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"So geriet ich in den Urwald!"

1998 beobachteten zwei internationalen Astronomenteams unabhängig voneinander, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt. Welche Kraft steckt aber dahinter? Die Forscher sprechen von einer mysteriösen "Dunklen Energie" oder auch von einer kosmologischen Konstante Lambda, die einst Albert Einstein eingeführt hatte. Letztlich aber stehen sie vor einem großen Rätsel.

Von Jan Lublinski |
    Im Jahr 1998 gelang zwei internationalen Astronomenteams unabhängig voneinander eine Beobachtung, die in der Fachwelt für Aufsehen sorgte: Die Himmelsforscher fanden heraus, dass sich das Universum immer schneller ausdehnt. Mit stetig wachsender Geschwindigkeit stieben die Galaxien davon, entfernen sich immer weiter von einander. Wovon aber werden sie getrieben? Welche kosmische Kraft treibt das Weltall auseinander? Die Kosmologen sprechen von einer mysteriösen "Dunklen Energie" oder auch von einer kosmologischen Konstante Lambda, die einst Albert Einstein eingeführt hatte. Letztlich aber stehen sie vor einem großen Rätsel.

    Die Altstadt von Bern. Dichte, gleichmäßige Häuserfassaden in graugrünem Sandstein, Arkadengänge mit vielen kleine Boutiquen und Cafés. Unweit vom Hauptbahnhof, an der Ecke einer Straßenkreuzung, befindet sich der Eingang zum ehemaligen "Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum". Im Jahr 1901 erhielt der junge Diplom-Physiker Albert Einstein hier eine Anstellung, als Patentangestellter dritter Klasse. Der Vater seines Studienfreundes Marcel Grossmann hatte sie ihm vermittelt.

    " Mir geht es gut, ich bin ehrwürdiger eidgenössischer Tintenscheißer mit ordentlichem Gehalt. Daneben reite ich auf meinem alten mathematisch-physikalischen Steckenpferd und fege auf der Geige."

    " Das ist ein Riesengebäude, wunderbar auch von der Architektur, herrlich große Räume, meist Gruppenräume, auch der Raum in dem Einstein arbeitete, der ist bis heute auch erhalten, auch in seiner Innenarchitektur. Man kommt bloß nicht hinein, weil der heutige Eigner, die Swisscom, natürlich nicht die großen Touristenströme in ihrem Arbeitsgebäude haben möchte."

    Der Wissenschaftshistoriker Gerd Grasshoff hat einen neuen Einstein-Pfad durch Bern entwickelt. An insgesamt 90 Orten hat er Schilder aufstellen lassen, die über Einsteins Leben in der Stadt informieren. Mit einem kleinen Historiker-Team hat Grasshoff alle verfügbaren biographischen Details gesammelt. Er tut dies aber nicht nur den Touristen zu liebe; er will herausfinden, wie es zu Einsteins so genanntem Wunderjahr kommen konnte.

    Im Jahr 1905 revolutionierte der damals 26jährige Einstein die Physik. Er stellt bahnbrechende Überlegungen zum atomaren Aufbau der Materie an, er lieferte eine Beschreibung der Quantennatur des Lichtes und er legte mit seiner ersten Arbeit zur Relativitätstheorie die Basis für ein neues Verständnis des Weltalls.

    Das Foyer des Patentamts. Zwischen Marmor-Säulen hängt eine alte Uhr, ein Treppenaufgang führt nach oben. Hier gingen damals Ingenieure und Bastler hinauf, um Albert Einstein ihre neusten Erfindungen zu präsentieren. Einstein erledigte seine Arbeit gern und schnell. - So schnell, dass ihm, nachdem er sein Pensum absolviert hatte, noch genügend Zeit für anderes blieb hatte.

    "Er schrieb einmal humoristisch einmal seinem Freund, dass er in einer Schublade seines Schreibtisches sein Büro für theoretische Physik hätte, das heißt hier hatte er alles rausgeräumt, um nur seine eigenen wissenschaftlichen Manuskripte aufzubewahren und dann rauszuholen wenn er nicht von höheren Chargen beobachtet wurde und er sicher war, dass er seine wöchentliche Quote an Patentbearbeitungen fertig stellte."

