Donnerstag, 18. April 2024

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Sensburg (CDU) zum neuen BND-Gesetz
"Ein guter Tag für die Demokratie"

Es sei gut, dass das Parlament klare Regeln festgelegt habe, was Nachrichtendienste dürften und wie die Kontrolle zu erfolgen habe, sagte der CDU-Politiker Patrick Sensburg im DLF. Die Bundesrepublik sei das einzige Land, das ein solches Gesetz habe. Andere Staaten könnten sich dies zum Vorbild nehmen.

Patrick Sensburg im Gespräch mit Stephanie Rohde | 22.10.2016
    Sensburg verteidigte auch die Änderung, dass der Bundesnachrichtendienst die Daten an deutschen Knotenpunkten des Internets künftig vollständig erfassen darf. Dass bisher nur 20 Prozent der Kapazität genutzt werden konnten, sei ineffektiv gewesen, "weil man gar nicht feststellen konnte, was ist denn die Kapazität", welche Kommunikation habe man "tatsächlich auf einer Leitung", sagte der CDU-Abgeordnete im DLF. Die Beschränkung habe keinen Sinn gehabt und sei daher rausgenommen worden.
    Das Neue an dem Gesetz sei, dass erst nach Anordnung durch den BND-Präsidenten und die Bestätigung des Kanzleramts eine "bestimmte Kommunikation abgegriffen" werde, weil sie von Interesse sei. Dabei gehe es beispielsweise um Terrorismus oder organisisierte Kriminalität. Wenn sich hinterher herausstelle, dass der Abgriff falsch gewesen sei, liege die politische Verantwortung dafür ganz klar beim Kanzleramt.
    Umfassende Überwachung des BND durch Kontrollmechanismen
    Zudem sei in dem neuen Gesetz die parlamentarische Kontrolle etwa durch die Einsetzung eines ständigen Bevollmächtigen gestärkt worden, betonte Sensburg. Dieser könne auf Augenhöhe mit dem BND und Verfassungsschutz agieren und unterstütze das Parlament. Daneben gebe es eine unabhängige Kontrolle durch das Gremium von zwei Richtern und einem Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof. Diese durchleuchteten beispielsweise auch die Suchbegriffe, die sogenannten Selektoren. "Wir schaffen unterschiedliche Kontrollmechanismen, um BND und Verfassungsschutz besser zu kontrollieren, zu überwachen."
    In den vergangenen Wochen sei angesichts des islamistischen Terrors und der Reichsbürger deutlich geworden, wie wichtig eine gute Arbeit der Nachrichtendienste sei, erklärte Sensburg weiter. Der Bundesnachrichtendienst sammle Informationen nur in den Aufgabenbereichen, über die man Aufklärung brauche - etwa Terrorismus, organisisierte Kriminalität oder Waffenhandel. Geheimdienste machten dagegen auch anderes. Sie führten etwa verdeckte Operationen durch. "Das halte ich für falsch." Und deshalb habe man in Deutschland auch keine Geheimdienste.

    Das Interview in voller Länge:
    Stephanie Rohde: Der amerikanische Geheimdienst NSA hat seit gestern einen Zwilling, den deutschen Auslandsgeheimdienst BND. Das behauptet zumindest die Opposition: Mit der Verabschiedung des BND-Gesetzes könne der Geheimdienst genauso anlasslos massenhaft Kommunikation überwachen wie die NSA, der ehemals große Bruder, so die Befürchtung der Opposition. Die Regierung hält das für Unsinn und lobt die neue Rechtssicherheit für den BND. Legalisiert das Gesetz verfassungswidrige Überwachung und bleibt der BND wirklich nur der kleine Bruder der NSA?
    Nach den Enthüllungen über seine umstrittene Zusammenarbeit mit dem US-Geheimdienst NSA gelten für den Bundesnachrichtendienst künftig präzisere Regeln für das Ausspähen von Zielen im Ausland. Das Gesetz hat der Bundestag gestern beschlossen, außerdem wurde die parlamentarische Geheimdienstkontrolle reformiert.
    (Bericht)
    Und mitgehört hat der CDU-Politiker Patrick Sensburg, er ist Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses. Guten Morgen!
    Patrick Sensburg: Schönen guten Morgen, ich grüße Sie!
    Rohde: Konstantin von Notz von den Grünen hat gestern gesagt, das war ein schlechter Tag für die Demokratie. Sollte man ergänzen: Aber ein ziemlich guter Tag für den BND?
