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Simulator für die Haut

Medizin. - Tierversuche sind nicht nur für Tiere und Untersuchende belastend, überdies lassen sich die Ergebnisse nicht unbedingt auf den Menschen übertragen. Deswegen sollen die Versuche ab 2009 aufhören. Am nötigen Ersatz arbeitet man in Stuttgart am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik. Dessen Hautmodell wurde kürzlich zertifiziert.

Von Cajo Kutzbach |
    Wenn man Tierversuche ersetzen will, müssen die alternativen Tests genauso reagieren wie lebendes Gewebe. Das erfordert einigen Aufwand. Im Labor des Fraunhofer-Institutes für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart stehen deshalb nicht bloß Mikroskope und Laborgeräte, sondern auch ein Brutkasten. Dr. Michaela Weimer hat ein Verfahren entwickelt, um Haut in einer Zellkultur herzustellen. Dazu benutzt sie menschliche Hautzellen von Operationsabfällen. Die Forscherin holt aus einem Schrank ein kleines Tablett. Darauf befindet sich in Fingerhut-große Glasnäpfen eine gelbliche Flüssigkeit, in der kleine Hautscheiben schwimmen:

    "Ganz unspektakulär. Dieses kleine, ein Zentimeter große Collagen-Gel, das ist die Haut. Im Brutschrank bei 37 Grad Celsius und Gasversorgung wachsen die über einen gewissen Zeitraum - sechs Wochen lang - werden optimal versorgt. Und später sieht man dann in der Histologie, wie die Haut aufgebaut ist."

    Diese künstliche Haut aus dem Brutschrank besteht ganz wie normale Haut aus zwei Schichten, Ober- und Unterhaut. Dank der menschlichen Hautzellen sind Tests mit dem neuen Gewebe aussagekräftiger als mit Labormäusen. Im Nachbarraum verfolgen zwei Mitarbeiter auf einem Bildschirm, wie sich eine Gewebeprobe unter dem Mikroskop verändert. Biologieprofessorin Heike Mertsching, Leiterin der Abteilung Zellsysteme, zählt auf, was hier durch Aufbringen verschiedener Substanzen untersucht werden kann:

    "Ob es einen Einfluss auf das Gewebe hat, ob sich die Zellen verändern, oder wir eine Entzündungsreaktion hervorgerufen haben. Das ist das eine. Und das andere ist, dass wir die Möglichkeit haben, diese Gewebe in eine Kammer zu legen - die sehen sie da vorne - dann Substanzen oder auch andere Zellen darauf zu geben und dann über Tage alle zwei Minuten eine Aufnahme zu machen und so Interaktionen tatsächlich im Prinzip "online" studieren zu können."

    Man sieht also nicht nur die Wirkung, sondern kann auch verfolgen, wie sie entsteht. Das macht es zum Beispiel möglich, kleine Verletzungen und deren Heilung zu untersuchen. Aber auch, wie Krebs, Infektionen oder Pilze auf die Haut wirken. Manche Krebszellen wuchern nur an der Hautoberfläche, andere dringen tiefer ins Gewebe ein, was dann auch eine andere Behandlung erfordert. Ganz ähnlich ist es bei Infektionen oder Hautpilz. Das neue Hautmodell zeigt aber auch, welche Medikamente helfen und wie sie wirken. Dabei kann man sogar feststellen, ob Stoffe, wie etwa Feinstaub, durch die Haut bis ins Blut gelangen können. Michaela Weimer:

    "Wir haben eine Matrix, die diese Blutgefäße hat. Und man kann dann diese Haut auf dieser Matrix kultivieren und hat dann die Möglichkeit eben auch von solchem Feinstaub, von solchen feinen Partikeln den Übergang zu messen von der Haut bis in das Blutgefäßsystem."

    Auf diesem Blutgefäßsystem kann man die künstliche Haut nicht nur sechs Tage, sondern Monate lang benutzen. Genauso kann man andere Zellen ansiedeln, die man ebenfalls mit dem künstlichen Blutkreislauf ernährt. Mit diesem "Künstlichen Organ" hofft Heike Mertsching ein Testsystem zu schaffen, dass fast so vielseitig wäre wie der menschliche Körper:

    "Unser Fernziel ist es, dass wir alle Körperbarrieren simulieren wollen, deshalb bauen wir zum Beispiel auch ein Atemwegsmodell auf. Wir haben das Hautmodell, wir haben ein Darmmodell. Das sind diese drei Körperbarrieren. Und alle Stoffe, die wir dann aufnehmen, kommen dann auch zur Leber. Die Leber ist die Hauptentgiftung. Deshalb haben wir das Lebermodell. Und unser Traum ist es natürlich, alle diese Systeme hintereinander schalten zu können. Das heißt, dass ich tatsächlich testen kann, was passiert, also simulieren würde, wie es im menschlichen Körper abläuft. Aber das ist Zukunftsmusik."

    Heute schon kann das neue Hautmodell vielen Labormäusen das Leben retten, denn die werden für solche Versuche in Zukunft nicht mehr gebraucht. Es taugt nicht nur für Medizinprodukte und Kosmetika, sondern auch für alle möglichen Chemikalien, vom Spülmittel bis zum Feinstaub. Damit kommt es grade rechtzeitig, denn mit ihrer neuen Chemikalienverordnung hat die EU kürzlich beschlossen, 30.000 Substanzen auf ihre Gesundheitsverträglichkeit prüfen zu lassen.