    Zwei Straßen weiter: eine einfache, schmucklose Kneipe, die auch tagsüber gut besucht ist. Einstein verbrachte viel Zeit in der Brasserie Bollwerk, die heute Cafe Bollwerk heißt. In seinen Mittagspausen, aber auch nach der Arbeit kehrte er hier ein, mit Kollegen und Freunden, und nutzte diese Zeit für intensive Diskussionen. Mit einer kleinen Gruppe gründete Einstein die "Akademie Olympia", eine Art philosophischen Zirkel, der Texte von Geistesgrößen wie Hume, Mach und Poincaré besprach - bis spät in die Nacht.

    " Es gibt eine herrliche Postkarte, wo Einstein sich an ein Mitglied der Akademie wendet: Konrad Habicht, und zwar schreibt er auf der Karte, Zitat: ... (Total besoffen. Leider beide unterm Tisch. Ihr armer Steißbein & Frau." "

    "Total besoffen. Leider beide unterm Tisch. Ihr armer Steißbein und Frau."

    "..., und man sieht erkennbar auf der Postkarte, dass er also durchaus schon einiges getrunken hatte und nicht mehr richtig schreiben konnte. Es war also nicht nur eine witzige Postkarte, es entsprach wohl auch der Wirklichkeit. "

    Einsteins Heimweg führte an einem mittelalterlichen Wehrturm vorbei, mit farbenfrohen Uhren, die mehrere Stockwerke groß sind. Die "Zytglogge" gab den Bernern über Jahrhunderte hinweg Uhrzeit, Datum und Mondphasen an. Im Tordurchgang sind die Längenmaße für Elle und Klafter und auch für Meter und Doppelmeter angebracht. Hat Einstein an diesem Turm damit begonnen, neu über Raum und Zeit nachzudenken?

    Wahrscheinlicher ist eine andere Theorie: Zu Einsteins Zeit nahm der Verkehr zu, die Züge wurden immer schneller, und es bestand das Problem, dass die Bahnhofsuhren in verschiedenen Städten synchronisiert werden mussten.

    " Man musste also wissen, wann der Zug in Zürich abfährt, um den Zeitpunkt zu bestimmen, bei dem er in Bern ankommt. Das war ein praktisches Problem. In der Zeit wurden auch neue Observatorien eingerichtet als auch Institute für Zeitnormen, (...) das war Einstein sicher bekannt über seine Arbeit am Patentamt, es gab auch einige Vorschläge zur Zeitmessung auch hier in der Schweiz, die sind mit Sicherheit auch über seinen Schreibtisch gegangen. Eine These ist nun, dass das Problem der Synchronisation von Uhren, das in der Arbeit zur Speziellen Relativitätstheorie beschrieben ist, ihn inspirierte, diese Arbeit zu schreiben. "

    " Aber Gerd Grasshoff hält diese auf ersten Blick sehr einleuchtenden Erklärung für nicht ausreichend. Denn letztlich liefert sie keine Antwort auf die Frage, wie Einstein zu seinem grundlegenden Relativitätsprinzip kam."

    Nach dem Relativitätsprinzip bleiben alle physikalischen Gesetze unverändert, auch wenn ein Beobachter sich gleichmäßig bewegt. Ein Experiment muss letztlich immer die gleichen Ergebnisse liefern, egal ob man es in einem Labor oder etwa in einem fahrenden Zug ausführt.

    Einstein selbst wies später immer wieder darauf hin, dass er zur Relativitätstheorie gefunden hatte, weil ihm Widersprüche aufgefallen waren in Theorien der Physiker, die das Relativitätsprinzip verletzten. Auch konnte er auf Vorarbeiten von Hendrik Lorenz und Henri Poincaré aufbauen, die beide bereits an der Schwelle zur Relativitätstheorie gestanden hatten. In ihren Arbeiten tauchen Formeln und Überlegungen auf, die Einstein uminterpretierte und als Ausgangspunkt nahm für seinen neuen Entwurf.

