Samstag, 04. Mai 2024

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Shida Bazyar: "Drei Kameradinnen"
Feuer und Flamme

Nachdem ihre beste Freundin Saya als vermeintliche Terroristin verhaftet wird, hat Kasih die Nase voll. Jetzt erzählt sie ihre Geschichte und schont dabei nichts und niemanden. „Drei Kameradinnen“ ist eine radikale Form, die Deutungshoheit an sich zu reißen - wütend, scharfsichtig und präzise.

Von Mithu Sanyal | 14.07.2021
Ein Portrait der Autorin Shida Bazyar und das Cover ihres Romans "Drei Kameradinnen"
Shida Bazyars Debütroman „Nachts ist es leise in Teheran“ erzählte von der Flucht aus dem Iran und wurde 2016 unter anderem mit dem Uwe-Johnson-Förderpreis ausgezeichnet. Jetzt ist ihr zweiter Roman erschienen. (Cover Kiepenheuer & Witsch Verlag / Autorenportrait: C.Hardt/Future Image)
Das Buch beginnt mit einem Jahrhundertbrand, vorsätzlich gelegt in einer Mietskaserne, in der hauptsächlich Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund leben - bis sie direkt auf den ersten Seiten des Romans in dem Feuer sterben: Ein so offensichtlich rassistisch motiviertes Verbrechen, dass die Medien sofort in perfekter Täter-Opfer-Umkehrung von einem islamistischen Terroranschlag sprechen. Und dann wird Saya verhaftet. Saya, die sich schon als Jugendliche lautstark gegen Diskriminierung gewehrt hat. Saya, die unter dem Deckmantel Berufsberatung Antirassismustrainings an Schulen durchführt. Saya, Kasihs beste Freundin.
In einer langen Nacht, in der sie darauf wartet, dass Saya aus dem Gefängnis entlassen wird, schreibt Kasih auf, wie es dazu kommen konnte: "Ich möchte fair bleiben, alle Missverständnisse aus dem Weg räumen und von vornherein erklären, wer ich bin und wer ich nicht bin. Ich bin nicht: die Ausgeburt der integrierten Gesellschaft. Ich bin nicht: das Mädchen aus dem Getto.
Ich bin: das Mädchen aus dem Getto. Aber das ist eine Frage der Perspektive. Es gibt echte Mädchen aus echten Gettos, die lachen mich dafür aus, dass ich dieses Wort benutze, sobald sie erfahren, in welchem Kaff und in welch schäbiger Ecke ich groß geworden bin, und es gibt Mädchen, die hätten es keinen Tag dort ausgehalten."

Guerillakämpferinnen gegen die Gesellschaft

Erklären wer sie ist und dabei Projektionen geraderücken, ist Kasihs Leben in einer Nusschale: Bei der Arbeitsagentur, die ihr trotz des mit Bestnote abgeschlossenen Soziologiestudiums nur Jobs anbietet, die irgendetwas mit Migration zu tun haben. Sogar bei ihrem Ex-Freund Lucas, der nicht versteht, warum Kasih sich alles so schwer macht. Die einzigen, bei denen Kasih sich nicht erklären muss, sind ihre Freundinnen Hani und Saya. Zusammen bilden sie die titelgebenden "Drei Kameradinnen", als würden sie einen Guerillakampf gegen die Gesellschaft führen. Doch gestaltet sich dieser sehr unterschiedlich: "Hanis Strategie war schlicht und sie war, obwohl ich ihr das nie so richtig zugestehen wollte, enorm mächtig: Es gab keine Probleme, solange man sie ignorieren konnte."
Kasih und Saya dagegen kämpfen mit der Wut. Kasih, indem sie sie herunterschluckt und innerlich kocht, und Saya ... Saya ist Saya. Stolz, klug und nie nie nie leise. Eine solche Freundin wünscht man sich. Tatsächlich ist Freundschaft das leuchtende Zentrum des Romans, eine gelebte Utopie in einer Gesellschaft, die alles daransetzt, die Freundinnen zu desillusionieren. Shida Bazyar gelingt es, die Stärke dieser Bindungen zu schildern, ohne sie zu verherrlichen. Denn nur, weil sie ihre Leben lang mit Vorurteilen kämpfen müssen, sind sie selbst keineswegs vorurteilsfrei. Doch eint sie das Bewusstsein dafür, dass Menschen nicht in erster Linie als Menschen wahrgenommen, sondern in vorgefertigte Schubladen eingeordnet werde.
"Ich versuche mir permanent vorzustellen, wer ihr seid, während ihr euch vorzustellen versucht, wer wir sind. Wir sind nicht so anders als ihr. Das denkt ihr nur, weil ihr uns nicht kennt. Weil ihr keine Kindheit hattet, die so roch wie unsere. Ihr findet Hani jetzt schon unsympathisch und ihr stellt euch Saya jetzt schon hübsch vor. Ihr wartet auf den Moment, in dem ich erkläre, wer von uns aus welchem Land kommt. Das müsst ihr nämlich wissen, bevor ihr euch in uns eindenken könnt. Ich sage euch nichts dazu. Da müsst ihr durch."

