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Sind Lehrer noch zu retten?

Vor drei Jahren sorgte das Institut für Psychologie der Universität Potsdam mit einer Analyse der psychischen Gesundheit im Lehrerberuf für Aufsehen. Damals zeichneten die beteiligten Wissenschaftler ein problematisches Bild des von Überarbeitung und Frustration geprägten Lehreralltags auf. Jetzt veröffentlichen sie den zweiten Teil ihrer Untersuchungen und geben in ihrem neuen Buch auch praktische Ratschläge.

Von Eva-Maria Götz |
    Wie schon 2004 unterteilten die Autoren der Potsdamer Lehrerstudie ihre diesmal rund 8.000 neuen Probanden nach der Befragung in vier Risikomuster. Dabei ging es nicht nur um Belastungssymptome wie körperliche und psychische Beschwerden, sondern auch um die innere Einstellung zum Beruf, um Kompetenzen und Erfahrungen. In das Verhaltensmuster G passen danach Menschen mit hohem beruflichen Engagement und einer starken Belastbarkeit. G steht für "Gesund". In das Raster S fallen diejenigen, die eine ausgeprägte
    Schonungstendenz gegenüber der beruflichen Anforderung entwickelt haben. Muster B ist gemeinhin als Burn-Out-Syndrom bekannt, es betrifft Berufstätige, die nur noch wenig belastbar sind und ein deutlich negativ geprägtes Lebensgefühl haben und das gilt für immerhin 29, 3 Prozent der befragten Lehrer. Auf die größte Gruppe trifft allerdings Muster A zu.

    Ulf Kieschke: "Das Muster A, das verweist auf ein Konzept aus den Sozialwissenschaften Anfang der 80er Jahre, als man sich über so genannte Managerkrankheiten ausgetauscht hat und die Frage, ob zuviel Engagement nicht möglicherweise pathogen ist und Krankheiten verursachen kann, also möglicherweise das Infarktrisiko steigert. Wie man heute weiß, ist es zu kurz gegriffen, wenn man das Ganze nur auf das Engagement münzt, die Frage ist immer, mit welchen Voraussetzungen stemmt man ein solches Engagement, und bei unseren Versuchen ist es auffällig, dass die Leute in Muster A schlecht nur mit Widerstandsressourcen ausgestattet sind, das heißt, das sind Leute, die eher unruhig sind, die sich schnell aufreiben, die Ärgerlichkeit nicht so schnell wegstecken."

    Zu Beginn der Berufstätigkeit zeichnet sich diese Gruppe noch durch überdurchschnittlich hohes Engagement aus, das jedoch bald nachlässt und ein Gefühl von Leere und Vergeblichkeit hinterlässt.

    "Da grade vor allem deswegen, weil sie den Eindruck haben, dass das, was sie da leisten, nicht so recht gewürdigt wird, weder von den Kollegen noch von den Schülern, und das kann sich unter Umständen verschlimmern zu einer regelrechten Gratifikationskrise, also dem Eindruck, dass man permanent unterbezahlt ist, dass man nicht soviel emotionalen Profit ziehen kann aus dem, was man da tut, und das Dinge, die man selbst beisteuert, einfach nicht recht anerkannt werden."

    33 Prozent der Befragten müssen dieser Gruppe zugeordnet werden und damit hat sich diese Anzahl gegenüber der letzten Studie von 2004 noch um drei Prozent erhöht. Keine Entwarnung also für den Lehrerberuf, obwohl sich die Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren schon verändert haben. Zum Beispiel wurde in allen Bundesländern neue Konzepte für die Ganztagsschule erarbeitet und zum Teil auch schon umgesetzt. Wie wirkt sich das auf den Lehreralltag aus?

    "Im Moment ist das so, dass das, was unter Ganztagsschule gebündelt wird, immer noch sehr heterogen ist. Da gibt es die Varianten, wo nur die Präsenzzeit erhöht worden ist. Es gibt dann allerdings auch noch die Schulen, wo mit Arbeitszimmern für Lehrer gute Erfahrungen gemacht worden sind. Was wir aus den Daten und aus der relativ aufwendigen Tagebuchstudie wissen, ist, das sich offenbar in Ganztagschulen die Belastung für die Lehrer nicht so massiv erhöht, wie das häufig befürchtet wurde, sondern das im Gegenteil das Belastungsniveau ein bisschen unter das Niveau rutscht, das wir bei typischen Halbtagsschulen sehen. Vor allem bei der Wochenendarbeit. Da kürzen sich dann Stundendeputate, die man am Wochenende noch ableistet für Schultätigkeiten dann doch zusammen für die Ganztagslehrer und das ist sicherlich eine Tendenz, die man weiter ausbauen muss."