    " Wenn man wissen möchte, wie ist eigentlich der Kniff wirklich großer Forscher, neue große Theorien zu entwickeln ist es genau dieser Schritt, mit einer alten Theorie bestimmte Konsequenzen zu erarbeiten, zu sehen, dass man diese nicht nur als Konsequenzen verwerten kann, sondern als einen ganz fundamentalen Baustein einer Neuorganisation der Wissensarchitektur der Physik verwenden kann, und wenn man diesen Schritt nimmt, dann erreicht man fundamental Neues, aber mit alten Bausteinen."

    Der Physiker Einstein war also kein einsames Genie, das, von einem göttlichen Funken inspiriert, innerhalb kürzester Zeit gleich mehrere Wunder vollbrachte. Durch die Straßen von Bern zog vielmehr ein begabter junger Mann, der in einem anregenden Umfeld lebte, der sich im Alltag gewisse Freiheiten erarbeitete, und dem es gelang, Ergebnisse anderer Forscher neu zu interpretieren, um eigene Wege zu gehen.

    Das neue Bild der Astronomen, nach dem sich das Weltall immer schneller ausdehnt, wird seit dem Jahr 2001 gestützt durch Daten einer Raumsonde namens WMAP (sprich: Dabbelju-Mäp). Die Sonde scannt das gesamte Firmament und misst eine Mikrowellen-Strahlung, die überall vorhanden ist. Es handelt sich um die so genannte kosmische Hintergrundstrahlung, ein Nachglimmen des Urknalls. Mit diesen Messungen können die Astronomen sehr genau bestimmten wie alt das Weltall ist, welche Form es hat und woraus es sich zusammensetzt. Warum das Universum aber immer schneller expandiert, wissen sie nicht.

    Im Jahr 1907 beschäftigte sich Einstein mit einem astronomischen Problem: die so genannte Periheldrehung der Merkurbahn. Die Himmelsforscher hatten den Weg des sonnennächsten Planeten mit ihren Teleskopen genau beobachtet, und sie hatten gleichzeitig versucht, diesen Weg mit Hilfe des Gravitationsgesetzes von Issak Newton genau vorherzuberechnen. Dabei stießen sie auf einen kleinen Unterschied zwischen Messung und Theorie, der sich trotz vielfacher Bemühungen nicht verringern ließ. Einstein äußerte gegenüber einem seiner Freunde die Vermutung, dass er für dieses Problem eines Tages eine Lösung finden werde. In den Folgejahren setzte er alles daran, die spezielle Relativitätstheorie so zu erweitern, dass sie auch eine Beschreibung der Gravitationskraft liefern würde. Zehn Jahre lang mühte er sich für dieses Ziel ab.

    " Aber das eine ist sicher, dass ich mich im Leben noch nicht annähernd so geplagt habe. Gegen dieses Problem ist die ursprüngliche Relativitätstheorie eine Kinderei."

    " Man kann sich ja schon schwierige Fragen stellen, die aber in der Zeit unlösbar sind, Oder zu leichte, dann ist es auch nicht so interessant. Aber genau die zu finden, die gerade noch gehen mit äußerster Anstrengung - das ist wahrscheinlich das Genie."

    Der theoretische Physiker Norbert Straumann hat sich neben seiner eigenen Forschungsarbeit an der Züricher Universität immer wieder auch mit dem wissenschaftlichen Werdegang Einsteins befasst - und seiner Suche nach der Allgemeinen Relativitätstheorie.

    " Er kam im August 1912 nach Zürich mit diesem Projekt (...) da ist er natürlich zum Grossmann wieder gegangen, der war ja inzwischen Professor für Mathematik. Und da haben sie rasende Fortschritte gemacht, Ende 12 hätte er schon die Theorie haben können. Er war haarscharf davor. "

    Besonders aufschlussreich war für Straumann das so genannte Züricher Notitzbuch Einsteins, ein Karopapier-Heft mit handschriftlichen Eintragungen, die davon zeugen, wie Einstein sich mathematische Werkzeuge aneignete, um eine neue Physik betreiben zu können.

