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Serie: "I'm Dying Up Here"
Retro-Charme und knallhartes Business

Die großen Pay- und Streaming-Anbieter haben das Comedy-Genre für sich entdeckt. Die neue Sky-Serie "I'm Dying Up Here" porträtiert die amerikanische Stand-up-Comedy-Szene in den 70er-Jahren in Hollywood - und zeigt deren lustige wie auch tief tragische Seite.

Von Julian Ignatowitsch | 22.08.2017
    David Nevins, Melissa Leo, Jim Carrey und Ari Graynor bei der Premiere von I'm dying up here.
    David Nevins, Melissa Leo, Jim Carrey und Ari Graynor bei der Premiere von I'm dying up here. (imago )
    Humor bis an die Grenze des guten Geschmacks…
    "That's how Italians like to do it, they follow their violence with a little something to eat, right?"
    …und manchmal auch darüber hinaus.
    "Lasagne, turkey for Thanksgiving, really? And then the next second I am in the frontseat, blowing him, wondering what our kids will look like."
    Italienische Mafiosi, Blowjobs, tödliche Autounfälle - manchem bleibt das Lachen im Hals stecken.
    "My parents died in a car crash when I was ten…" - "Oh no, that shit again!"
    Schmerz in etwas Wunderschönes verwandeln
    Stand-up-Comedy - die Kunst der Selbstinszenierung, der Selbstoffenbarung. Sich zum Clown machen, sich ganz entblößen…
    "Show your tits!"
    …und wer Glück hat, geht am Ende unbeschadet, mit ein wenig Applaus von der Bühne - wer Glück hat.
    "You were an amazing audience!"
    Eine Show über verzweifelte Menschen, die ihren Schmerz in etwas Wunderschönes verwandeln, so beschreibt Produzent Jim Carrey die Serie "I'm Dying Up Here", die die Stand-up-Comedy-Szene in den 70er Jahren in Hollywood porträtiert. Auf Deutsch: "Ich sterbe hier oben". Und tatsächlich: Opfer, bis hin zum Tod, findet man hier überall.
    Retro-Charme und knallhartes Business
    Der Zuschauer wird zum Mittäter. Gerade noch haben wir laut gelacht, dann sehen wir den Vorhang fallen und die traurige Realität dahinter. Kein Witz, alles Wirklichkeit. Man möchte heulen.
    "You think you can choke your way out of everything. Pain, heartache, life - go ahead and then what? It's all still there, waiting for you, waiting to be dealt with. You are children with your eyes closed, thinking nobody can see you."
    Diese Ambivalenz, das plötzliche Kippen von kindlichem Spaß zu tödlichem Ernst, macht "I'm Dying Up Here" zu einer der besten Dramedy-Serien der letzten Jahre. Dazu kommt der schicke Retro-Charme von milchigen Sonnenaufgängen am Sunset Boulevard und knalliger Hippie-Attitüde zwischen Sex, Drugs und Rock'n'Roll.
    So muss es gewesen sein, als viele junge Comedians in kleinen Clubs wie Mitzi Shores "Comedy Store" aufgetreten sind und von der großen Bühne, nämlich Johnny Carsons "Tonight Show", geträumt haben.
    Comedy - das zeigt die Serie, die auf der gleichnamigen Buchvorlage von William Knoedelseder beruht - ist eben in erster Linie Business, ein Geschäft!
    Dave Chapelle und Dieter Nuhr
    Damals wie heute, auch im Programm von Pay- und Streaming-Anbietern. Netflix hat mittlerweile eine große Auswahl an Lachern. Und das nicht nur im Serienformat, wie zum Beispiel bei Louis CK, sondern auch als klassisches Bühnenprogramm: Aziz Ansari, Dave Chappelle oder Trevor Noah heißen die bekanntesten Namen aus Amerika und sind Netflix zweistellige Millionensummen Wert; Serdar Somuncu, Johann König oder Dieter Nuhr dürften dem deutschen Zuschauer eher ein Begriff - und auch günstiger - sein.
    Nuhr war der erste Deutsche, der mit Netflix im vergangenen Jahr den Schritt aufs internationale Parkett machen konnte. Er sagt:
    "Dann kam diese Anfrage von Netflix und ich habe zehn Sekunden gebraucht, um zu sagen: Das machen wir! Dort läuft es erst mal mit Untertiteln."
    Das Programm verändert sich
    Sky bringt im Herbst den "Quatsch Comedy Club" zurück ins Fernsehen, Netflix gibt David Letterman eine neue Late-Night-Comedy-Show. Das klassische Fernsehen mit Hits wie der "Heute Show" oder "Jimmy Fallon" hat mächtig Konkurrenz. Und: Der Humor globalisiert sich.
    Dieter Nuhr sagt: "Dann fängt man an, den Amerikanern zu erklären, wie das bei uns geht. Das heißt, die ersten zehn Minuten des Programms beschäftigen sich mit der Frage, wie geht das in Amerika? Wo man aufpassen muss, wenn sich jemand auf den Schenkel klopft und er kriegt eine Thrombose und stirbt daran, dass ich dann nicht 10 Millionen Dollar überweisen muss."
    Auch die Art, wie und über was in Zukunft gelacht wird, verändert sich mit On-Demand, meint Nuhr:
    "Das heißt, ich muss mein Programm auch anders zusammenstellen. Es muss mehr Allgemeingültigkeit haben, es darf nicht tagesaktuell sein."
    Insofern dürfte das lineare Programm in Sachen Comedy seine Berechtigung behalten, auch wenn es mit der Auswahl der Streaming-Plattformen nicht mithalten kann. Hier wie dort: Humor ist und bleibt Geschmackssache.
    "Maybe the babies are coming from the fucking … do you think it's from the fucking?"