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Shanghai baby

Die Welt ist eine duftende Frucht, ein Sommermorgen erinnert an schmelzenden Honig, und die Atmosphäre einer Vierzimmerwohnung gleicht einem Zauberwald.

Claudia Cosmo | 13.12.2001
    Schlaraffenland auf Chinesisch ! Das könnte man beim Lesen der ersten Seiten von 'Shanghai baby' denken. Denn Wei Huis Debutroman entfaltet sich vor dem Leser wie eine aufblühende Lotusblume: Exotisch, sinnlich und poetisch verkitscht in Gestalt der jungen Protagonistin Coco. Die lebt in einer hippen Gegend Shanghais und will unbedingt eine berühmte Schriftstellerin werden, was sie ihren Lesern in regelmäßigen Abständen immer wieder zu verstehen gibt.

    Die lebenshungrige Ich-Erzählerin Coco ist wie ein wildes, ungebändigtes Tier und andauernd auf der Suche nach Abenteuer und Abwechslung. Ihre Augen gleichen einem Zoomobjektiv, das in der Metropole von Shanghai nach Lust und Leben Ausschau hält. Coco ist wie Jeckyl und Hyde: In ihr schlummern zwei Persönlichkeiten. Auf der einen Seite das anlehnungsbedürftige Mädchen und auf der anderen Seite die kühne Amazone:

    Coco ist genauso wie ich ein sehr ehrliches Mädchen. Wenn wir stark und arrogant sind, dann sind wir es halt. Wenn wir schwach sind, dann leben wir das halt aus. Das ist eine ganz normale Sache. Man muß sich selbst treu bleiben, seinen Gefühlen Ausdruck verleihen, Ängste, Wut, und Leidenschaften artikulieren. Das Cliché vom exotischen, asiatischen Mädchen setzt Wei Hui nur am Anfang ihres Romans ein, um den Leser in gängige Vorstellungswelten einzulullen, um diese anschließend demontieren zu können: Coco ist kein braves Mädchen. Sie lehnt sich gegen asiatische Traditionen auf, will ihr Leben selbst in die Hand nehmen und ist voll auf sich konzentriert:

    Das ist ein wichtiges Thema in meinem Buch. Und Coco fragt sich am i Ende auch: Wer bin ich eigentlich. Im Buch geht es um die Reise ins' eigene Ich, um die Entdeckung des Ichs junger chinesischer Frauen.

    Zum Trip in Richtung 'Eigenes Ich' gehören auch Cocps Erfahrungen in Sachen Liebe. Mit dem introvertierten Künstler Tiantian teilt sie nicht nur die Vierzimmerwohnung, sondern auch die Sehnsucht nach der ewigen, perfekten Liebe.

    Letztendlich ist Tiantian für Coco ein hilfloses Versuchskaninchen und gehört zur ihrem konstruierten Weltbild, das aus mächtigem Pathos und Gefühlen besteht.

    Diese Kunstwelt entfaltet sich innerhalb Wei Huis poetischer Sprachgewalt. So verwandelt Wei Hui jede körperliche Berührung zwischen Tiantian und Coco in ein fulminantes Naturereignis, bei dem "die Liebe der Seele...(..) die Körper zerreißt...".

    Ich liebe es, mich in einer schönen Sprache auszudrücken. Wenn ich dies nicht mehr könnte, würde ich aufgeben. In diesem Buch verwende ich eine sehr feminine, weiche Sprache. Dadurch kann ich auch Cocos starke Persönlichkeit und ihr rebellisches Verhalten kontrastieren.

    In Shanghai ein rebellisches Leben zu führen bedeutet für Coco, sich an westlichen Werten zu orientieren und vor allem die eigene Sexualität auszuleben. Aber mit Tiantian funktioniert das nicht. Er ist impotent. Dass das Leben niemals perfekt sein wird, kann Coco aber nicht hinnehmen. Sie jagt dem Idealen hinterher und findet im deutschen Unternehmer Marc das, was Tiantian nicht bieten kann: Sex. Tiantian und Marc sind zwei grundverschiedene Typen. Zusammengenommen stellen sie für Coco den perfekten Mann dar.