    " Da ist es interessant zu sehen, wie er anfängt. Er schreibt z.B. auf der ersten Seite, was er schon weiß. Also: Newton. Spezielle Relativität. Das schreibt er sich alles auf. Und dann lernt er langsam diesen Kalkül, den der Grossmann ihm versucht hat beizubringen. (...) Und da übt er auch wie ein Schüler, ganz elementare Dinge. (... ) Was ich schon sehr faszinierend finde: einerseits kommt er von der Physik her. Andererseits von formalen Prinzipien. Und ich glaub, das Wesen der theoretischen Physik sieht man nirgends deutlicher: Die beiden, die scheinen nicht zusammen zu kommen. Es klemmt dann einfach. Und dann gerät er auf Abwege. Verliert drei Jahre."

    Einstein bereitete es große Schwierigkeiten, in den neuen mathematischen Formeln, die er entwickelte, eine Beschreibung der physikalischen Realität zu erkennen. Insbesondere brauchte er einige Zeit, bis er gelernt hatte, mit mathematischen Geometrien zu arbeiten, die gekrümmte physikalische Räume beschrieben. Erst 1915, nachdem er noch einmal ganz von vorne angefangen hatte, die Theorie zu entwickeln, gelang ihm der Durchbuch. Er fand zu einem schlüssigen System aus mathematischen Gleichungen, mit dem er die Gravitation neu beschreiben konnte.

    " Die jetzigen Gleichungen hatte ich im Wesentlichen schon vor drei Jahren zusammen mit Grossmann in Betracht gezogen. Ebensowenig konnte ich erkennen, dass die Newton’sche Theorie als erste Näherung darin enthalten war. Ich glaubte sogar das Gegenteil eingesehen zu haben. So geriet ich in den Urwald."

    In der Allgemeinen Relativitätstheorie gibt es keine Schwerkraft mehr wie bei Newton, sondern die Gravitation ist ein Feld, vergleichbar mit einem elektrischen Feld oder einem magnetischen. Und: Jede Art von Materie krümmt den Raum, der somit zu einem dynamischen Gebilde wird.

    Bald nachdem Einstein die Gleichungen zur Allgemeinen Relativitätstheorie fand, widmete er sich erneut dem Problem der Periheldrehung der Merkurbahn. Die Astronomen hatten hier eine bis dahin unerklärliche Abweichung von Newtons Gravitationstheorie gemessen, die 43 Bogensekunden betrug. Genau diesen Wert konnte Einstein nun mit Hilfe seiner neuen Relativitätstheorie ermitteln. Er war ihm also gelungen, eine Theorie zu finden, die den Lauf der Himmelskörper genauer beschrieb als die seines berühmten Vorgängers Newton.

    "Ich glaube, das war das größte Erlebnis seines wissenschaftlichen Lebens. Er sagte auch Kollegen, er hätte Herzflattern bekommen. Ehrenfest schreibt er sei zwei Tage sprachlos gewesen. Das kann man sich ja vorstellen. Er rechnet da ziemlich lange und dann kommen da 43 Bogensekunden raus."

    Später gelang auch noch eine zweite Bestätigung. Einstein hatte auf der Grundlage seiner Theorie vorhergesagt, dass ein Lichtstrahl, der von einem fernen Stern kommt und dicht an der Sonne vorbei läuft, ein klein wenig aus seiner Bahn gerät. Britische Astronomen konnten 1919 diese Lichtkrümmung während einer Sonnenfinsternis tatsächlich beobachten. Und Albert Einstein wurde mit einem Schlag weltberühmt.

    "Gegenwärtig debattiert jeder Kutscher und jeder Kellner, ob die Relativitätstheorie richtig sei."

    1916 lernte Einstein den Astronomen Willem de Sitter kennen, und begann mit ihm darüber nachzudenken, ob sich aus seiner Theorie ein Modell für das Weltall entwickeln ließe. Bald darauf veröffentlichte er einen Aufsatz mit dem Titel "Kosmologische Betrachtungen zur Allgemeinen Relativitätstheorie".

    "Diese Arbeit muss man einfach gelesen haben. Ich weiß nicht wie viele Kosmologen heutzutage die je angeschaut haben. Die ist nämlich wahnsinnig schön geschrieben. (...) Was mich erstaunt, die Arbeit ist nur etwa 6,7 Seiten. Und wieso liest man das nicht?"

    Die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie ergaben, dass die Geometrie des Raums nicht ein für alle mal vorgegeben ist, sondern dass sie sich ändert, je nachdem wie die Masse im Universum verteilt ist. Dabei erwies sich der Raum als ungeheuer dynamisch: er kann sich bewegen, dehnen und zusammenziehen.

