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Sexismus in der Politik
"Das sind Machtdemonstrationen unter der Gürtellinie"

Grünen-Politikerin Claudia Roth zeigt sich erfreut vom öffentlichen Widerspruch gegen frauenfeindliche Bemerkungen wie im Fall des Publizisten Roland Tichy. Sexismus sei wie Rassismus tief in der Gesellschaft verankert, sagt Roth im Dlf. Maskulinisten versuchten sich etwas zurückzuholen, was ihnen nicht gehöre.

Claudia Roth im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
Claudia Roth, Vizepraesidentin des Deutschen Bundestags (Bündnis 90/Die Grünen) in Bielefeld 2019
"Mich hat die Vehemenz des Widerspruchs sehr, sehr gefreut" - Bundestags-Vizepräsidentin Claudia Roth (imago / Sven Simon)
Claudia Roth sagte, sie sei sehr froh, dass es inzwischen Widerspruch gegen Sexismus von allen Seiten gebe. Es werde endlich gesellschaftlich aufgeschrien, wenn sich Roland Tichy oder auch die Politiker Christian Lindner (FDP) und Friedrich Merz (CDU) sexistisch oder homophob äußerten. Die Grünen-Politikerin betonte, Lindner bediene immer wieder die unterste Schublade im Altherrenwitz-Ramschladen, Merz beleidige schwule Menschen.
An Tichy hatte es massive Kritik gegeben, ausgelöst durch einen Artikel über die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli in seinem Magazin "Tichys Einblick", den viele als frauenfeindlich eingestuften. Lindner wurde kritisiert, weil er einen anzüglichen Witz gegenüber seiner Parteikollegin Linda Teuteberg gemacht hatte. Der Kandidat für den CDU-Vorsitz Merz hatte mit Äußerungen über Homosexuelle Empörung ausgelöst.
Roth sagte weiter, dass sich die Atmosphäre im Bundestag seit m Einzug der AfD merklich verändert habe. "Es ist ein Grundrauschen, eine Grundstimmung, wenn Frauen ans Redepult gehen", sagte Claudia Roth. Der Lautstärkepegel im Saal würde steigen, und sie würde von vielen Kolleginnen hören, dass das eigentlich nicht auszuhalten sei.
Roth wies auch daraufhin, das dem Deutsche Bundestag nur noch 30 Prozent Frauen angehören. Auch das habe die Grundatmosphäre verändert. "Wir sind zurückgefallen auf die Zeit von vor 1998 und es ist wirklich wichtig, dass die Parteien endlich daraus Konsequenzen ziehen", so die Bundestags-Vizepräsidentin.
Roland Tichy am 22.11.2018 in München, Deutschland
Kommentar: Das Bewusstsein für Sexismus weiter schärfen
Sexismus gibt es auch nach #Metoo, das zeigt nicht nur der Fall um Roland Tichy. Doch etwas hat sich geändert: Je dreister die Übergriffe, desto deutlicher artikuliert sich heute der Widerstand, meint Barbara Schmidt-Mattern.

Das Interview mit Claudia Roth in voller Länge.
Ann-Kathrin Büüsker: Frau Roth, jetzt aktuell im Fall Tichy – hat Sie da die Vehemenz dieses Widerspruchs überrascht?
Roth: Mich hat die Vehemenz sehr, sehr, sehr gefreut. Es ist motivierend zu hören, dass wir in Zeiten leben, in denen endlich gesellschaftlich aufgeschrien wird, wenn sich ein Tichy, ein Merz, ein Lindner homophob äußern, oder wenn auf der Bühne mit sexistischem Dreck agiert wird. Ich bin sehr froh und ich finde es auch sehr, sehr gut, dass Dorothee Bär oder dass Herr Spahn oder Herr Linnemann tatsächlich Konsequenzen gezogen haben. Ich würde mir nur wünschen, dass man jetzt nicht so vornehm abwartet, bis die Zeit von Tichy ausläuft, sondern ich finde, im eigenen Interesse müsste sich die Ludwig-Erhard-Stiftung sofort von ihm trennen.
"Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit tief verankert"
Büüsker: Aber wir reden ja hier auch über eine kleine Bemerkung, die nicht einmal von Tichy selbst stammt, sondern von einem seiner Autoren. Das Ganze hat so einen enormen Widerhall, diese Konsequenzen. Ist das aus Ihrer Sicht tatsächlich verhältnismäßig?
