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Shakespeare in Berlin

Tina Lanik inszenierte Shakespeares "Der Kaufmann von Venedig" am Deutschen Theater Berlin. Dabei legte sie den Focus ganz auf die durchökonomisierten Beziehungen der Welt von heute. Ulrich Mathes, gerade zum "Schauspieler des Jahres" gewählt, spielte den Shylock.

Von Karin Fischer |
    Die Totenmaske von William Shakespeare: Sein "Kaufmann von Venedig" wurde jetzt in Berlin neu inszeniert.
    Die Totenmaske von William Shakespeare: Sein "Kaufmann von Venedig" wurde jetzt in Berlin neu inszeniert. (AP)
    Im fast bühnenhohen, ganz weißen Halbrund stehen Männer im Businessanzug. Sie tragen bunte Krawatten und rauchen dicke Zigarren. Die Freunde Antonios stellen ihre Coolness zur Schau wie ihren Antisemitismus. Die weiße und im oberen Teil wie durchsichtige Arena - Venedig im Bauhausstil - wirkt so kalt, dass selbst die Schauspieler ihr lieber den Rücken zuwenden; viel wird an der Rampe in Richtung Zuschauer gespielt. Aber was? Das Stück hat verschiedene Tempi und Temperaturen, die nicht gut zusammen gehen.

    Der Kaufmann von Venedig - Stefan Hunstein ist in seiner zerknitterten Liebeskrankheit vielleicht doch ein bisschen zu lässig - bürgt für geborgtes Geld mit einem Pfund seines eigenen Fleisches - aus Liebe zu Bassanio, uneigennützig also, deshalb aber nicht frei von Hochmuth. Schon die erste Szene mit dem Juden Shylock zeigt, wie Antonio das Geschäft der Verachtung noch mit dem zu überredenden Schuldner subtil betreibt.

    Es geht hier nur sehr vordergründig um das "Ausleihen" von 3000 Gulden; in Wahrheit steht nicht der Wert des Geldes, sondern der des Glaubens im Dialog zwischen dem Kaufmann und dem Juden Shylock zur Debatte. Im Theater ist es oft nur eine Geste, die bedeutende Räume offenbart. Der Kaufmann zögert lange vor dem Handschlag - und demonstriert damit keineswegs die Furcht, sich buchstäblich in des anderen Hand zu begeben, sondern nur wieder den Sieg des moralisch höher stehenden Christentums gegenüber dem jüdischen "Wucherer".

    Shylock soll Geld geben, weil Antonios Freund Bassanio um die schöne, kluge und vermögende Porzia werben will. Katharina Schmalenberg als Porzia und Lotte Ohm als ihre Begleiterin sehen allerdings aus, als hätten sich zwei Damen von der nahe gelegenen Volksbühne ins Big Brother Team verirrt: ein bisschen zu blond, ein bisschen zu billig gekleidet und ein bisschen zu aufgedreht arbeiten sie sich zu James Last-Klängen als Background-Sängerinnen ab; die "Kästchen-Wahl" der glücklosen Bewerber ist als Mehrfach-Showeinlage vor der Projektion eines überdimensionierten Geldspiel-Automaten inszeniert.

    Tina Lanik hat den Focus also ganz auf die durchökonomisierten Beziehungen der Welt von heute gelegt. Shakespeare liefert die Stichworte: "So teuer erkauft, will ich euch teuer lieben!", sagt Portia zu Bassanio, als ihr der Deal mit und um den Kaufmann klar wird. Zudem setzt die Regisseurin - wie so viele andere - auf eine Ästhetik, die sich jenen Medien annähert, die sie kritisieren will. Nichts ist echt, alles ist Mache, und das auch noch: Wie es euch gefällt. Shakespeare hält das aus, keine Sorge. Nur kommt einem das Thema ein bisschen verjuxt vor, mit komödiantischer Einlage von Lanzelot, mit Mikroports und Strumpfmasken. Bassanios Vermählung mit Porzia etwas ist ein modernes Tauschgeschäft im Zeichen der Oberflächlichkeit. Sein Schwur auf ihren Ring gerät zum fast nicht zu stoppenden Lachanfall, der die Peinlichkeit wirklicher Gefühle verdeckt, zur lautmalerischen Übersprungshandlung.

    Doch die starken Mittel wirken epigonal und langweilen schnell. Intensiv wird der Abend überall dort, wo die Auseinandersetzung über das Wort geführt wird, und mit einem Ulrich Mathes als Shylock, der seinerseits seine Mittel und Rollen als Jude sehr genau kennt, und nicht nur das Alte Testament. Schon im überkorrekt getragenen Anzug zeigt sich ein Bewußtsein von Minderwertigkeit; grandios offen aber bleibt, ob die nicht nur im Auge des Betrachters existiert?

    "Die Niedertracht, die Ihr mich lehrt, die will ich ausüben", sagt Shylock. An den leicht gebeugten Schultern, dem schiefgelegten Kopf, an Gesten angedeuteter Subordination wird deutlich, dass er die ganze Bürde seines Volkes trägt - und zitiert. Er hält das Thema Recht, Gerechtigkeit und Rache überaus filigran in der Schwebe und spielt eine überragende Rolle auch noch in der Szene, die ihn vom sicher geglaubten Triumph beinahe ins Grab führen wird.

    Mit einer intellektuellen Zartheit, die der aggressiv angelegten Szene fast widerspricht, entlarvt er die Recht sprechende Versammlung aus Doge, Richter und venezianischen Kaufleuten als hilflose Verteidigerin eigener Vorurteile. Deren wohlfeiles Lächeln über seinen Ruin löst fast ein Déja vu aus: ist das die Mechanik der Judenvernichtung, der wir gerade zugesehen haben?

    Am Ende wird die Frage: wer gibt wem was wofür? ja noch einmal am Thema Liebe und Treue durchgespielt. Die glücklichen Paare und Antonio exerzieren die Shakespearesche Ring-Parabel. Merke: wo Reichtum ist, kommt immer mehr Reichtum dazu.

    Eigentlich auch ein schöner Kommentar zur Bundestagswahl. Das deutsche Theater kriegt wegen Ulrich Mathes jedenfalls locker mal unsere Zweitstimme. Die Regisseurin Tina Lanik würde es, den deutlichen Buhs nach zu urteilen, am Wahlsonntag aber nur sehr knapp schaffen.