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Skandal in Macerata

Der Leiter des Opernfestivals im italienischen Macerata, Pier Luigi Rizzi, gilt als konservativer Regisseur. Doch nun überrascht er das Publikum mit einer "unzüchtigen" Inszenierung von Mozarts "Don Giovanni": ein Skandal.

Von Thomas Migge |
    Don Giovanni im Bett mit Masetto. Ildebrando D'Arcangelo, meisterhaft in der Rolle des tombeur des femmes, Arm in Arm mit William Corrò. Die beiden Männer umarmen sich und vollführen angedeutete erotische Stellungen. Ein Teil des sommerlichen Publikums ist entsetzt. Vor allem die vielen Deutschen, die in der Umgebung von Macerata am Meer Urlaub machen und sich auf einen netten Mozart-Abend unter abendlichem Sternenhimmel gefreut hatten.

    Beim Finale verließen aufgebrachte Zuschauer sogar das steinerne Halbrund des Sferisterio-Freilufttheaters: Don Giovanni versank nicht im Bühnenuntergrund, wie man es ja oft zu sehen bekommt, sondern unter den nackten Körpern junger Männer und Frauen, die auf der Bühne eine Orgie vollzogen.

    Jetzt ist von Skandal die Rede. Nur wenige italienische Rezensenten lobten die Inszenierung, die beim "Sferisterio Opera Festival" für großes Aufsehen und ein Publikum sorgte, das entweder lautstark jubelte oder aber buhte.

    Pier Luigi Pizzi amüsiert sich köstlich über den, so die Tageszeitung "La Repubblica", "Fall Don Giovanni" - und er braucht nicht zu fürchten, nicht mehr als Regisseur an das 1829 fertig gestellte Open-Air-Theater in Macerata gerufen zu werden - das über eine 90 Meter lange und bis zu 20 Meter breite Bühne verfügt. Pizzi ist Herr im Haus - so unbeschränkt, dass seine Position wirklich einmalig ist:

    "Als man mich vor vier Jahren gebeten hatte, hier die Direktion zu übernehmen, sagte ich: Gut, ich komme, aber nur wenn eine Bedingung erfüllt wird. Ich will alles allein entscheiden. Man gab nach, und so bin ich in der beneidenswerten Position, über das Programm, die Regisseure und die Sänger und den ganzen Rest zu entscheiden. So entschied ich als Erstes, der ja schon seit 40 Jahren existierenden Opernsaison in Form eines Festivals eine Identität zu geben, das heißt, ein Thema für jede Saison."
    Seit Pizzis Machtübernahme am Sferisterio werden in jeder "Stagione", immer im Juli und August, sechs Opern geboten. Nur das was ihm gefällt. Viel Mitspracherechte hat niemand - weder die Stadtverwaltung, die einen Teil des Geldes für die Saison gibt, noch die Sponsoren. Die Publikumsgunst scheint seiner Alleinherrschaft Recht zu geben. Das Theater ist fast immer ausverkauft.

    Bekannt aber auch kritisiert wird Pizzi seit langem wegen seiner recht üppigen und in der Regel gediegenen Bühnenausstattungen, die nicht selten ins leicht Kitschige abdriften und wegen seiner - bis zu seinem diesjährigen ganz aus der Reihe fallenden "Don Giovanni" - traditionellen Regiearbeiten.

    Pizzi bietet in Macerata Klassisches und auch Auftragswerke - in diesem Sommer "Le Malentendu" nach einem Drama von Albert Camus mit der Musik von Matteo D'Amico. Jede Saison erhält vom "Maestro" einen Titel. In diesem Jahr: "Der Betrug". Neben Mozarts "Don Giovanni" wurden unter anderem "Madama Butterfly" und "La Traviata" aufgeführt.

    "Dieses Theater hatte große Moment erlebt. Hier sangen Monserrat Caballè, Marilyn Horn und viele andere Stars. Doch mit den Jahren wurde das hier nur eine nette Sommerveranstaltung, mit mittelmäßiger Qualität. Hier fehlte ein künstlerisches Gesamtkonzept."

    Und das liefert Pizzi. Mit thematischen Veranstaltungsreihen. Und mit seiner Präsenz. In jeder Saison übernimmt der Regisseur, Bühnenbildner und Kostümist mindestens zwei Inszenierungen.

    Pizzi mag das sogenannte Regietheater nicht. So nutzt er das Festival auch dazu, seine Vorstellung einer rigoros klassischen Opernregie zu realisieren, die an der Scala, wo er viele Jahre regelmäßig arbeitete, und in anderen italienischen Häusern seit einiger Zeit nicht mehr gefragt ist. Und er gibt seinen Schülern die Chance, sich auf der gigantischen Bühne des Sferisterio auszuprobieren. Wie in diesem Jahr Massimo Gasparon, der in einer neuen La-Traviata-Inszenierung für die Regie, die Bühnenbilder und die Kostüme verantwortlich war.

    Auch wenn Pizzi das Gegenteil behauptet: Das Festival in Macerata ist zu einer Pizzi-Regie-Schule und einem Pizzi-Festival geworden. Ein Unikum, das solange nicht in Zweifel gezogen wird, so lange das Erfolgsrezept funktioniert. Wenn sich aber jetzt der Meister selbst in Frage zu stellen scheint, mit seiner neuen und umstrittenen Mozart-Inszenierung, könnte die Konstellation Macerata-Pizzi ins Wanken geraten. Aber vielleicht will er ja genau das. Viel zu verlieren hat er mit 79 Jahren nicht mehr und, so erklärte er nach dem Don-Giovanni-Skandal: "Vita è gioco e rischio" - das Leben ist Spiel und Risiko.