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Senioren müssen draußen bleiben

In manchen Vorlesungen der Frankfurter Universität stellen sie den Großteil der Studierenden - Seniorenstudenten. Die älteren Semester besuchen vor allem Veranstaltungen der Geistes- und Kulturwissenschaften, um im wohlverdienten Ruhestand die akademischen Weihen zu erhalten. Doch damit soll jetzt Schluss sein. Ab kommenden Semester will die Hochschulleitung die Seniorenstudenten vom regulären Lehrbetrieb ausschließen.

Von Mike Roth |
    Vergangenen Freitag im Hörsaal sieben der Frankfurter Universität. Die Literaturvorlesung über Tolstoi und sein Werk ist für die Seniorenstudenten in den ersten Bankreihen die letzte im Lehrprogramm. Die Hochschule will Rentner in Zukunft von regulären Veranstaltungen ausschließen. Der Grund: die Seniorenstudenten nähmen den jungen Studierenden die Plätze weg und behinderten damit einen effektiven Lehrbetrieb, meinen die Hochschulleitung und der AStA der Universität. Die 62jährige Marianne von Puttkammer will das so nicht stehen lassen.

    "Also das kann ich nicht bestätigen, dass das so ist. Ich hab zum Beispiel im letzten Semester an einem Seminar teil genommen, da waren die Senioren sehr erwünscht, eben als Zeitzeugen, um mit den jungen Studenten diskutieren zu können. Und da sind die Studenten eben traurig, dass die älteren Leute ausgeschlossen werden sollen."

    An der Frankfurter Universität studieren pro Jahr 5000 Seniorenstudenten. So viel wie an keiner anderen Hochschule in Deutschland. In manchen Veranstaltungen der Geistes- und Kulturwissenschaften machen die Senioren fast 80 Prozent der Besucher aus. Für die normalen Studierenden ist da im Hörsaal oft kein Platz mehr, meint AStA-Vorsitzender Abel Schumann:
    "Es gibt leider einzelne Seminare, da muss man schon sagen, dass die Seniorenstudierenden die regulären Studierenden beeinträchtigen. Da kommt es dann teilweise zu so Szenen wie auf Mallorca am Strand, dass unsere älteren Mitstudierenden eine halbe Stunde vor Vorlesungsbeginn die Plätze reservieren und die normalen Studierenden dann auf dem Boden sitzen. Das ist natürlich nicht das, was wir uns wünschen. "

    AStA-Vorsitzender Schumann will die Senioren keineswegs aus der Hochschule vertreiben. Aber angesichts der leeren Kassen verstehe er, dass die Hochschule Prioritäten setzen müsse. Die Schuld der Misere liege letztendlich beim Land, weil das nicht genug Geld für ausreichende Lehrveranstaltungen zur Verfügung stelle. Die Klage des Studierendenvertreters ist Musik in den Ohren der Hochschulleitung. Uni-Vize-Präsident Andreas Gold meint, das Hörsaalverbot für Senioren sei ein notwendiger Schritt, um die Studienbedingungen zu verbessern.

    "Es geht um die Qualität der Studienbedingungen, es geht um überfüllte Hörsäle und Seminarräume und es geht darum, dass Studierende, und das sind dann eben nicht unbedingt die Senioren, auf den Stufen sitzen oder im Seminarraum keinen Platz mehr finden. Das verträgt sich nicht mit exzellenten Studienbedingungen. "

    Das Lehrangebot für Senioren wird damit um etwa zwei Drittel reduziert. Konnten Senioren in der Vergangenheit noch zwischen 300 Veranstaltungen wählen, sind es in Zukunft nur noch 100. Was den Senioren bleibt, sind die Veranstaltungen der so genannten Universität des dritten Lebensalters. Professoren aller Fachbereiche veranstalten hier gegen eine Gebühr von 80 Euro pro Semester eigens für die Senioren konzipierte Seminare und Vorlesungen. Diese Isolierung der Älteren habe für die Universität jedoch weitreichende Folgen, meint Günther Böhme, der Vorsitzende der Universität des dritten Lebensalters:

    "Die Universität verliert den Zugang zur Öffentlichkeit und den Kontakt mit der Öffentlichkeit. Und die Universität, die auch eine wichtige Institution der Gesellschaft sein soll kann sich nicht außerhalb dieser Gesellschaft selbst stellen und gleichsam auf einer Insel der Seeligen nur der Wissenschaft dienen. Und diese Verbindung in die Gesellschaft hinein wird durch nichts anderes so intensiv und so prägnant bewirkt, als durch dieses Studium der Älteren."
    Die Seniorenstudentin Marianne von Puttkammer hat derweil im Hörsaal sieben der Frankfurter Universität ihre Sachen gepackt. Ob sie im kommenden Semester wieder kommt, weiß sie noch nicht. Für die Seniorenveranstaltungen muss sie 80 Euro zahlen. Will sie auch andere Veranstaltungen besuchen, zahlt sie als Gasthörer 100 Euro pro Seminar. Jedes weitere schlägt mit 50 Euro zu Buche. Die Alternative wäre: sie schreibt sich als reguläre Studentin für ein Erststudium ein. Für die Rentnerin bleibt das jedoch eine Utopie.

    "Das Erststudium, dass ist einfach zu teuer. Das kostet ja mindestens 500 Euro, ich glaube das folgende Semester 700 und das danach folgende 900 Euro. Und das ist für einen Rentner einfach zu viel. "