Archiv

Ski-WM in Vail
Ski-Mekka aus der Retorte

Der Austragungsort der alpinen Ski-WM, Vail im US-Bundesstaat Colorado, wurde in den 60ern aus dem Boden gestampft, mit österreichisch-bajuwarischem Charme. Das Skiresort Vail wurde zum Symbol des Wachstums - in wirtschaftlicher und sportlicher Hinsicht.

Von Jürgen Kalwa |
    Vail im US-Bundesstaat Colorado ist der Austragungsort der alpinen Ski-WM 2015.
    Vail im US-Bundesstaat Colorado ist der Austragungsort der alpinen Ski-WM 2015. (picture alliance / dpa - Stephan Jansen)
    Es ist ein Ort aus der Retorte. Gebaut in einer Gegend, in der früher weit und breit kein einziges Haus stand. Auffällig ist die Architektur mitten in den Rocky Mountains: Der Stil sieht irgendwie bajuwarisch-österreichisch aus. So wie man sich bei Disney die Alpendörfer ausmalen würde.
    Die Optik allerdings täuscht. Tatsächlich herrscht hier in Vail ein uramerikanischer Geist.
    "It's a land of powder dreams, in a freedom known as Vail."
    Dieses Lied ist aus den 60er-Jahren. Es deutet an: Vail ist Pop und Pathos, bestäubt mit reichlich Pulverschnee und verquirlt mit einem Hauch von Freiheit. Ein Gefühl, von dem Skifahrer in der sauerstoffarmen Luft auf über 3.000 Meter Höhe schon mal erfasst werden.
    Veteranen gestalteten die Skiregion
    Sogar eine Geschichte hat Vail, das erst 1962 aus dem Nichts entstand. Und die begann mit ein paar Veteranen des Zweiten Weltkriegs, die in der 10th Mountain Division in Europa im Einsatz gewesen waren. In einer Gebirgsjägereinheit mit exzellenten Skifahrern, die in unweit von hier ausgebildet worden waren.
    "We are the 10th Mountain Infantry, with a glorious history on our own two feet, all our foes we'll defeat, light fighters marching on to victory."
    Einer von denen war Pete Seibert, der an der Ostküste aufgewachsen war:
    "Es war alles weit und offen. Der Westen bot die Gelegenheit, etwas zu gestalten."
    Seibert und seine Freunde gestalteten viel. Mehr als nur das Dorf Vail und die Skihänge gleich nebenan. Irgendwann kam das Resort Beaver Creek ein paar Kilometer weiter westlich dazu. Man setzte auf Wachstum. Heute gehören der Betreiberfirma namens "Vail Resorts" verteilt über mehrere Bundesstaaten über zehn Skigebiete. Mit rund 15.000 Angestellten. Die Resort-Aktien werden an der New York Börse gehandelt.
    Vail ist Symbol des Enthusiasmus
    Der Berg von Vail brachte auch Skifahrer auf Ideen, wie Filmemacher Roger Brown erzählt, so etwas wie der Chronist des Ortes.
    "Freestyle hat in Vail angefangen. Der Geist, der das alles hier geschaffen hatte, hatte etwas Ansteckendes."
    Sicher. Vail stand nicht am Anfang der amerikanischen Skikultur. Das waren Lake Placid im Osten der USA mit den Winterspielen von 1932. Und weniger Jahre später Sun Valley in Idaho, dessen Bau von einem weitgereisten Eisenbahnchef angeschoben wurde Auch Aspen in Colorado, das gleich nach dem Krieg aus dem Dornröschenschlaf seiner abgetakelten Existenz als Silberminenstädtchen geweckt wurde, war so etwas wie ein Meilenstein.
    Aber Vail hatte Anfang der sechziger Jahre etwas von einem Signal. Bis dahin waren "amerikanische Ski-Resorts fröhliche, aber unprofitable Unternehmen" gewesen, schrieb das Magazin "Sports Illustrated" damals. Wozu das Publikum passte, die sogenannten "Ski Bums", echte Freizeitsport-Enthusiasten, die in Jeans und Holzfällerflanell die Pisten hinunter sausten und keinen Wert legten auf modischen Stil.
    Kein Wunder, dass in diesem Milieu große sportliche Ambitionen nicht so richtig wachsen wollten. Trotz eines Reservoirs von 15 Millionen Freizeitskifahrern. Medaillengewinner und Weltcup-Sieger vom Kaliber einer Picabo Street oder eines Bode Miller, einer Lindsey Vonn und einer Mikaela Shiffrin, sind relativ späte Produkte der Entwicklung.
    Ausstrahlung auf den Nachwuchs
    Tom West von der US Ski und Snowboard Hall of Fame sagt, dass es eine Weile dauerte, bis man auf Verbandsseite erkannte, welchen Werbewert der Hochleistungsskisport haben würde:
    "Der Verband begann, sich besonders stark auf die Ausbildung der Hochleistungssportler zu konzentrieren. Auch, um das Interesse im Land am Skisport zu fördern."
    Die Topfahrer sind zwar hauptsächlich in Europa unterwegs, aber strahlen genug Energie ab, um die Konturen der Skikultur in den USA weiter auszuarbeiten. Beispiele sind Ski-Internate für den guten Nachwuchs. Sind die jungen Tüftler, die in kleinen Garagen mit dem großen Markt als Zielpublikum neue Skier entwickeln.
    Und sind solch exzentrische Ausprägungen wie der Yellowstone Club in Montana, ein exklusiver Berg mit 60 Pisten. Sicherheitskräfte bewachen das Gelände mit Hilfe von Infrarot-Strahlern. Denn außer den 300 Besitzern der Häuser am Hang und deren Gästen hat niemand Recht auf Zutritt.
    Wahrscheinlich gäbe es davon längst viel mehr, wenn nicht der große Finanzcrash von 2008 diesen Spekulationsobjekten den Garaus gemacht hätte. Viele verbrannten sich die Finger. Auch zwei Prominente. Andre Agassi und Steffi Graf. Sie hatten Geld in ein teures Hotelprojekt in Tamarack in Idaho gesteckt, das nie fertig wurde.
    Immerhin laufen dort seit ein paar Jahren die Lifte. Weil die Bewohner des Dorfes den Ski-Betrieb übernommen haben. Der Traum vom großen Geld ist - zumindest hier - erst mal ausgeträumt.