    Wei Hui arbeitet mit Gegensätzen: Sex und Seele, Geborgenheit und der schnelle Quicki, Asien und Europa, Traumvisionen und reale Welt. Der Leser befindet sich, je nach Cocos Laune, einmal in Kopf der Ich-Erzählerin, und dann wieder draußen auf den Asphaltboulevards Shanghais. Die Autorin folgt Coco in deren Welt, begleitet sie in Bars, Restaurants und taucht ein in Shanghais junges Nachtleben. Denn Coco ist ein Nachtmensch und bewegt sich gerne im Halbdunkeln. Ihre Freunde sind alle Außenseiter und haben dem traditionellen Shanghai den Rücken zugekehrt. Sie eifern der westlichen Libertinage nach und zelebrieren ihre Individualität.

    Shanghai ist eine sehr cosmopolitische und westlich- orientierte Stadt. Sie ist Chinas aufregendste Metropole. Viele Leute möchten diese Stadt erobern und scheitern aber oft daran und fühlen sich in ihr verloren. Uns Jungen wird von der älteren Generation vorgeworfen, dass wir Sklaven des westlichen Lebensstils seien. Aber die Leute aus westlichen Ländern sind in Shanghai immer noch privilegierter als wir und üben auf uns Junge einen unterschwelligen Druck aus.

    Obwohl Wei Hui von sich selbst sagt, sie sei keine Feministin, hat ihr Roman 'Shanghai baby' durchaus emanzipatorische Ansätze und würde deshalb auch Alice Schwarzer gefallen. Wei Huis Heldin Coco symbolisiert den Gegensatz zwischen Tradition und Fortschritt, zwischen klassischem Rollenverhalten und absoluter Selbstverwirklichung:

    Ich denke, dass sich viele Mädchen meiner Generation zwischen Tradition und der rebellischen, modernen Szene hin und her gerissen fühlen. Die Generation unserer Mütter ist nämlich so anders als wir. Trotzdem tragen wir deren Schatten immer mit uns herum. Wenn wir unser eigenes Leben beginnen, dann durchlaufen wir eine harte Auseinandersetzung, einen starken Widerspruch.

    Um an diesem Widerspruch nicht kaputtzugehen, schreibt Coco. Das Schreiben ist es auch, was die Beziehung zu Tiantian aufrechterhält, trotz Cocos Verhältnis zu Marc. Das Schreiben verbindet Cocos inneren Mikrocosmos und das Leben in Shanghai miteinander. Wei Hui vermischt unterschiedlichste Sphären und Ebenen miteinander und verbindet Autobiographisches mit Erfundenem. Der Leser weiß aber irgendwann nicht mehr, ob das, was er liest, real oder pure Fiktion ist. 'Shanghai baby' ist ein Buch im Buch. Am Ende von Wei Huis Roman hat auch Coco einen Bestseller geschrieben. Der Leser hat diesen Prozeß mitverfolgt und Cocos Existenz beim Lesen Leben eingehaucht. Genauso wie Wei Hui versteht Coco das Schreiben als Überlebensstrategie: Ich schreibe, also bin ich:

    Schreiben ist für mich Magie. Es ist wie ein Gemälde. Du kannst verschiedene Farben miteinander vermischen und etwas Besonderes kreieren. Ich erschaffe einen Traum, der aus dem Schreiben heraus entsteht. Und dieser Traum macht mich sicher und elegant und gibt mir Selbstbewusstsein. Ich lebe in diesem Traum. Nur wenn ich schreibe, existiere ich. Wenn es das Schreiben nicht gäbe, wäre ^Vei Hui ein Nichts in der Welt. Wei Huis Romandebut Shanghai baby ist eine durchaus lesenswerte Hommage an die Kraft der Sprache und ein Abgesang auf die verbreitete Vorstellung, asiatische Frauen könnten nur nett lächeln. Das einzige, das etwas nervig erscheint, ist die permanente Selbstbeweihräucherung Cocos.

    Beim Lesen bekommt man schon von alleine mit, dass Wei Huis Hauptfigur Coco eine zielsichere, starke Frau ist, die sich am Ende allein in Shanghai durchschlagen muss.

    Schön ist es, dass der Roman eine Frage offen lässt: Was fasziniert Wei Hui und letztendlich auch Coco mehr am Schreiben ? Der Wille zur Form oder die Möglichkeit, die Welt mit anderen Augen sehen zu können!