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Sport und Gewalt
Sicherer Sport?

2010 stießen die Fälle sexuellen Missbrauchs am Berliner Canisius-Kolleg eine breite gesellschaftliche Debatte an. Die drehte sich aber vor allem um kirchliche Einrichtungen. Die "Institution Sport" ist im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt in Deutschland noch wenig untersucht. Das soll sich jetzt ändern.

Von Andrea Schültke | 07.02.2015
    Ein junges Mädchen schaut durch einen Türschlitz.
    Die meisten Fälle der Gewalt gegen Kinder finden im privaten Bereich statt. (dpa / Ole Spata)
    "Safe Sport" - so heißt das Forschungsprojekt, das an der Sporthochschule Köln gerade begonnen hat. Es ist eine Kooperation mit der Uniklinik Ulm und der Deutschen Sportjugend dsj. Das Team um Sportsoziologin Bettina Rulofs will hier erstmals das Thema sexualisierte Gewalt im deutschen Leistungs-Sport wissenschaftlich aufarbeiten. "Die Ziele unserer Untersuchung sind zum Einen das Ausmaß, die Häufigkeit von sexualisierten Übergriffen im Sport zu erfassen, aber auch die Formen, Konstellationen und zu fragen: Wer sind die Betroffenen?", sagt Rulofs.
    Es könnten viele sein. Das legt eine Datensammlung des WDR-Fernsehmagazins "sport inside" nah. Demnach waren allein in den zurückliegenden zwei Jahren mindestens 58 Kinder und Jugendliche betroffen von sexualisierter Gewalt im Sport. Diese Zahl ergibt sich aus Medienberichten in diesem Zeitraum über verurteilte Straftäter aus dem Sportumfeld. Dabei sind die eingestellten Verfahren gar nicht erfasst. Und auch nicht die Fälle, in denen Betroffene aus Scham oder Angst erst gar keine Anzeige erstattet haben. Die Dunkelziffer muss also hoch sein.
    Anonyme Befragungen von Kaderathleten
    Aktuell laufen vor deutschen Gerichten mindestens drei Verfahren im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt im Sport. Mitte Januar gab es bereits eine Verurteilung durch das Amtsgericht Zehdenick: "Wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen ist ein 21-jähriger Fußball-Schiedsrichter zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Der Angeklagte hatte elf Übergriffe gestanden."
    Der Sport hat die Notwendigkeit zur Aufarbeitung erkannt. Die Studie "Safe Sport" wird vom Bundesbildungsministerium gefördert und ist in diverse Teilprojekte gegliedert. Nach ihren Erfahrungen mit dem Thema sexualisierter Gewalt im Sport sollen neben Vereinen und Verbänden auch Athleten aus bundesdeutschen A, B und C-Kadern anonym befragt werden. Diese Athletenauswahl ist Kritikern zu eng gefasst. Ihr Argument: Ehemalige Sportler, bei denen der sexuelle Missbrauch möglicherweise bereits Jahrzehnte zurückliegt, blieben in der Studie außen vor.
    Die Befragung aktueller Kaderathleten ab 16 soll nach Auskunft der Projektleiterin auch Fragen nach Vorfällen in der Vergangenheit beinhalten und repräsentative Daten der befragten Zielgruppe ermöglichen. Die Kontakte zu den Athleten kommen über den Deutschen Olympischen Sportbund zustande. Dessen Deutsche Sportjugend um Geschäftsführer Martin Schönwandt ist daher als Kooperationspartner an "Safe Sport" beteiligt. Das Projekt soll auch bereits vorhandene Präventionskonzepte unter die Lupe nehmen: "Wir haben jetzt etwa vier Jahre Erfahrung sammeln können mit der konkreten Umsetzung von Präventions- und Interventionskonzepten und wir spüren, dass uns einfach grundlegende Daten fehlen. Um diese Programme, die entwickelt worden sind spezieller, spezifischer passfähiger an reale Situationen anzupassen."
    Angebote spülen Fälle an die Oberfläche
    Viele Landessportbünde und einige Sportfachverbände sind in Sachen Präventionsprojekte bereits gut aufgestellt. So bietet etwa der Fußballverband Mittelrhein Fortbildungsprogramme für Vereine und eine eigene Anlaufstelle zum Thema. Sexualisierte Gewalt im Sport sei im Fußballverband Mittelrhein kein Tabuthema. erklärt Vize-Präsident Stephan Osnabrügge. "Wir haben die Erfahrung, dass sich in Vereinen und Verbänden, die sich mit dem Thema nicht beschäftigen, es nicht vorkommt, aber sobald man beginnt, sich mit dem Thema zu beschäftigen kommt es vor. Unsere Anlaufstelle hat ca. 15-20 Meldungen pro Jahr. Das reicht von einer anonymen Anzeige, in der ein Trainer pauschal verdächtigt wird, bis hin zu ganz konkreten Vorfällen, die wir dann auch an die Staatsanwaltschaften geben."
    Stephan Osnabrügge ist auch im Deutschen Fußballbund für Kinderschutz zuständig. Er berichtet, dass der DFB hat eine eigene Risikoanalyse für den Fußball in Auftrag gegeben hat: "Die ersten Ergebnisse zeigen: selbstverständlich sind Fußballvereine ein potenziell riskanter Ort, wie auch andere Ort in unserer Gesellschaft. Sie spielen sich mitten in der Gesellschaft ab und die gesellschaftlichen Probleme finden in den Fußballvereinen statt und deshalb ist es wichtig, dass unsere Vereine sich zum Thema Kinderschutz aufstellen und geeignete Präventionsmaßnahmen ergreifen."
    Kommen die von Dachverbänden initiierten Präventionsmaßnahmen in den Vereinen an - also an der Basis? "Nein", war das Ergebnis einer Befragung durch den unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs. Ende 2013 stellte Johannes Wilhelm Rörig im Deutschlandfunk-Sportgespräch fest: "Es gibt einzelne Aktivitäten, aber insgesamt ist hier noch ein Riesenhandlungsfeld und es liegt vor den Sportvereinen noch ein weiter Weg um Kinder wirksam vor den Gefahren der sexuellen Gewalt zu schützen."
    DOSB soll in Opferfonds einzahlen
    Allerdings waren Fragestellung und Umfang des Fragebogens damals sehr umstritten, so dass sich nur ganz wenige Vereine an der Befragung beteiligt hatten. Das Ergebnis ist also nicht repräsentativ. Mit dem Forschungsprojekt "Safe Sport" will Bettina Rulofs jetzt einen neuen Versuch unternehmen.Im Herbst 2017 sollen die Ergebnisse der Forschungsarbeit vorliegen.
    Auch in einem anderen wichtigen Bereich des Themas kommt der Sport jetzt offenbar in Bewegung. Nach Informationen des Deutschlandfunks wird der Deutsche Olympische Sportbund in den Fonds sexueller Missbrauch beim Bundesfamilienministerium einzahlen. Aus diesem Fonds können Betroffene sexualisierter Gewalt ergänzende Hilfeleistungen beantragen. Nach übereinstimmenden Erklärungen des Ministeriums und des DOSB steht die Vereinbarung nach langen Verhandlungen kurz vor dem Abschluss. Die Mittel kommen laut DOSB aus dem Bereich der "Stiftung Deutscher Sport". Über die Höhe des Betrages gibt es noch keine Informationen.