    Einstein aber wollte sich auf diese neue Dynamik, nicht recht einlassen, zumindest bei der Beschreibung des gesamten Weltalls nicht. Er war überzeugt davon, dass das Universum als Ganzes seine Form nicht änderte sondern vielmehr statisch war - Eine Vorstellung, die der damaligen Lehrmeinung der Astronomen entsprach. Um mit seiner Relativitätstheorie ein solches in sich ruhendes Universum zu beschreiben, nahm er einen Kunstgriff vor: er ergänzte in den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie eine Konstante, die so genannte kosmologische Konstante, die er mit dem griechischen Buchstaben Lambda bezeichnete.

    " Ich habe wieder etwas verbrochen in der Gravitationstheorie, was mich ein wenig in Gefahr bringt, in ein Tollhaus interniert zu werden."

    Neben de Sitter begannen auch andere Astronomen wie Alexander Friedman und George Lemaitre das Weltall mit Einsteins Formeln zu beschreiben. Sie aber fanden aber mögliche Universen, die sich entweder ausdehnten oder zusammenzogen, und sie bezweifelten, dass es Einstein gelungen war, sein theoretisches Weltall mit der Konstante Lambda zu stabilisieren.

    Norbert Straumann hat im Archiv der ETH Zürich eine Postkarte entdeckt, die Einstein an seinen Züricher Kollegen Hermann Weyl richtete - und in der eingestand, dass das Lambda ihm nicht weiterhalf:

    " Das eine normale Postkarte. Was interessant ist: wie teuer sie ist. Das war ja 1923, das ist nach dem Krieg. Das ist 100 Mark. "

    Ganz am Ende des Textes auf der Postkarte räumt Einstein ein:

    "Wenn schon keine quasistatische Welt, dann fort mit dem kosmologischen Glied."

    "Wenn schon keine quasistatische Welt, dann fort mit dem kosmologischen Glied."
    ".... anders ausgedrückt: Wenn sich das Universum nun gar nicht ruhig halten lässt, dann ist auch die kosmologische Konstante Lambda überflüssig. - Einstein hatte offenbar eingesehen, dass er falsch lag. "

    " Bis 1930 hat er dann trotzdem immer an diesem statischen Modell festgehalten. Ganz merkwürdig. Er hat die Friedmann’schen Arbeiten studiert, oder? (....) Noch 1927 (...) hat er Lemaitre gesagt, seine Physik sei schrecklich. Sei zwar mathematisch richtig. Aber sei schrecklich. "Abominable". Er hat ja französisch gelernt in der Schweiz, oder. Das konnte er dann schon sagen."

    Auch neue Himmelsbeobachtungen sprachen für die kosmologischen Theorien von Einsteins Kollegen: Der Astronom Edwin Hubble hatte gemessen, dass sich die meisten Galaxien mit großer Geschwindigkeit von uns wegbewegen. Was die Schlussfolgerung nahe legte, dass das Universum immer weiter expandiert. Wenn aber der Kosmos sich immer weiter ausdehnte war, wo hatte er begonnen? Lemaitre publizierte 1931 eine kurze Notiz, in der er erstmals die Urknalltheorie beschrieb: Demnach ist das Universum aus einem kleinen Punkt heraus explodiert. - Eine Vorstellung, die sich erst allmählich durchsetzte.

    In den Jahrzehnten danach bemühten sich Astronomen, die Dynamik des Universums und die darin enthaltene Masse immer genauer zu messen. Immer wieder führten sie Einsteins Konstante Lambda in die Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie ein, um sie dann doch wieder zu verwerfen. Bruno Leibundgut von der Europäischen Südsternwarte ESO blickt zurück:

    " Das darf man vorm Mikrofon gar nicht sagen, aber: Wissenschaft ist ja auch nicht nur objektiv. Vor allem wenn’s dann bei solchen Theorien oder Messungen so weit kommt. Die Interpretation das dauert Jahre, manchmal Jahrzehnte bis die Interpretation soweit abgeschliffen oder die Leute sich soweit geeinigt haben, dass das wirklich in ein Textbuch rein kann. Die Wissenschaft selbst, wenn diese Theorien diskutiert werden dann ist das meist noch sehr, sehr offen. (...) Sehr menschlich geht’s da eigentlich zu. (...) Da wird sehr stark diskutiert. Da gibt’s auch Moderichtungen oder Mainstream. "