Roth: Ja, es ist absolut verhältnismäßig, denn das ist ja nicht zum ersten Mal, dass bei "Tichys Einblick" Texte vorkommen, die wirklich bis weit in die rechtsradikale Ecke gehen. Aber es ist ein Ausdruck einer Situation, wo wir feststellen müssen, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, dass Rassismus, dass Sexismus, dass Homo- und Transfeindlichkeit tief strukturell verankert sind in unserer Gesellschaft, und das ist nicht nur national ein Problem, dieser Backlash und dieser Versuch von Maskulinisten, sich etwas zurückzuholen, was ihnen nicht gehört, sondern das erleben wir weltweit. Das sehen wir bei Trump, bei Bolsonaro, bei Putin und wie sie alle heißen.
Büüsker: Aber entzündet sich aktuell tatsächlich die Kritik an dem Sexismus, oder einfach nur an der Person Tichy?
Roth: Das kann man, glaube ich, voneinander überhaupt nicht trennen. Aber wenn Sie sich anschauen die Äußerungen von Christian Lindner, dann finde ich, das ist eigentlich noch viel schlimmer, denn Christian Lindners Umgang mit Frauen in der Politik hat ja Tradition. Und glauben Sie mir: Ich weiß, wovon ich rede, denn dieser sogenannte Witz, den er da gemacht hat bei der Verabschiedung von Frau Teuteberg, das hat er wörtlich mit mir gemacht 2017. Er bedient immer wieder die unterste Schublade im Altherrenwitz-Ramschladen, und was übrig bleibt ist der Eindruck eines wirklich peinlichen, rückwärtsgewandten Parteichefs, der mit sexistischen Sprüchen versucht, seinesgleichen zum Lachen zu bringen. Und ich finde übrigens die, die lachen, keinen Deut besser.
Diese Zeiten, die müssen vorbei sein, weil das sind Machtdemonstrationen unter der Gürtellinie, die Frauen abwerten, die sie auch sexualisiert demütigen. Und ich muss Ihnen sagen: Für einen Parteivorsitzenden, Fraktionsvorsitzenden, da spricht ja praktisch förmlich dafür, dass der Respekt und die Achtung vor der Menschenwürde von Frauen wirklich fehlen.
"Massiv verschärft durch den Einzug der AfD in den Bundestag"
Büüsker: Frau Roth, Sie sind ja nun auch seit vielen Jahrzehnten selbst Parlamentarierin, im Europaparlament, im Bundestag, und Sie erleben ja auch seit Jahrzehnten Widerspruch gegen Sie auch als Person, Sie werden im Netz angefeindet. Was macht so was mit einem?
Roth: Na ja, natürlich ist es nicht leicht. Das ist ziemlich brutal, wenn Sie sehen, wie die sexualisierten Gewaltfantasien unterwegs sind. Und es hat sich natürlich massiv verschärft durch den Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag. Ich höre das von Kolleginnen, dass es in den Landtagen genau das gleiche ist, und man sieht einfach, dass Rassismus und Sexismus zwei Seiten einer Medaille sind.
Was tut das mit einem? – Es macht einen – wie soll ich sagen – kämpferischer und ich bin sehr froh, dass es Widerspruch von allen Seiten gibt, wenn jemand einen sexistischen Witz raushaut oder Rassistisches sagt, dass man sich dagegen verwehrt und dass es Solidarität gibt mit denen, die gezielt abgewertet oder gedemütigt werden. Das ist total wichtig. Oder, dass man auch nicht zulässt – ich muss das schon auch noch sagen -, wenn Friedrich Merz es schafft, in einem Statement Homosexualität mit Gesetzeswidrigkeit und Pädophilie in einen Topf zu werfen. Dann gehen da Abgründe des Denkens auf und das kenne ich im Bundestag nur von der AfD.
Widerspruch, Solidarität, mehr engagierte Feministinnen und Feministen, die sich auch weigern gegen die doppelte Diskriminierung, die ja zum Beispiel Muslima und Frauen erleben, oder Frauen, die auch schwarze Hautfarbe haben.
Büüsker: Nun haben Sie den Fall Lindner geschildert. Sie haben den Fall Merz geschildert. Beide haben danach gesagt, das war eigentlich gar nicht so gemeint. Die wollten eigentlich niemanden verletzen. So sagen sie es.
Roth: Aber sie haben verletzt! Sie haben verletzt! Noch einmal! Der Witz, der sogenannte Witz von Christian Lindner ist ein alter Hut. Den hat er schon mehrere Male genauso performt, wenn ich das so sagen darf.
Und Herr Merz? – Wenn er das nicht weiß, dass er jemand mit diesen Äußerungen verletzt, dann ist es ja eigentlich fast noch schlimmer, denn es ist die Denke, die Homosexualität mit Pädophilie in einen Topf wirft, und das demütigt und beleidigt und kriminalisiert natürlich schwule Menschen, und das ist wirklich richtig schlimm.