Das Schweigen der Literatur

Als Erzählerin ist Kasih all das, was sie in ihrem Leben gerne wäre: konfrontativ und kompromisslos. Namen, Daten, Fakten gibt es bei ihr nicht. Trotzdem ist die Folie, vor der die Handlung spielt, eindeutig. Es sind die Morde des selbsternannten Nationalsozialistischen Untergrunds, kurz NSU, die im realen wie im Deutschland des Romans den Opfern und ihren Angehörigen angelastet wurden. Auch als sich die Beweise häuften, dass die Morde rassistisch motiviert waren, blieb die Polizei auf dem rechten Auge blind, bis sich der NSU selbst enttarnte. So blind wie die Ermittler war auch die Schriftsteller lange für Terror von rechts. Die NSU Morde, Solingen, Hoyerswerda, Halle, Hanau – fanden keinen Widerhall in der deutschen Literatur - bis in diesem Frühling direkt mehrere deutsche Romane dieses Schweigen brachen, am lautesten von ihnen "Drei Kameradinnen".
"Eigentlich habe ich noch nie verstanden, warum alle immer so tun, als wäre die Summe an Beispielen ein größerer Beweis als ein einziges. Wer uns nach einem Beispiel nicht glaubt, tut es meist auch nach dem fünfzigsten nicht. Und weil ich euch nicht kenne, muss ich leider annehmen, dass einige von euch zu denen gehören, die zwar so tun, als würde man sie von der Struktur, die hinter bestimmten Erfahrungen stecken, überzeugen können, denen unsere Erzählungen aber dann irgendwie doch nicht ganz so reichen, um überzeugt zu sein."

Angriff auf die Lesenden

Kasih versucht nicht, die Lesenden mit ihrer in einer verzweifelten Nacht aufgeschriebenen Geschichte zu überzeugen, sondern greift sie direkt und unmittelbar an. Dazu kommt, dass Kasih die klassische unzuverlässige Erzählerin ist: Wahrheit und List liegen so nahe beieinander, dass sie verschwimmen und ein neues Ganzes ergeben. Und so lernen wir Kasih und ihre Welt bei all ihren falschen Fährten besser kennen, als würde sie uns eine gradlinige Geschichte erzählen. Der Roman ist eine radikale Form die Deutungshoheit an sich zu reißen und die Erzählmacht umzukehren. Danach will man nicht nur unbedingt mehr von Shida Bazyar lesen, sondern auch sofort alle Hintergründe zum NSU-Skandal erneut nachrecherchieren.
"Vielleicht ist es wirklich zu viel verlangt, dass ihr mir vertraut und glaubt, ich habe ja mindestens so viel gelogen wie ihr in eurem Leben. Aber die Bilder, guckt euch die Bilder an, wenn sie in ein paar Tagen kursieren, schaut euch die Gesichter an. Die sind echt."
Shida Bazyar: "Drei Kameradinnen"
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
352 Seiten, 22 Euro