    Sensburg: Nein. Ich glaube, es war ein guter Tag für die Demokratie, ich glaube, es ist gut, wenn ein Parlament klare Regeln festsetzt, was Nachrichtendienste können, was sie dürfen und wie die Kontrolle von Nachrichtendiensten zu erfolgen hat. Bisher war das im Gesetz nicht ausreichend klar geregelt und jetzt haben wir eine klare gesetzliche Grundlage geschaffen.
    Rohde: Das sehen ja viele anders, es gibt ja massive Kritik an diesem BND-Gesetz. Ich zähle mal auf: Drei Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, die OSZE, namhafte Juristen, Wirtschaftsvertreter, Journalistenverbände, Menschenrechtsorganisationen, die Opposition im Bundestag, sie alle sind besorgt über diese Massenüberwachung. Leiden die alle an Verfolgungswahn?
    Sensburg: Also, es ist gut, wenn sich viele zu einem Gesetz äußern, insbesondere auf der internationalen Ebene. Nur muss man sagen, Deutschland ist das einzige Land, der einzige Staat, der so ein Gesetz hat, der seine Nachrichtendienste klar kontrolliert, der im Gesetz festlegt, was Nachrichtendienste dürfen, der ihnen klare Regeln auferlegt. Und ich glaube, wenn man so etwas Einzigartiges hat – weil, ich kenne kein anderes Land auf der Welt, was so klare Regeln hat –, dann sollte man es nicht nur kritisieren, dann sollte man sagen, vielleicht sollten die Länder, die jetzt etwas skeptisch gucken, überlegen, ob sie so einen Reformprozess auch machen.
    Rohde: Na ja, das sehen andere anders. Also, es gibt ja durchaus auch Stimmen, die sagen, dass es in vielen Ländern besser geregelt ist und dass Deutschland da relativ weit hinterher ist. Lassen Sie uns …
    Sensburg: Also, dann nennen Sie mir die Länder, dann nennen Sie mir das Land! Ich kenne keins.
    Rohde: Lassen Sie uns kurz schauen auf … Die Franzosen zum Beispiel. Aber …
    Sensburg: Die Franzosen haben die intensivste nachrichtendienstliche Tätigkeit in den letzten Jahren geschaffen. Die haben in ihren Nachrichtendienstreformen viel mehr Eingriffsmöglichkeiten nach den Terroranschlägen geschaffen. Also, die französischen Nachrichtendienste haben mehr Kompetenzen und weniger Kontrollmöglichkeiten.
    "Wir sagen, Kontrolle ist besser"
    Rohde: Lassen Sie uns kurz schauen, Sie haben gesagt, es gibt jetzt bessere Regeln, die Kontrolle wurde ausgeweitet. Ich möchte kurz reden über die Kapazitätsgrenzen für die abgehörten Leitungen. Das war früher so, dass der BND nur 20 Prozent des Internetverkehrs abhören durfte, also der zur Verfügung stehenden Übertragungskapazität, so heißt das. Der Verband der Internetwirtschaft kritisiert jetzt, dass diese Beschränkung in dem neuen Gesetz einfach nicht mehr auftaucht. Damit werde, sagt der Verband, grünes Licht gegeben für eine Komplettüberwachung des Internets, weil jetzt eben 100 Prozent des Internetverkehrs abgefangen werden können. Ist das Ihre Vorstellung, wie man den BND kontrolliert und reguliert?
    Sensburg: Es geht zum einen jetzt hier um die Inland-Ausland-Daten, die waren bisher mit einer 20-Prozent-Grenze – und Sie haben es völlig richtig gesagt – der gesamten Kapazität belegt. Das war bisher absolut ineffektiv, weil man gar nicht feststellen konnte, was ist denn die Kapazität. Rechnen wir erst mal alle anderen Inhalte heraus, bis wir zum Schluss zu Kommunikation kommen, oder bleiben alle Inhalte drin? Wie viel Kommunikation haben wir tatsächlich auf einer Leitung? Also, dieses 20-Prozent-Kriterium war sowohl von der Internetwirtschaft als auch von allen Experten bisher als ineffektiv und nicht messbar charakterisiert worden und deswegen ist es rausgenommen. Im Gegenzug …
    Rohde: Und dann ist es sinnvoll zu sagen, man macht jetzt einfach 100 Prozent und lässt es offen?
