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Sicherheitskur für Rettungsboote

Die Havarie des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia vor Italien hat erneut die Bedeutung der Sicherheitsmaßnahmen auf Großschiffen vor Augen geführt. Auch bei schlechter See müssen alle Passagiere gegebenenfalls evakuiert werden können - eine Herausforderung für die Sicherheitsingenieure.

Von Frank Grotelüschen | 18.01.2012
    Alarm an Bord eines Forschungsschiffs. Nur eine Übung. Dennoch kommt Hektik auf. Denn bei Alarm ist jedem Besatzungsmitglied eine bestimmte Aufgabe zugeteilt.

    "Brücke hört."
    "Ja, ich bin hier vor Ort. Frage Verständigung?"
    "Verständigung ist laut und klar."

    "Eine Durchsage an alle, hier spricht der Kapitän. Es ergeht die Anweisung zum Verlassen des Schiffes!"

    Die Mannschaft versammelt sich am Rettungsboot, die Schwimmwesten angelegt, fertig zum Verlassen des Schiffs. Dann aber die Entwarnung.

    "Die Übung ist hiermit beendet. Station aufklaren!"

    Übungen wie diese sind Pflicht, einmal im Monat müssen sie auf jedem Schiff stattfinden. Die Passagiere eines Kreuzfahrtschiffs dagegen erhalten nur eine Sicherheitsunterweisung, und zwar innerhalb von 24 Stunden nach dem Auslaufen. Dabei wird ihnen gezeigt, wie sie die Schwimmwesten anlegen und in welches Rettungsboot sie bei einer Evakuierung einsteigen sollen.

    "Es ist vorgeschrieben nach internationalem Standard, das für 125 Prozent der Passagiere und Besatzungsmitglieder Rettungsplätze vorhanden sein müssen - sowohl in Rettungsbooten als auch in Rettungsflößen", "

    sagt Ulrich Schmidt, er leitet die Dienststelle Schiffssicherheit an der Berufsgenossenschaft Verkehr in Hamburg. Außerdem vorgeschrieben: ausreichend viele Rettungswesten, sowohl in den Kabinen als auch bei den Rettungsbooten. Und eine Lautsprecheranlage, die jede Stelle im Schiff, wo sich Menschen aufhalten können, erreicht. Keiner soll in einem Notfall eine Alarmdurchsage überhören.

    " "Notbeleuchtungen sind auch vorgeschrieben. Selbst wenn der Strom ausfällt, muss sichergestellt sein, dass die Fluchtwege beleuchtet sind. Dass jeder seinen Weg findet, um zu seinem Rettungsmittel gelangen zu können."

    Es gibt also einiges an Sicherheits- und Evakuierungstechnik an Bord von Passagierschiffen. Nur: Wenn evakuiert werden muss, geschieht das oft unter extremen Bedingungen - bei schwerer See oder einer starken Schräglage des Schiffes wie jetzt bei der Costa Concordia. Kann dann die Technik versagen?

    "Das ist durchaus möglich. Es kann immer wieder eine Situation eintreten, wo man an die Grenzen stößt. Das lässt sich auch nie ganz ausschließen. Je nachdem, wie stark die Schlagseite ist, kriegen sie irgendwann auf einer Seite die Rettungsboote einfach nicht mehr zu Wasser, weil sie auf der Bordwand aufliegen."

    Dann helfen nur noch aufblasbare Rettungsflöße. Sie können selbst bei extremer Schlagseite ins Wasser geworfen werden. Der Nachteil: Meist müssen die Passagiere erst ins Wasser springen, um dann irgendwie ins Rettungsfloß zu klettern. Bei schwerer See und kaltem Wasser ist das schwierig, gerade für ältere Passagiere. Deshalb suchen Sicherheitsexperten wie Ulrich Schmidt nach Alternativen.

    "Im Moment wird sehr stark diskutiert über die Aussetzsysteme der Rettungsboote. Diese Haken, an denen die hängen und ausgesetzt werden, sind eine ständige Gefahrenquelle. An der Verbesserung dieser Systeme wird zurzeit intensiv gearbeitet."

    Auf Frachtschiffen sind mittlerweile sog. Freifallboote Standard - Boote, in denen die Besatzung erst auf einer schiefen Ebene abwärtsrutscht und dann im freien Fall ins Meer stürzt. Eine vergleichsweise sichere Technik. Doch für Kreuzfahrer kommen sie kaum infrage. Freifallboote sind einfach zu klein, man bräuchte also viel zu viele Boote, um Tausende von Passagieren evakuieren zu können. Darum favorisiert Schmidt ein anderes Patent:

    "Da gibt es Systeme, die sind vergleichbar mit Notrutschen, wie man sie aus der Luftfahrt kennt: Dass die Leute in einem Rettungsschlauch in die Rettungsflöße rutschen können."

    Und: Kreuzfahrtschiffe werden immer größer - und damit auch die Passagierzahlen, die bei einer Evakuierung zu bewältigen sind. Deshalb sollte man über die maximale Passagierzahl nachdenken, für die Rettungsboote heute zugelassen sind.

    "150 ist der Standard. Das ist auch zurzeit die höchstzulässige Größe. Aber man denkt durchaus über größere nach und ist dabei, so etwas zu entwickeln. Hätte den Vorteil, dass man mit weniger Booten und möglicherweise schneller die Leute von Bord kriegt."

    Künftig sollten 300 Menschen in einem Rettungsboot Platz finden statt wie heute maximal 150, meint Ulrich Schmidt. Nach der Katastrophe der Costa Concordia jedenfalls dürften die Behörden ihre bisherigen Vorschriften noch einmal kritisch überdenken.

    "Möglicherweise ist dieses Unglück ein Anlass, um diesen Prozess noch zu beschleunigen und zu verbessern."