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Sklavenhandel an US-Uni
Wie Georgetown seine Schuld aufarbeitet

Über 200 Jahre hütete die katholische Eliteuniversität Georgetown ein düsteres Geheimnis. Ein ehemaliger Absolvent fand nun heraus, dass sich die Hochschule jahrelang durch Sklavenarbeit finanzierte. Als Wiedergutmachung sollen die Nachfahren der Sklaven nun leichter einen Studienplatz bekommen. Doch ob das wirklich eine angemessene Entschädigung gleichkommt, ist umstritten.

Von Jürgen Kalwa | 27.09.2016
    Afrikanische Sklaven werden im 19. Jahrhundert auf einem Schiff nach Amerika transportiert und verkauft.
    Viele afrikanischen Sklaven wurden im 19. Jahrhundert nach Amerika transportiert und verkauft. Auch Eliteuniversitäten, wie die Georgetown University, beteiligten sich am Menschenhandel. (dpa / picture alliance)
    Es ist nicht leicht, den Ort auf einer Landkarte des US-amerikanischen Südens zu finden. Maringouin mit seinen etwas mehr als 1000 Einwohnern liegt abseits in den weitläufigen Sumpfgebieten des Mississippi-Deltas. Leben hier bedeutet für die meisten nicht viel mehr als eine Existenz in Armut. Seit ihre Vorfahren hier ankamen: 272 Männer, Frauen und Kinder, die im Juni 1838 als Sklaven hierher verkauft wurden. Es war nicht irgendein Menschenhandel, wie John DeGoia, Präsident der Georgetown University in Washington, kürzlich einräumte. Denn verkauft hatte diese 272 Afro-Amerikaner damals ausgerechnet seine Hochschule. Zu einem Preis, der sich nach heutigem Geldwert auf rund drei Millionen Euro belaufen würde. Damals Alltag in Amerikas ambitionierten Bildungseinrichtungen, die Sklaven besaßen und deren Arbeitskraft ausbeuteten. John DeGoia:
    "Viele waren überrascht, wenn nicht sogar schockiert über die Enthüllung: Jesuiten hielten Sklaven. Und wir haben von ihrem Verkauf 1838 profitiert.”
    Professor Craig Steven Wilder beschreibt nun erstmalig das Ausmaß
    Georgetown, 1789 als erste katholische Hochschule in Nordamerika von Jesuiten gegründet, finanzierte sich jahrzehntelang mit Hilfe von Sklavenarbeit auf Plantagen in Maryland. Mit dem Eingeständnis habe man jetzt immerhin einen ersten Schritt gemacht, sagt Professor Craig Steven Wilder. Der Historiker am Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, hat vor drei Jahren das Buch "Ebony and Ivy: Race, Slavery, and the Troubled History of America's Universities” veröffentlicht. Er beschreibt darin erstmals das ganze Ausmaß der von amerikanischen Universitäten praktizierten Ausbeutung.
    "Die Vereinigten Staaten leiden darunter, dass sie die zentrale Rolle der Sklaverei beim Aufstieg des Landes einfach abstreiten. Universitäten wie Harvard, Princeton und Yale geben sich weiterhin sehr zurückhaltend, wenn es um das Eingeständnis geht, in welchem Umfang sie an der Sklaverei beteiligt waren und davon profitiert haben. Dies sind die reichsten Universitäten der Welt. Sie haben weder den Mut noch die Aufrichtigkeit, ihre eigene Vergangenheit aufzuarbeiten. Was jetzt in Georgetown passiert, ist interessant, weil es Studierenden und Alumni auch anderswo den Rücken dabei stärkt, Ehrlichkeit einzufordern.”
    Ein Georgetown-Absolvent forschte nach
    Tatsächlich war es ein Georgetown-Absolvent, der die Hochschule zwang, zu reagieren: der Tech-Unternehmer Richard Cellini. Er wollte wissen, was damals passiert war.
    "Ich habe einen Verantwortlichen der Universität gefragt, was ist mit den Menschen geschehen? Er schickte mir eine E-Mail und sagte: ‘Richard, Georgetown hat sich schon vor ein paar Jahren damit beschäftigt. Wir haben herausgefunden, dass alle 272 Sklaven auf dem Weg nach Louisiana an einer Fiebererkrankung gestorben sind.’ Ich dachte, das ist doch gar nicht möglich. Selbst auf der Titanic gab es Überlebende.”
    Innerhalb weniger Wochen gründete Cellini das Georgetown Memory Project, sammelte mehr als 10.000 Dollar und beauftragte Ahnenforscher mit der Spurensuche. In diesem Frühjahr kam der kräftigste Schub: ein ausführlicher Artikel in der New York Times, der dokumentierte, was aus den Sklaven und ihren Nachkommen geworden war.
    Nachfahren der Sklaven sollen nun Sonderstatus erhalten
    Und was die Universität mit dem Geld gemacht hatte: Sie hatte aufgelaufene Schulden beglichen. So weit, so gut? Nicht, wenn es nach Richard Cellini geht. Denn die einzige Geste der Wiedergutmachung, auf die man in Georgetown bisher kam: Man will in Zukunft Studienplatzbewerbern, die ihre Abstammung als Nachfahren der Sklaven nachweisen können, so einstufen wie die Kinder von Absolventen und Gönnern. Sie erhalten dann den sogenannten Legacy Admission Status. Das bedeutet: Sie werden bei der Zulassung an der Hochschule bevorzugt.
    "Das ist so, als ob man Leuten Nachtisch anbietet, die noch gar keine Hauptmahlzeit hatten. Gebraucht wird viel mehr. Zum Beispiel Stipendien. Und das reicht bis zur medizinischen Versorgung schwangerer Frauen. Ich habe zusammen mit den Nachkommen der Universität ein Konzept vorgeschlagen, bei dem sie mit dem Orden der Jesuiten und anderen wohltätigen Einrichtungen eine unabhängige Stiftung gründet – mit einem Kapital von einer Milliarde Dollar. So etwas hat es noch nie gegeben. Es geht um Versöhnung und darum, alte Wunden zu heilen. Und das nicht nur für die Nachkommen der Sklaven von Georgetown, sondern für alle Mitglieder der amerikanischen Gesellschaft.”
    Wie realistisch ist ein solcher Plan? Cellini – Hautfarbe weiß – hält ihn für möglich. Zumal, wie er sagt, die gesamte Nation davon profitiere, wenn die Spannungen zwischen den ethnischen Gruppen abgebaut werden.