    Sensburg: Ja, es werden ja nicht 100 Prozent abgegriffen, sondern es werden – und das ist ja das Neue an diesem Gesetz –, es werden nach Anordnung durch den Präsidenten des BND und Bestätigung durch das Kanzleramt bestimmte Kommunikationen abgegriffen, weil sie interessant ist zum Beispiel vor dem Hintergrund Terrorismus, organisierte Kriminalität, so wie es vorher eben gesagt worden ist.
    Rohde: Aber man muss ja trotzdem sagen, es ist jetzt offengelassen. Also, potenziell können 100 Prozent der Kommunikation abgegriffen werden?
    Sensburg: Ja, potenziell kann an einem Kabel, wenn Sie gar nicht wissen, wie viel Masse durchfließt, immer viel abgegriffen werden. Aber Sie müssen es jetzt durch eine konkrete Anordnung machen und Sie müssen es vom Kanzleramt bestätigen lassen. Und wenn sich hinterher herausstellt, es war falsch, ist die politische Verantwortung beim Kanzleramt, wenn es der BND macht, damit auch klar.
    Rohde: Das heißt, die Verantwortung hier ist klarer geregelt, trotzdem die Möglichkeit, dass man darauf zugreift, auf 100 Prozent. Sind Sie nach der NSA-Affäre zu dem Schluss gekommen …
    Sensburg: Ja, dann müssten wir jetzt einmal diskutieren … Ja, Moment, jetzt müssten wir einmal diskutieren, was denn die 100 Prozent in einem Kabel sind. Wenn Sie wissen, dass ein Großteil der Kommunikation, die durch ein Kabel fließt, im Grunde nur ein kleiner Teil ist, weil der Rest – das wissen Sie – Werbung, pornografische Inhalte et cetera sind, dann bringt es natürlich nichts, wenn Sie 100 Prozent rechnen, weil die Kommunikation vielleicht im Grunde nur fünf, sieben, acht oder neun Prozent ausmacht. Also, wenn man weiß, was durch ein Internetkabel fließt, dann weiß man, die Kommunikation ist eben nur ein kleiner Teil. Und deswegen hat die 100-Prozent- beziehungsweise 20-Prozent-Regel nie einen großen Sinn gemacht. Deswegen ist sie aus dem Gesetz rausgenommen worden.
    Rohde: Ich würde gerne noch sprechen über das neue Gremium, was jetzt entschieden wurde. Für die Kontrolle der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung soll jetzt in dieser BND-Reform ein sogenanntes unabhängiges Gremium aus Richtern und Bundesanwälten zuständig sein. Die werden von der Bundesregierung berufen. Sind Sie jetzt nach der NSA-Affäre zu dem Schluss gekommen, dass Vertrauen in die Regierung und Vertrauen in den BND doch besser ist als wirkliche Kontrolle?
    Sensburg: Nein, wir sagen, Kontrolle ist besser. Deswegen haben wir auf der einen Seite bei der parlamentarischen Kontrolle die Möglichkeiten durch einen ständigen Bevollmächtigten erweitert zu kontrollieren, der auf Augenhöhe mit BND und Verfassungsschutz agieren kann und das Parlament unterstützt. Wir werden das Personal des Parlamentarischen Kontrollgremiums ausbauen, erweitern, und wir haben eine unabhängige Kontrolle durch das gerade von Ihnen erwähnte sogenannte unabhängige Gremium von zwei Richtern und einem Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof, die zusätzlich Anordnungen kontrollieren, insbesondere die Suchbegriffe, die sogenannten Selektoren. Und da haben wir gute Erfahrung mit unserem beauftragten Richter gehabt, mit Herrn Graulich, der sich die Selektoren angeschaut hat. Also, wir schaffen unterschiedliche Kontrollmechanismen, um BND und Verfassungsschutz besser zu kontrollieren, zu überwachen.
    "Die parlamentarische Kontrolle wird ja gestärkt"
    Rohde: Und genau das ist auch ein Problem. Ehemalige BND-Chefs sagen, dass diese neuen, zusätzlichen Instanzen eigentlich nur mehr Verwirrung schaffen. Also, dass das unabhängige Gremium im Zweifel auch die parlamentarische Kontrolle schwächt, und das unabhängige Gremium wird ja bestimmt von der Bundesregierung. Insofern schwächt man dann die unabhängige Kontrolle durch die Opposition.
