Im Eastend von Freetown ist diese Version des einstigen Welthits "Another Day in Paradise" quasi Programm. An einem Sonntag im Oktober spielt das Lied auf einem Ascheplatz mit kleiner Tribüne, der nur durch eine flache Betonmauer von der lauten Straße getrennt ist. Neben dem Spielfeld kommen die Mannschaften zusammen, der Trainer des FC Johansen stellt seine Spieler auf den Gegner ein, Central Parade.
"Das Spiel heute ist sehr wichtig, damit wir oben dranbleiben. Wir wollen im kontinentalen Geschäft spielen, damit unsere Einnahmen steigen und wir mehr investieren können", sagt Kemoh Sesay, der Pressesprecher des FC Johansen, der heute das Heimrecht in diesem kleinen Stadion hat. "Im Moment stehen wir auf Platz neun der Tabelle, aber das ist kaum aussagekräftig. Wegen der Pandemie haben nicht alle Mannschaften gleich viele Spiele hinter sich. Vieles ist ausgefallen. Deswegen müssen wir heute auch auf diesem kleinen Platz spielen, weil mehrere Partien gleichzeitig stattfinden. Eigentlich würden wir im National Stadium spielen. Da wären dann vielleicht 20.000 oder 15.000 Zuschauer."
Einer der populärtsten Klubs des Landes
Kemoh Sesays Prognose scheint optimistisch. Ins ärmere Eastend von Freetown sind heute keine 500 Personen an den Platz gekommen, um diese Partie der Premier League von Sierra Leone zu sehen. Dabei stimmt es, dass der Gastgeber FC Johansen zu den populärsten Klubs des Landes gehört. Denn ob man ihn nun sportlich unterstützt oder nicht: Auf eine gewisse Weise ist so gut wie jeder ein Fan.
"Unser Klub hat sich 2004 gegründet, gerade nach dem Bürgerkrieg. Unsere Gründerin, Madame Isha Johansen, ist eine Philanthropin. Sie sah damals, wie Kinder auf der Straße Fußball spielten, und sie wollte ihnen eine neue Perspektive geben."
Als Anfang 2002 der Bürgerkrieg endete, hatte das westafrikanische Sierra Leone einen elfjährigen, brutalen Konflikt hinter sich. Teilweise finanziert durch Erlöse aus dem Diamantengeschäft, bekriegten sich Regierung, Rebellen und weitere Gruppierungen. Früher oder später wurden Kinder bewaffnet und in den Konflikt gezogen. Mit Hilfe internationaler Truppen endete kurz nach der Jahrtausendwende ein Krieg, den heute praktisch jeder als sinnlos bezeichnet. 70.000 Menschen starben, 2,6 Millionen verloren ihr Zuhause, ein bereits armes Land wurde in seiner Entwicklung um Jahrzehnte zurückgeworfen.
"Madame Johansen kaufte uns Ball und Schuhe"
Aber der FC Johansen ist einer der ersten Lichtblicke aus Friedenszeiten. Daran erinnert sich Abu Bakarr Bah, der zu den ersten Spielern zählte: "Kurz nach dem Krieg war ich ein Kind, wir haben uns jeden Tag auf der Straße getroffen und mit einem Ball aus Fetzen gespielt. Im Krieg hatten viele von uns Eltern oder Geschwister verloren. Einige waren auch auf eine Weise in den Krieg involviert. Als Madame Johansen uns auf der Straße sah, kaufte sie uns einen richtigen Ball und Schuhe. Dann gründete sie für uns einen Verein und machte es zur Bedingung, dass wir gleichzeitig zur Schule gingen. So etwas hätte ich mir für mein Leben niemals vorstellen können. Bis 2010 habe ich für FC Johansen gespielt. Heute arbeite ich für den Verein. Sportlich mithalten könnte ich nicht mehr."
Im Nachwuchsbereich gewannen die Spieler des FC Johansen sogar internationale Turniere. Und als der erste Jahrgang des anfänglichen Jugendprojekts das Erwachsenenalter erreichte, meldete die Mäzenin Isha Johansen ihren Klub im Herrenbereich an. Bald gelang der Aufstieg in die nationale Premier League. Seitdem ist der Klub ein Symbol für die Erholung vom Bürgerkrieg.
