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"Sie werden uns nie los"

Travellers oder Gipsies heißt das fahrende Volk in Groβbritannien. Insgesamt wird ihre Zahl auf 300.000 geschätzt. Immer wieder kommt es zu Spannungen mit der lokalen Bevölkerung. Ein Modellprojekt in Sussex kümmert sich jetzt um legale und gut versorgte Plätze.

Von Ruth Rach |
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    Ein Rastplatz im Nirgendwo, am Rande einer Schnellstraβe zwischen Brighton und Eastbourne. Der Verkehr brüllt rund um die Uhr.

    Auf diesem Parkstreifen machen Gipsies und Travellers schon seit Jahrzehnten Station, erzählt Heather Nicholas, sie wohnt im benachbarten Örtchen Lewes. Die Leute hatten einen schlechten Ruf. Der Platz war total vermüllt.

    Aber dann taten sich mehrere südenglische Kommunen zusammen. Sie legten den Raststreifen neu an: komplett mit Duschen, Toiletten, Stromanschluss, Müllentsorgung und asphaltierten Parkplätzen eigens für Traveller. Dort dürfen sie maximal drei Monate bleiben.

    Auf dem Rastplatz stehen drei chromblitzende cremefarbene Wohnmobile und ein dicker Mercedes. "Komm doch einfach rein, du musst dich nicht extra anmelden", sagt ein junges Mädchen. Sie trägt modische Leggings und ein Designertop. Ihr helles blondes Haar ist kunstvoll verwuschelt.

    Ihre Freundin sitzt am Tisch und schneidet Gemüse. Türkisfarbene Augen, blütenweiße Jeans, adretter Kurzhaarschnitt. Maria und Farina, keine Campingurlauber, sondern irische Travellers, Gipsies.

    Ich wurde in dieses Leben hineingeboren, erzählt Farina. Ihre Eltern stammten aus Irland. Farina ist seit ihrer Kindheit unterwegs.

    Maria hat vorübergehend in einem Haus gewohnt, aber im Wohnwagen fühlt sie sich viel sicherer. Ihr Vater stammt aus Wales. Irische Travellers seien eine groβe Familie: Sie würden ihre Mitglieder bis aufs Blut verteidigen.

    Farinas Wohnwagen ist so sauber, dass man vom Küchenboden essen könnte. Vorhänge und Teppiche sind schneeweiß. Die Sofas aus hellem Wildleder.

    Du kannst uns Zigeuner nennen oder fahrendes Volk. Das kratzt uns nicht. Aber – selbst wenn wir uns auf groβen Festen manchmal total offenherzig kleiden - auf Schimpfworte wie Flittchen oder Alkis reagieren wir sehr empfindlich.

    Farina fuchtelt mit dem Küchenmesser. Sie ist sehr stolz, sehr unabhängig und sehr katholisch.

    "Wir gehen in die Kirche. Wir heiraten fürs Leben. Wir rauchen nicht, wir trinken nicht, und wir verlangen Respekt, von allen Menschen, auch von der Königin. Wenn du uns nicht respektierst, werden wir dich auch nicht respektieren."

    In den 13 Jahren unter Labour ist die Zahl der Gipsy-Wohnwagen in Groβbritannien von 12.000 auf 18.000 gestiegen. Labour hatte die Kommunen angewiesen, mehr Plätze zur Verfügung zu stellen. Die Travellers wiederum beriefen sich auf die Menschenrechtskonvention – Stichwort Schutz der Minderheiten - und waren nur zu vertreiben, wenn angemessene Alternativen zur Verfügung standen. Ganz anders als auf dem europäischen Festland, erzählt Farina.

    "Die deutsche Polizei hat uns innerhalb von drei Stunden von einem Rastplatz verjagt, das war echt brutal. Die denken, wir sind Untermenschen. Das würde uns hier nicht passieren. Selbst wenn du irgendwo illegal stehst, geben sie dir wenigstens eine Nacht Zeit."

    Aber auch auf Roma und Zigeuner vom Kontinent sind Maria und Farina schlecht zu sprechen.

    "Sie sind schmutzig, sie klauen, sie betteln - nicht alle, aber die meisten. Wenn die auf unseren Rastplatz kämen, würde ich sie überfahren."

    Rosa, sechs, ist aufgewacht. Sie ist wie eine Prinzessin herausgeputzt. Kümmert euch um die Kleine, sagt Farina zu ihren zwei Söhne. Sie gehorchen aufs Wort.
    In der Grafschaft Sussex gibt es mobile Lehrer und Krankenschwestern eigens für Travellers. Die meisten Travellers seien selbstständig, arbeiteten als Handwerker, im Antiquitätengeschäft, aber auch im IT-Gewerbe. Die wenigsten hätten ein Bankkonto, sie lehnten Staatshilfe zumeist ab, erklärt ihr Sonderbeauftragter bei der Polizei. Er ist stolz auf das Sussex-Modell. Aber die neue konservativ-liberale Regierung hat die Mittel für neue Rastplätze bereits gestrichen. Farina und Maria machen sich dennoch keine Sorgen.

    "Sie werden uns nie los. Wir werden immer in unseren Wohnwagen bleiben. Und wenn sie neue Gesetze einführen, werden wir sie immer wieder brechen."