"Nur noch 30 Prozent Frauen im Bundestag ist ein anderes Problem"
Büüsker: Sie haben gerade gesagt, dass sich die Situation im Bundestag durch den Einzug der AfD noch mal verschärft hat. Würden Sie uns erklären, was genau Sie damit meinen?
Roth: Es ist ein Grundrauschen, eine Grundstimmung, wenn Frauen ans Redepult gehen. Und ich sage Ihnen, das ist wirklich bei allen Frauen aus demokratischen Fraktionen so. Dann geht der Lautstärkepegel nach oben. Man merkt die anzüglichen Bemerkungen, die anzüglichen Kommentare. Das höre ich auch von Ministern oder Ministerinnen auf der Regierungsbank, die mir davon berichten. Ich höre es von Kolleginnen aus den Fraktionen, die sagen, eigentlich ist es gar nicht auszuhalten.
Es hat aber noch ein anderes Problem, dass wir nämlich im Deutschen Bundestag nur noch 30 Prozent Frauen haben, und das hat die Grundatmosphäre verändert. Wir sind zurückgefallen auf die Zeit von vor '98 und es ist wirklich wichtig, dass die Parteien endlich daraus Konsequenzen ziehen in ihren Statuten, in ihren Regeln, oder dass wir ein Paritätsgesetz bekommen, denn es kann nicht sein, dass 70 Prozent Männer nur 30 Prozent Frauen im Bundestag gegenüberstehen und dadurch eine Grundstimmung, eine Grundatmosphäre sich wirklich verändert hat.
Sitzung des Landtags von Brandenburg
Wie viel Quote verträgt die Verfassung?
Seit 2019 gibt es in Brandenburg ein Paritätsgesetz, das Parteien dazu verpflichtet, ihre Wahllisten für Landtagswahlen zur Hälfte mit Frauen zu besetzen. Bevor es zum ersten Mal greifen kann, kommt es allerdings jetzt verfassungstechnisch auf den Prüfstand.
Büüsker: Aber nur weil mehr Frauen in den Bundestag kommen, heißt das doch nicht, dass die Atmosphäre besser werden muss. Frauen sind doch nicht per se die besseren Menschen.
Roth: Sie sind nicht per se die besseren Menschen, aber sie haben einen anderen Blick auf politische Debatten, und es macht schon einen Unterschied aus, ob wir bei Debatten, was weiß ich, zur Verteidigungspolitik, zur Wirtschaftspolitik, zur Finanzpolitik mit wenigen Ausnahmen grüne Frauen, von den Linken, von der SPD haben, oder ob da hauptsächlich Männer reden. Das ist wichtig! Es ist ein wichtiges Signal!
Übrigens ist es auch ein wichtiges Signal in die Gesellschaft raus, dass der Bundestag, das Haus, das Herzzentrum der Demokratie, natürlich auch unsere Gesellschaft repräsentiert. Wir sind 52 Prozent Frauen in unserem Land und wir sind eine bunte und eine vielfältige Gesellschaft, und da haben wir Nachholbedarf. Das wäre zumindest ein wichtiger Schritt. Aber es ist wichtig, dass sich endlich – und das gibt mir ja wirklich Hoffnung – Frauen über Parteigrenzen solidarisieren, und es gibt mir Hoffnung, dass das Modell Retropolitiker ganz bald der Vergangenheit angehört. Wir sind am Anfang, aber noch lange nicht am Ziel.
"Es demütigt und es beleidigt und es verletzt"
Büüsker: Das heißt, Sie beschreiben jetzt auf der einen Seite, dass es im Parlament aus Ihrer Sicht durchaus ein rauerer Ton geworden ist; auf der anderen Seite erleben Sie aber, wenn ich das mal so zusammenfassen darf, schon eine positive Entwicklung, dass heute auch kritisch Dinge angesprochen werden, die früher nicht kritisiert worden wären, auch vielleicht von konservativen Frauen?
Roth: Absolut! Ich finde richtig, dass Dorothee Bär diesen Schritt gegangen hat, dass sie den öffentlich gegangen hat. Ich finde gut, dass ein Minister, Jens Spahn, sich das nicht gefallen lässt als schwuler Mann und dass er Konsequenzen gezogen hat und seinen Sitz in der Ludwig-Erhard-Stiftung ruhen lässt, und dass man laut dem entgegengeht. Das ist wichtig! Man darf das nicht zur Normalität werden lassen. Man darf nicht sagen, das muss doch mal gesagt werden dürfen. Nein! Es demütigt und es beleidigt und es verletzt, und das darf nicht gesagt werden, nicht im Deutschen Bundestag, aber natürlich auch nicht in unserer Gesellschaft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.