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Sexismus-Debatte #MeToo
Nicht der letzte Aufschrei

Erst waren es die Enthüllungen von Harvey Weinsteins sexuellen Belästigungen, nun berichten Frauen weltweit unter dem Hashtag #MeToo über ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung haben. Damit es nicht nur beim Aufschrei bleibt, müsse die Gesellschaft das Verhältnis von Sex und Macht genau unter die Lupe nehmen, kommentiert Catherine Newmark.

Von Catherine Newmark |
    Mit einem Skandal in Hollywood hat es angefangen - jetzt diskutiert auch Deutschland wieder über Sexismus. #MeToo - Ich auch - heißt das Hashtag, unter dem Frauen ihre Erfahrungen damit teilen.
    Das Schweigen, das mit dem Fall Weinstein gebrochen wurde, setzt nun eine Flut von Bekenntnissen frei. (Symbolfoto) (dpa / Britta Pedersen)
    Es geht schon längst nicht mehr nur um mächtige Männer wie Harvey Weinstein und ihren Machtmissbrauch. Unter dem Hashtag "#MeToo" berichten jetzt Frauen aus aller Welt von ihren Erfahrungen mit sexueller Gewalt und Belästigung. Im Alltag, in ganz normalen Arbeitssituationen oder Begegnungen, mit ganz normalen Männern. Die beinahe schockierendste Entdeckung im Fall Weinstein, dass es nämlich auch ein jahrelanges Schweigekartell brauchte, das seine Übergriffe gedeckt hat, scheint jetzt Auslöser für eine Flut von Bekenntnissen, für ein geradezu kathartisches Reden, das dem Schweigen entgegengesetzt wird.
    Vier Jahre nach dem letzten "Aufschrei" in Deutschland, ist die Frage erlaubt, was solche Debatten bringen. Die Hoffnung ist natürlich, dass der kollektive Bruch des schambehafteten Schweigens, Frauen jetzt und in Zukunft ermutigt, sich zu wehren.
    Ratlose Männer
    Und zwar nicht erst gegen die handgreifliche sexuelle Nötigung, sondern schon gegen die unerwünschte übergriffige Berührung oder den anzüglichen Spruch, den wir in sozialen Situationen oft genug gewohnt sind, verlegen wegzulächeln. Und dass sich vielleicht endlich etwas ändert, wenn das Ausmaß des Problems von Grenzüberschreitungen im Alltag sichtbar gemacht wird.
    Ermutigend, dass mittlerweile auch immer mehr Männer unter Hashtags wie "#IHave"or "#ItWasMe"offen und selbstkritisch von eigenem unangemessenem Verhalten berichten.
    Allerdings lässt - wie schon beim "#Aufschrei" - die gespielte oder echte Ratlosigkeit nicht lange auf sich warten. Schon wird - meistens von Männern, und durchaus auch von wohlmeinenden - gefragt, was jetzt eigentlich noch erlaubt sei. Nette Kollegen sind besorgt, ob dieses oder jenes Kompliment, das sie einmal geäußert hätten, vielleicht doch nicht ganz am Platz gewesen sei.
    Klassische männliche Qualitäten
    Für Frauen ist das schwer zu verstehen. Kann es wirklich sein, dass Männer es so wenig gewohnt sind, soziale Situationen zu lesen? Ist mein Gegenüber in Flirtlaune? Wie vertraulich kann und darf meine Ansprache sein? Sollte ich hier mehr Distanz wahren, oder kann ich ein bisschen kumpeliger werden? Das sind Fragen, die bei weiblich sozialisierten Menschen fast automatisch im Hintergrund mitlaufen, wir sind eigentlich pausenlos mit dem kleinteiligen Erfühlen von sozialen Atmosphären beschäftigt. Und es ist für uns fast unvorstellbar, dass es Männern irgendwie unklar sein sollte, wo die Grenze zwischen Flirten und Belästigung verläuft, und wo und wann, welche ganz banalen Machtdynamiken, etwa am Arbeitsplatz, im Spiel sind.
    Aber die vielen Beispiele belegen es klar: Eine gesamtgesellschaftliche Klärung des Verhältnisses von Sex und Macht steht offensichtlich noch an. Vielsagend, dass viele deutsche Medien im Fall Weinstein von einem "Sexskandal" berichtet haben, obwohl es eindeutig nicht um Sex, sondern um Machtmissbrauch ging. Weinstein, der ungekrönte König Hollywoods, war - und ist es mutmaßlich noch immer - das Paradebeispiel dessen, was man im Englischen einen "Bully" nennt, also jemand, der andere drangsaliert, weil er es kann. Die sexuelle Belästigung und Nötigung, die ihm Frauen jetzt vorwerfen, scheint klar in einem Kontinuum zu seinem allgemein bekannten sozialen und geschäftlichen Gebaren zu stehen. Das man zwar unangenehm fand, aber mit Blick auf sein Image als brillanter "Macher" tolerierte. Klassische männliche Qualitäten eben.
    Noch einige Aufschreie nötig
    Und das ist die Krux. Solange solche Verhaltensweisen in gewissen Situationen für Männer erlaubt bleiben, ja sogar von ihnen verlangt werden, solange wir Jungen praktisch ab dem embryonalen Stadium zu "harten Kerlen" machen wollen und ihnen erlauben, ihre männliche Identität spätestens ab der Grundschule in Abgrenzung von "schwachen" und "doofen" Mädchen zu entwickeln, ja, solange wird es schwierig bleiben, ihnen in anderen Situationen den nötigen Respekt und die nötige Sensibilität beizubringen. Es ist jetzt schon abzusehen, dass es noch einige Aufschreie brauchen wird, bevor wir da als Gesellschaft wirklich weiter kommen.