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Sicherer Test für die Geißel der Seefahrer

Ernährung. - Vitamin C-Mangel konnte in früheren Zeiten tödlich sein. Skorbut war viele Jahrhunderte eine Geissel der Seefahrt, bis die Schiffseigner in den sauren Apfel bissen und Vorräte von teuren Zitrusfrüchten an Bord der Schiffe anlegen ließen. Bis dahin hatten schon über zwei Millionen Soldaten und Seefahrer ihr Leben an dieser Mangelerkrankung gelassen. Britische Paläogenetiker haben jetzt eine Methode entwickelt, mit der auch frühe Skorbutstadien am Knochen nachzuweisen sind.

Von Michael Stang |
    Als Geißel der Seefahrer machte sich Skorbut einen bedeutsamen Namen. Grund für den Vitamin-C-Mangel, der Krankheit und Tod mit sich brachte, war die einseitige Ernährung bestehend aus Pökelfleisch und Schiffszwieback. Obwohl sich Skorbut zu Lebzeiten einfach an Zahnfleischbluten, einer schlechten Wundheilung oder an Einblutungen in der Haut und Haarfolikeln feststellen ließ, ist eine eindeutige Diagnose bei heutigen Ausgrabungen viel schwieriger, sagt Hannah Koon.

    "Skorbut kann man in archäologischen Hinterlassenschaften nur sehr schwer erkennen, da wir ja meistens nur noch Knochen finden. Zudem zeichnet sich Skorbut durch eine unglaubliche Vielfalt und vielerlei Stadien aus, die erst im Endstadium am Knochen zu sehen sind. Wir wollten daher eine Methode finden, mit der wir Skorbut schon im Frühstadium anhand winziger Veränderungen im Kollagen bestimmen können, auch wenn man es am Knochen noch nicht direkt sehen kann."

    Die Molekularbiologin von der Universität York entschied sich für das Knochenprotein Kollagen, das sich im Gegensatz zur DNA nahezu schadlos auch Tausende von Jahren in den archäologischen Hinterlassenschaften erhält. Um die einzelnen Stadien von Skorbut exakt bestimmen zu können, untersuchte sie Meerschweinchen im Labor, die genauso wie Menschen kein Vitamin C bilden können. Bei einer Mangelernährung leiden die Nager ebenso schnell an Skorbut wie einst viele Seefahrer. Koon:

    "Wir haben damit angefangen in Meerschweinchen nach solchen Biomarkern zu suchen. Wir hatten die Tiere auf eine Vitamin-C-Diät gesetzt und wussten so immer, wie groß ihr Vitamin-C-Mangel beziehungsweise wie weit fortgeschritten der Skorbut bei den Meerschweinchen war. Bei normaler Ernährung kann man bestimmte chemische Veränderungen der Peptide im Kollagen sehen. Bei einer Mangelernährung klappt das nur bedingt. Sämtliche dieser niedrigen Vitamin C Stadien konnten wir an unseren an Skorbut leidenden Meerschweinchen feststellen."

    Was bei den Meerschweinchen auf Anhieb klappte, wollte Hannah Koon als nächstes beim Menschen nachweisen. Dazu untersuchte sie die Gebeine norwegischer Seefahrer, die zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert in Spitzbergen an Skorbut gestorben waren und gleich vor Ort beerdigt wurden. Die Knochen der Walfänger zeigen Extremstadien des Vitamin-C-Mangels, die auf ein schmerzhaftes Siechtum hindeuten. Und wieder hatte die Britin Glück. Auch hier konnte sie problemlos Skorbut nachweisen. Ebenso konnte sie ihren Skeptikern zeigen, dass sich die Krankheit an ihrem Beginn sehr wohl in den Knochen niederschlägt. Diese hatten bezweifelt, dass sich das Kollagen bereits in den Frühstadien von Skorbut krankhaft verändert. Koon:

    "Als nächstes wollen wir diese Methode bei Menschen ausprobieren, die nicht an Skorbut gestorben sind, aber vermutlich auch an dieser Krankheit gelitten haben. Damit können wir auch Gruppen untersuchen, die nicht zur See gefahren sind, aber dennoch an Skorbut litten. Es geht darum, sämtliche Stadien am Kollagen zu untersuchen und festmachen zu können. Wenn wir dadurch auch die frühen Zustände erkennen können, also Monate, bevor die Leute schwer erkrankten, dann bekommen wir Einblicke in die Ernährung der Menschen, die mit bisherigen Methoden nicht möglich waren."

    Zudem kann Hannah Koon am Knochenkollagen sehen, ob und wie viel Vitamin C die Menschen mithilfe von Zitrusfrüchten zu sich genommen hatten. Obwohl die heilende Wirkung von Ascorbinsäure seit 1753 bekannt war, suchten viele Militärärzte noch Jahrzehnte lang nach billigeren Alternativen zu den exotischen Zitrusfrüchten. Bis dahin brachte die Geißel der Seefahrer weiter vielen Menschen den Tod.