    Gründe dafür, warum sich Lehrer so schnell und gründlich verbraucht fühlen, haben die Autoren mithilfe einer Tagebuch-Ermittlung herausgefunden. In ihren Aufzeichnungen klagen die Lehrer über außerordentliche Kraftanstrengungen, die ihnen geballt über Stunden hinweg abgefordert werden ohne die Möglichkeit, zwischendurch abzuschalten. Am Nachmittag werden die Probleme aus der Schule dann mit nachhause getragen und auch hier gibt es wieder keine Möglichkeit zur Entspannung. Am Ende steht oft die 50-Stunden Woche.

    "Bei den Lehrern findet man relativ häufig, dass das in so eine Art "Selbstausbeutungs-System" einmündet, dass also grade dadurch, dass man hier selbst entscheidet und abwägt, wie viel Zeit wofür verwendet wird, die Tendenz zur Selbstüberbeanspruchung relativ groß ist."

    Als Konsequenz ihrer Untersuchung fordern die Autoren ein neues Arbeitszeitmodell für Lehrer, dass nicht nur Unterrichtsstunden, sondern auch deren Vor- und Nachbereitung sowie die Zeiten, die Lehrer heutzutage mit Erziehungsaufgaben und Elternbetreuung verbringen, berücksichtigt. Ebenso wichtig ist eine verbesserte Kommunikation innerhalb des Kollegiums. Denn auch dies ist ein Ergebnis der Studie:

    "Man muss noch mal hervor streichen, dass hier so ein kleines Paradox steckt, dass also alle Welt in der Lehrerschaft darauf dringt, dass Zusammenarbeit gefördert werden müsste, dass so was wie Teambildungseffekte Vorteile hätten für alle und trotzdem ist ein noch immer recht kleiner Prozentsatz bereit, solche Dinge aktiv von seiner Seite aus anzubahnen. Es ist ja nicht nur so, dass der andere einem Materialien aushändigt oder darauf lauert, dass man mal in ein Gespräch kommt mit ihm, es ist ja auch zumindest in Teilen an einem selbst, hier die Initiative zu ergreifen."

    Dafür gibt es in dem neu erschienenen Buch einen Fragebogen, den man auch über die Internet- Seite des deutschen Beamtenbundes herunterladen kann. Dieser Arbeits- Bewertungscheck, kurz: ABC- L soll Lehrkräfte aus ihrer kräftezehrenden Einzelkämpfersituation befreien und auch Schulleitern zu einer größeren Transparenz im Lehrerzimmer verhelfen.

    "Dieses Verfahren ist so angelegt, dass möglichst ein großer Prozentsatz des Kollegiums diese Fragebögen ausfüllt und dann kann eine Schulauswertung veranlasst werden, es kann auch online ausgewertet werden. Also die Daten der einzelnen Lehrer, natürlich dann anonym, werden eingetragen in eine Art Arbeitsblatt und man bekommt eine Auswertung, wie dann im Schnitt die einzelnen Arbeitsbedingungen an der jeweiligen Schule eingestuft werden und man hat auch Angaben darüber, wie einig sich die Lehrer diese Schule sind. Statt sich immer nur auf den relativ persönlichen Eindruck zu stützen, dass Dinge nicht funktionieren, hätte man hier einfach eine ganz gute Argumentationsgrundlage, wenn man sieht, dass über 70 Prozent der Kollegen nicht einverstanden sind, dann ist das ein relativ hartes Datum, mit dem man sich dann auseinandersetzen kann und muss."

    Ein zweiter Fragebogen mit der dringlichen Überschrift "Fit für den Lehrerberuf?" wendet sich an Lehramtsstudenten. Denn auch in der falschen Herangehensweise an den Beruf sieht die Potsdamer Lehrerstudie einen maßgeblichen Grund für das schnelle Erkalten der inneren Flammen, die man braucht, um sich in diesem anspruchsvollen Arbeitsalltag behaupten zu können.

    "Anderseits haben wir grade bei Studenten immer wieder relativ kritische Situationen herausarbeiten können, dass nämlich relativ viel Lehramtskandidaten sich gar nicht so sehr begeistern für Arbeit mit Schülern, Arbeit mit Kindern, die ja nun das Kerngeschäft für Lehrer ist, sondern für das Fach sich großartig begeistert zeigen. Das ist sicher auch eine ganz hervorragende Voraussetzung, um sich mit der Materie auseinanderzusetzen. Aber man muss sich eben immer vergegenwärtigen: es geht nicht darum, dass man sich hier Spezialwissen aneignet für den Hausbedarf, sondern das man dieses Fach vor Schülern zu vertreten hat. Und das scheint dann in vielerlei Hinsicht ein Knackpunkt zu sein."


    Info:
    Uwe Schaarschmidt und Ulf Kieschke: "Gerüstet für den Schulalltag- Psychologische Unterstützungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer", Beltz Verlag 2007