, warum das jüdische Volk so viele Schriftsteller hervorgebracht hat, und ich glaube, es liegt an unserer Überzeugung, durch das Schreiben Zeugnis abzulegen, eine Art heiliger Akt. Auch dies ist Thema meines Buches."

    Ist aus der Rebellin Erica Jong mit den Jahren eine fromme Jüdin geworden? "Die meisten meiner Familienmitglieder sind Atheisten; sie gehen nicht in die Synagoge, sind keine praktizierenden Juden. Ich bin leidenschaftlich stolz darauf, zu diesem Stamm zu gehören. Vielleicht bin ich das einzige Mitglied meiner Familie, das an Gott glaubt. Mit dem Älterwerden wollte ich mehr über meine Herkunft erfahren, wollte den Antisemitismus verstehen, die Welt meiner Großeltern und die Gründe, warum sie Rußland verließen und nach Amerika kamen und wie es dort für sie war." Erica Jong studierte jüdische Geschichte, sammelte Sprichwörter und Lebensweisheiten, die sie auf fast jeder Seite in ihren Text einmontiert, auch dies Ausdruck ihres Wunsches, Zeugnis abzulegen, sich zu ihrer Herkunft zu bekennen: "Einige dieser Redensarten sind typisch jüdisch, und sie reflektieren diese spezifisch jüdische Weltsicht, die süß und sauer ist, ziemlich fatalistisch, humorvoll. Ich liebe sie, weil sie das Universum akzeptiert, obwohl es alles andere als perfekt ist, aber wir machen das Beste daraus: durch Lachen. Ich denke, diese Haltung ist außergewöhnlich. Natürlich ist sie aus Jahrhunderten der Unterdrückung des jüdischen Volkes erwachsen. Die Fähigkeit, auf diese Geschichte der Unterdrückung zu schauen und Witze darüber zu reißen, finde ich großartig. Manche bezeichnen diese doppelte Sicht auf das Universum, die positiv und humorvoll ist und gleichzeitig die tragischen Aspekte des Lebens sieht, als Diaspora-Humor."

    Seliges Angedenken thematisiert in Ansätzen und manchmal leider klischeehaft die Geschichte des Feminismus über einen Zeitraum von hundert Jahren, seine Verdienste, aber auch seine Niederlagen. Historikerin Sara findet im Jahr 2005 den Faden, der alle Charaktere miteinander verknüpft. Es ist ihre Stimme, die stellvertretend für frühere Generationen spricht. "Ich wollte sie in einer Art Collage zu Wort kommen lassen, weil ich denke, das Fragmentarische, das die Collage auszeichnet, ist typisch für unser 20. Jahrhundert. Wenn wir älter werden, stückeln wir die Geschichten unseres Lebens aneinander. Mich fasziniert es, in Archiven Fotografien und Dokumente aus Nachlässen auszugraben, und während der Recherche zu diesem Buch verbrachte ich viele Stunden im Institut für osteuropäische Geschichte in New York. Die Leute hinterließen dort ganze Familien-Fotoalben, Geburtsurkunden, Todesanzeigen, Zeitungsausschnitte und ähnliches. Und jede dieser Schachteln birgt eine Geschichte."