"Erotisch" nannte man das vor der sexuellen Revolution, und das Erotische wird bei Wolfgang Schmidt durchgängig beschworen. Da vollzieht der Tuchhändlers den gemeinsamen Selbstmord mit seiner gemütskranken Frau in zweideutiger Stellung in der Badewanne, da fertigt Zacharia von Gretchen Aktbilder, die sie zum Vorwurf verleiten: "Warum malst du meine Vagina so widerlich?" - und der Leser muß sich zwangsläufig fragen, wieso man die Vagina überhaupt darauf sieht? Auch die nachfolgende Beschreibung ändert nichts daran, daß das Wort ein inneres Organ bezeichnet, es - wenn überhaupt - "Vulva" heißen müßte, und der Satz dann immer noch von bizarrer Gespreiztheit wäre. Wann immer es konkret wird in dieser Novelle, kommt es zur sprachlichen und erzählerischen Bruchlandung. Dann nämlich rutscht das geheimnisumwitterte, immer nur umschriebene Körperlich-Sexuelle, das den Text förmlich durchtränkt, in die kalte, bildlose Sprache der Medizin ab, und man kann spüren, wie schwer es dem Autor fällt, die selbst gesetzten Hürden zu überwinden. Auch vorm Gegenteil ist er nicht gefeit, der überladene Kitsch gehört ebenfalls ins Repertoire: "Ihr Schoß war golden wie ein Blatt im Herbst" - das blonde Schamhaar mag sich da geschmeichelt kräuseln.
"Erotisch" nannte man das früher, und der Weg von beklemmender Atmosphäre zu verklemmter Literatur war kurz. Diese Art von Altherrenprosa mag im Anbruch einer neuen Zeit ihren Stellenwert gehabt haben - also etwa gegen Ende der fünfziger Jahre - aber heute, gegen Ende des Jahrhunderts, taugte sie selbst als Dokument kaum noch etwas - wenn sie denn ein Dokument wäre. In diesem Punkt hält sich der Klappentext bedeckt; die Neuerscheinung anno 1997 kann sehr wohl von Wolfgang Schmidt in den Fünfzigern geschrieben worden sein und in der Schublade überdauert haben, und so manches an dem Buch nährt diesen Verdacht. Die Stellen, die literarisch aufhorchen lassen, sind rar gesät, etwa wenn die Obduk-tion des Selbstmörderpaares durch den ungeübten Hausarzt geschildert wird, der sich vom Sektionsgehilfen sagen lassen muß, wo er welche Schnitte anzubringen hat. Da lebt die sonst betont umständliche Prosa für einen Moment, um alsbald wieder ins Umfeld längst entschwundener Autoren wie Wiechert, Binding, Hagelstange einzutauchen. Aber wie war das mit der Zeitgenossenschaft? Wo sie nicht vorliegt, mag es immerhin einige Menschen geben, die selbst in anderen Epochen leben und lesen. Für sie gilt das Gesagte als Empfehlung.