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Sexuelle Gewalt im Reitsport
Die Liebe zu Pferden zieht Mädchen an - und Täter

Drei Jahre und sechs Monate muss ein Reitlehrer wegen sexueller Nötigung und sexuellen Missbrauchs zweier Reitschülerinnen in Haft. Was kann der Sport tun, um solche Fälle zu verhindern?

Von Andrea Schültke | 17.04.2016
    Ein Mädchen mit roten Haaren zeigt mit dem Finger auf den Betrachter, neben ihr ein Pferdekopf und der Hinweis: „Hier bekommst Du Rat und Hilfe“.
    Kinderschutz im Sport: Ein Plakat der Sportjugend NRW und der deutschen Reiterlichen Vereinigung. (Sportjugend NRW)
    "Packst Du mich an, pack ich aus" , steht auf einem poppigen Plakat. Ein Mädchen mit roten Haaren zeigt energisch mit dem Finger auf den Betrachter. Neben ihr - ein Pferdekopf. Darunter eine Internetadresse und der Hinweis: "Hier bekommst Du Rat und Hilfe", eine Aktion der Sportjugend NRW und der deutschen Reiterlichen Vereinigung FN. Ganz bewusst stellt sich der Dachverband für den Reitsport dem Thema sexualisierte Gewalt.
    23 Verurteilte seit 2014 - ein Fünftel davon Reitlehrer
    Ansprechpartnerin ist Marie Schierhölter-Otte. "Das Thema sexualisierte Gewalt ist verbindlicher Bestandteil in den Lehrplänen der Trainerausbildung. Darüber hinaus kooperieren wir seit 2011 mit Zartbitter", sagt sie. Zartbitter ist eine Missbrauchs-Beratungsstelle.
    Betroffene aus dem Reitsport können über eine eigene Hotline oder Mailadresse direkt Kontakt zu Zartbitter aufnehmen, ohne den Umweg über den Verband. Als erste deutsche Sportorganisation hat die FN eine derartige Anlaufstelle eingerichtet.
    Aus gutem Grund. Von 2014 bis heute sind nach Deutschlandfunk-Recherchen 23 Urteile öffentlich geworden im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt im Sport - ein Fünftel der Verurteilten waren Reitlehrer. Die Liebe zu Pferden zieht vor allem viele Mädchen magisch an - und potenzielle Täter, wie den vom Amtsgericht Plön Verurteilten.
    Mit dem Versprechen der großen Karriere imponiert
    Laut Staatsanwältin Barbara Gradl-Matusek hatte er einer der beiden Betroffenen vorgegaukelt, erfolgreicher Springreiter zu sein und er könne auch ihr zu einer solchen Karriere verhelfen. Aus ihrer anfänglichen Schwärmerei für ihn entwickelte sich dann eine sexuelle Beziehung in deren Rahmen er seine Stellung als Reitlehrer ihr gegenüber ausnutzte.
    Unter anderem mit dem Versprechen einer großen Karriere hatte der Verurteilte der damals 16-jährigen Reitschülerin zunächst imponiert. Im weiteren Verlauf dieser Beziehung, als sie sich nicht mehr ganz so beeindruckt von ihm zeigte, drohte er ihr mit der Verkauf ihres Pferdes, falls sie sich nicht gehorsam verhalte.
    Das Pferd als Druckmittel - ein immer wiederkehrendes Muster. Im aktuellen Fall konnte sich die junge Frau mit Hilfe ihrer Familie von ihrem Reitlehrer lossagen. Der versuchte daraufhin, jemanden aus dem Rockermilieu anzuheuern, um das Mädchen töten zu lassen, das hatte das Gericht festgestellt. Es verurteilte den Angeklagten schließlich wegen zwölf Fällen sexuellen Missbrauchs an der einen Reitschülerin. Bei einer weiteren Betroffenen sah das Gericht den Vorwurf der sexuellen Nötigung bestätigt.
    Hier wurde ihm vorgeworfen unter der Vorspiegelung, er habe eine Trainer-A-Lizenz und eine besondere Physiozusatzausbildung, das Mädchen dazu veranlasst zu haben, einer Massage zuzustimmen. Diese Massage - offenbar nur der Vorwand für einen sexuellen Übergriff - sollte einem besseren Sitz auf dem Pferd dienen.
    Jeder darf sich Reitlehrer nennen
    Der Prozess hatte fast zwei Jahre gedauert. Im Laufe dieser Zeit wurde klar: Qualifikationen, wie etwa eine offizielle Trainerlizenz existierten nicht. Marie Schierhölter-Otte von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung erläutert: In Deutschland darf sich jeder Reitlehrer nennen.
    "Der Begriff ist gesetzlich nicht geschützt. Anders ist es bei Begriffen wie Pferdewirt, Pferdewirtschaftsmeister, Trainer C, B oder A, das sind offizielle Qualifikationen der FN - ansonsten haben wir leider keine Handhabe dass sich jemand, der auch keine Ausbildung hat, Reitlehrer nennt und unterrichtet", Schierhölter-Otte.
    Und damit auch keine Möglichkeit, einen selbst ernannten Reitlehrer vom Beruf auszuschließen. Anders ist es dagegen, wenn jemand seine Prüfung bei der deutschen Reiterlichen Vereinigung abgelegt hat. Dort ist es laut FN-Justiziarin Constanze Winter Voraussetzung, "dass für den Erwerb eines Trainerscheins ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorgelegt werden muss".
    Eltern sollten Qualifikationen prüfen
    Darin werden auch Verurteilungen wegen sexuellen Missbrauchs aufgeführt. Ein entsprechender Eintrag im Führungszeugnis bedeutet: keine Zulassung zur Ausbildung bei der FN. Der Verband hat aus der Zeitung von dem aktuellen Fall erfahren und die Informationen gleich weitergegeben. Der Bundesverband der Berufsreiter prüft jetzt einen Ausschluss des Verurteilten.
    Aber selbst wenn ein Verband für das Thema sensibilisiert ist - sexuellen Missbrauch kann das nicht verhindern. Allen Eltern, die ihre Kinder zum Reiten anmelden empfiehlt die FN-Präventionsbeauftragte Marie Schierhölter-Otte: "Eltern sollten unbedingt penibel überprüfen, welche tatsächliche Qualifikation der Ausbilder hat und ob er sich im Hinblick auf Kinder- und Jugendunterricht regelmäßig fortbildet."
    Der Reitlehrer ohne Qualifikation muss drei Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Er hat die Taten im Verlauf des Prozesses nicht gestanden und Berufung gegen das Urteil eingelegt. Genau wie Staatsanwaltschaft und Nebenklage. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. In der nächsten Instanz beginnt alles wieder von vorn. Auch die Betroffenen müssen erneut aussagen.