So sieht es auch Augustus Lawson. Der 70-jährige Ex-Nationalspieler von Sierra Leone steht am Spielfeldrand und beobachtet das Geschehen mit neutralem Interesse, sagt er: "Es ist toll, was dieser Klub leistet. Sie haben ein richtiges Nachwuchssystem etabliert, das mit Schuldbildung gekoppelt ist. Das ist für alles Mögliche gut, und auch für unseren nationalen Fußball. Als ich jung war, war Sierra Leone mal eine starke Fußballnation. Der Krieg warf dann alles zurück, damals spielte niemand mehr Fußball. Aber jetzt wird es wieder besser. Ohne Madame Johansen wäre das alles nicht möglich gewesen."
Jeder erwähnt Isha Johansen
Jeder, der hier etwas über Fußball und den FC Johansen erzählt, erwähnt Isha Johansen, die Namensgeberin des Klubs. Johansen selbst ist nicht vor Ort, für ein Interview mit dem Deutschlandfunk hatte sie auch keine Zeit, weil sie außer Landes ist. Johansen ist der Spross einer wohlhabenden Familie, war vor einigen Jahren die erste weibliche Präsidentin des sierra-leonischen Fußballverbands. Heute sitzt sie im Rat der FIFA. Gegner haben ihr schon Korruption vorgeworfen. Aber hier, im Eastend von Freetown, spricht man nur von den Errungenschaften Isha Johansens.
Das Spiel verläuft im wahren Sinn holprig. Kaum ein gerader Pass kann gespielt werden, weil der Platz dafür viel zu uneben ist. Potenziale zur Weiterentwicklung sind auf diversen Ebenen sichtbar. Auf den Toiletten fehlt fließendes Wasser, beim Eingang an der Straße lässt sich kaum kontrollieren, ob der Eintrittspreis von 10.000 Leonean – oder 80 Cent – auch wirklich bezahlt wurde.
Beeindruckend ist dafür die Friedfertigkeit, mit der die Menschen hier 20 Jahre nach einem verheerenden Bürgerkrieg miteinander umgehen. Abdul Karim Fofanah, Trainer des FC Johansen, erklärt dies nach Abpfiff so: "Der Krieg ist Vergangenheit, daran denkt niemand mehr. Das haben wir hinter uns. Ich habe damals bei der Civil Defence Force meine Nachbarschaft beschützt. Aber wenn ich heute jemanden sehe, der damals gegen meine Gegend gekämpft hat, spielt das keine Rolle mehr. So Dinge wie Fußball helfen uns dabei, das alles zu vergessen. Wir alle mögen Fußball, das bringt uns zusammen.
Sierra Leone spielt beim Afrika-Cup
Tatsächlich ist Sierra Leone in Westafrika heute als sicheres, friedliches Land bekannt. Und im nächsten Jahr spielt die Nationalmannschaft, der auch einige Spieler des FC Johansen angehören, zum ersten Mal seit 1996 beim Afrika-Cup. Es ist der größte Erfolg des Landes seit Ende des Bürgerkriegs.
An diesem Sonntag aber sieht es zumindest für den FC Johansen nicht gut aus. Nach einem Konter gewinnen die Gäste von Central Parade mit 1:0. Eine schwere Niederlage im Kampf um die oberen Tabellenplätze. Aber bei Johansen denke man eher langfristig, sagt nach Abpfiff der Mannschaftskapitän Abdul Kamara: "Wir haben heute nicht ins Spiel gefunden. Wir waren heute nicht gut organisiert. Aber immerhin haben ein paar unserer Nachwuchsspieler zugesehen. Ich hoffe, die haben gesehen, woran es uns gemangelt hat. Wenn ich meine Karriere beende, will ich Trainer werden und den Nachwuchs ausbilden. Das ist nämlich auch gute Entwicklungsarbeit für alle.
Denn wer zusammenspiele, glaubt Abdul Kamara, der wird sich später nicht bekriegen. Beim FC Johansen wisse man dies ganz genau.