    Sensburg: Nein, die parlamentarische Kontrolle wird ja gestärkt. Sie wird ja gestärkt, indem wir das parlamentarische Kontrollgremium ausbauen durch einen ständigen Bevollmächtigten, durch mehr Personal, so eine intensivere Kontrolle dort ermöglichen. Gleichzeitig, parallel haben wir durch die unabhängige Kontrolle, durch dieses Richtergremium ja nicht mal, wo eben auch ein Staatsanwalt, ein Bundesanwalt drin sitzt, eine zusätzliche Instanz unabhängiger Kontrolle geschaffen, weil wir natürlich sehen müssen, dass die parlamentarische Kontrolle einerseits auch wieder dann gestärkt wird, wenn wir eine, ich sage mal, exekutive Kontrolle – obwohl sie natürlich hier bei einem Gericht angesiedelt ist –, aber eben hineinschauen können in die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes, jeden Tag, völlig unabhängig. Und ich glaube, Richter sind in Deutschland unabhängig, auch wenn sie einmal ernannt worden sind. Das haben wir ja bei Bundesrichtern, Verfassungsgericht, BGH, auch, dass sie einmal ernannt werden, aber dann unabhängig arbeiten. Also, ich halte das für ein Plus, ein Mehr und nicht ein Weniger.
    Rohde: Ich würde gern noch über die Verfassungswidrigkeit, die mögliche, dieses Gesetzes sprechen. Die ehemalige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat gesagt, die Bundesregierung legitimiert mit ihrem Gesetz die illegal praktizierten Überwachungen des BND. Was macht Sie eigentlich so sicher, dass das Bundesverfassungsgericht diese Regelung nicht beanstandet?
    Sensburg: Also, wir haben natürlich gut überlegt, was wir in ein Gesetz hineinschreiben können. Wir haben geschaut, dass wir unsere Nachrichtendienste brauchen. Ich glaube, in den letzten Wochen ist deutlich geworden, dass eine gute Arbeit der Nachrichtendienste für die Sicherheit unseres Landes wichtig ist, das ist nicht nur im Bereich islamistischer Terrorismus. Wenn Sie sich jetzt die Diskussion um die Reichsbürger anschauen, dann wollen wir schon wissen, was diese Gruppierung macht, wie gefährlich sie ist. Und dafür brauchen wir unsere Nachrichtendienste. Sie brauchen aber klare Regeln. Und deswegen haben wir die klaren Regeln, in denen sie arbeiten dürfen, und nur da, im Gesetz aufgezeigt. Und ich glaube, es kann nicht verfassungswidrig sein, wenn wir unseren Diensten einen klaren gesetzlichen Rahmen auferlegen und sie nur in diesem Rahmen arbeiten dürfen.
    Rohde: Also, Sie gehen davon aus, dass das Bundesverfassungsgericht das auch in Ordnung findet?
    Sensburg: Davon gehe ich aus.
    Rohde: Die Linke sagt ja, dass der BND jetzt der Zwilling geworden ist von der NSA, nicht mehr nur der kleine Bruder. Was würden Sie sagen, in welchem Verwandtschaftsverhältnis steht der BND jetzt zur NSA seit gestern?
    Sensburg: Wir haben bei den Diensten ganz unterschiedliche Ansätze. Der Bundesnachrichtendienst, wie der Name schon sagt, ist ein Nachrichtendienst. Er sammelt Informationen, und zwar nur über die Aufgabenbereiche, die er auch wirklich sich anschauen soll. Und das haben Sie in Ihrem Vorspann ja gut gesagt, Terrorismus, organisierte Kriminalität, Waffenhandel. Das wollen wir. Wir möchten in diesen Feldern Aufklärung haben und Erkenntnisse gewinnen. Geheimdienste machen etwas ganz anderes, die machen auch verdeckte Operationen. Das halte ich für falsch, das halten wir in der Bundesrepublik Deutschland für falsch und deswegen haben wir keine Geheimdienste. Ich glaube, das ist ein großer Unterschied. Und ich glaube, wenn man das sich anschaut, dann wird man erkennen, dass wir in der aktuellen Situation die gute Arbeit der Nachrichtendienste brauchen.
    Rohde: Sagt Patrick Sensburg, CDU-Politiker. Er ist Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses, vielen Dank für das Gespräch!
    Sensburg: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.