    Im Jahr 1998 aber gelang einem amerikanischen Forscherteam, dem auch Leibundgut angehörte, ein Durchbruch. Die Astronomen hatten weit entfernte Supernovae vom Typ Ia vermessen, eine besondere Gruppe von sehr genau bekannten Stern-Explosionen, und es gelang ihnen zu bestimmen, wie schnell der Kosmos im Laufe seiner Geschichte expandiert ist.

    Ausgegangen war das Forscherteam von der damals gängigen Annahme, dass das Universum sich erst sehr zügig ausgedehnt hat, um danach immer langsamer zu werden.

    " und da haben wir 1,2 Jahre gemessen, und wie dann das erste Datenset zusammen kam, da war Adam Riess in Amerika, der hat das zusammengeschrieben, hat gesagt er findet in der Analyse, dass halt statt einer Abbremsung eine Beschleunigung da wäre. Das war eine Email, die ist rumgegangen, da haben wir gesagt, das kann nicht sein. Da haben wir versucht, den Fehler zu finden. Und nach 2 Monaten haben wir gesagt: Wissen wir auch nicht, jetzt publizieren wir das mal. Es muss halt jemand anderes den Fehler finden."

    Es fand sich aber kein Fehler, das Ergebnis hatte Bestand.
    Bald darauf bestätigte eine zweite unabhängige Arbeitsgruppe diese Beobachtungen:

    " Es war ein sehr starker Wettlauf, wenn Sie mit jemandem von der Gruppe sprechen, behaupten die immer, dass sie vor uns da waren."

    Die Astronomen sind heute überzeugt davon, dass das Universum sich direkt nach dem Urknall extrem schnell ausgebreitet hat, dass es dann sozusagen auf die Bremse gegangen ist, um nun doch wieder aufs Gaspedal zu treten. Verantwortlich für die dynamische Expansion des Universums ist Einsteins kosmologische Konstante Lambda, die inzwischen zu einem festen Bestandteil des astrophysikalischen Weltbildes geworden ist - obwohl sie den Wissenschaftler nach wie vor rätselhaft ist.

    In diesem Zusammenhang wird immer wieder die Geschichte erzählt, Einstein habe Lambda als "die größte Eselei seines Lebens" bezeichnet. Norbert Straumann hält dies für einen Mythos.

    " Das tönt so gut. Wenn jetzt ein Journalist oder ein Physiker sagt: "Die größte Eselei von Einstein ist jetzt eben doch das Richtige." - Ich glaub das ist mehr Show. Ich glaube ich habe alle Briefe von ihm gelesen, die insbesondere über Physik und Kosmologie handeln. Und da kommt nichts dergleichen vor. Nie."

    Heute treibt die Astrophysiker eine neue Frage um: Ist es möglich, dass Einsteins Konstante, gar keine Konstante ist? Womöglich handelt sich bei Lambda um eine unbekannte Kraft, die den Kosmos auseinander treibt und die sich im Laufe der Jahrmilliarden verändert. Der amerikanische Kosmologe Michael Turner führte aus diesem Grund einen schillernden Begriff ein: Die "Dunkle Energie".

    "Manchmal, wenn etwas große Rätsel aufgibt, dann muss man ihm einen Namen geben. Es ging mir mit dem Begriff der "Dunklen Energie" darum, den Astronomen klar zu machen, dass es sich hierbei nicht notwendiger Weise um Einsteins Konstante Lambda handeln muss. Es könnte auch sein, dass die Dunkle Energie sich im Verlauf des Universums ändert. Wir können derzeit noch nicht mit Sicherheit sagen, dass es sich einfach nur um die kosmologische Konstante handelt."

    Teilchenphysiker vermuten dass es sich bei der "Dunklen Energie" um einen Vakuumeffekt handelt. Eine Art Grundschwingung im leeren Raum, die das Universum auseinander treibt. Doch die entsprechenden quantentheoretischen Rechnungen ergeben allesamt einen viel zu geringen Wert. Er ist mindestens 10 hoch 50 Mal zu klein.

    " So etwas schlimmes hat's in der Physik noch nie gegeben. - Völlig daneben! - Das ist vielleicht das größte Rätsel das wir haben."

    " Jetzt geht es darum festzustellen (...), was die Natur der Beschleunigung ist. (...) Wichtig ist jetzt, dass wir charakterisieren können, was jetzt die Dunkle Energie ausmacht. Da müssen wir jetzt die Charakterisierung messen, z.B. die Stärke und solche Dinge und das können wir im Moment auch nur mit den Supernovae machen."

    Während Bruno Leibundgut versucht, die Ausdehnungsgeschwindigkeit des Alls immer genauer zu messen, versucht es der Heidelberger Astrophysiker Matthias Bartelmann auf einem anderen Weg: Er vermutet, dass eine "Dunkle Energie", die sich im Laufe des Universums verändert hat, Spuren haben müsste - und zwar an Orten, wo sich sehr viel Materie angesammelt hat: In Galaxienhaufen.

    " Das heißt, ich sollte im Prinzip in der Lage sein, dadurch, dass ich nachmesse, wie dicht die Materie im Zentrum von Galaxienhaufen jetzt ist rückzuschließen darauf, wann sie entstanden sind. Damit rückzuschließen auf die kosmologische Uhr sozusagen, und damit auf das Expansionsverhalten und damit auch darauf, ob die Dunkle Energie dynamisch war oder nicht."

    Vielleicht werden diese weiterführenden Messungen eines Tages dazu beitragen, dass die Kosmologen eine Theorie entwickeln, die noch über die Allgemeine Relativitätstheorie hinaus geht und die auch für die Dunkle Energie eine Erklärung bietet. Bis auf weiteres aber bleibt sie das größte Geheimnis der Astronomie.

    " Das schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle. Es ist das Grundgefühl, das an der Wiege von wahrer Kunst und Wissenschaft steht. "

    Wie aber wird sich das Universum weiterentwickeln? Wird es irgendwann möglich werden aus der Vergangenheit in die Zukunft zu schließen?

    Theoretisch sind mehrere Szenarien denkbar: Die "Dunkle Energie" könnte sich zum Beispiel deutlich abschwächen, so dass das Universum wieder in sich zusammen fällt. Die Kosmologen sprechen hier vom "Big Crunch" - dem großen Zermahlen. Aber auch ein anderes Extrem ist denkbar: Würde die Dunkle Energie sehr stark anwachsen, so würde sie irgendwann stärker als alle anderen Kräfte werden, und das Universum könnte regelrecht explodieren: Die Kosmologen sprechen hier vom "Big Rip" - dem großen Riss am Ende der Geschichte.

    Matthias Bartelmann kann solchen Gedankenspielen wenig abgewinnen. Er hält es derzeit für unmöglich zu entscheiden, welchen Weg das Universum langfristig nehmen wird.

    " Weil ich nicht glaube, dass unsere Kenntnisse, woher die beschleunigte Expansion kommt, in irgendeiner Weise fundiert sind bisher. Deswegen glaube ich auch nicht, dass sie erlauben, das Expansionsverhalten in die Zukunft zu extrapolieren."

    ...eine Ansicht, die Albert Einstein sicher geteilt hätte. Der ehemalige Angestellte des Berner Patentamtes, der sich einst in langen Diskussionsrunden mit seinen Freunden die philosophischen Grundlage für eine neue Physik gesucht hatte, war ein zutiefst demütiger Naturforscher. Er, der die Formeln für ein neues Bild des Universums gefunden hatte, war sich der Grenzen seiner Erkenntnisfähigkeit stets bewusst.

    " Zu erleben, dass hinter dem Erlebbaren ein für unseren Geist Unerreichtes verborgen sei, dessen Schönheit und Erhabenheit uns nur in schwachem Widerschein erscheint - In diesem Sinne bin ich religiös. Es ist mir genug, diese Geheimnisse staunend zu ahnen und zu versuchen, von der erhabenen Struktur des Seienden in Demut ein mattes Abbild geistig zu erfassen."