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So schön kann Mode sein

Der amerikanische Fotograf Edward Steichen war ungeheuer vielseitig: Er begann als Portrait- und Landschaftsfotograf, im Ersten Weltkrieg dann erfand Steichen die fotographische Luftaufklärung und wurde später Dokumentarfotograf. Nach dem Zweiten Weltkrieg leitete er die Fotoabteilung des New Yorker MoMas. Das Kunsthaus Zürich zeigt nun einen weniger bekannten Aspekt von Edward Steichens Werk: seine Modefotografien für "Vogue" und "Vanity Fair".

Von Christian Gampert |
    Da kommt er, der Meister: mit einem Straßenkreuzer fährt Edward Steichen ins Studio, gibt Anweisungen, tritt Kabelrollen beiseite und bringt eine Windmaschine in Position; dann muss ein Model in durchsichtigen Seidentüchern sich verrenken und im Winde winden, Jugendstil plus Hollywood. So ging das, damals, in den 1930iger Jahren, als Edward Steichen die Modefotografie erfand, ein kurzer Dokumentarfilm zeigt in Zürich die ziemlich prosaische Wahrheit.

    Der Züricher Kurator Tobia Bezzola hat Steichen gleich mal zum "Picasso der Fotografie" ernannt. Das ist legitim, um Werbung für die eigene Ausstellung zu machen; nur müsste man dann auch etwas von den großartigen Bildern zeigen, die eine solche Klassifikation rechtfertigen könnten, die frühen pathetischen Rodin-Portraits etwa oder die grandiosen Architektur-Aufnahmen New Yorker Wolkenkratzer oder die aus extremer Untersicht fotografierten Bilder von Brückenkonstruktionen. Die besten von Steichens Arbeiten zeigen die kühle Gewalttätigkeit der Moderne, des Kapitalismus, und sie zeigen sie mit einer geheimen Bewunderung und mit einem Schaudern. Nur leider sind diese Bilder in Zürich nicht zu sehen. In Lausanne eröffnet nächste Woche eine Überblicks-Schau über Steichens Werk, die auch die Entwicklungsschritte und Brüche in seiner Karriere zeigen will; Zürich dagegen hat sich die Glamour-Abteilung gesichert, die Modeaufnahmen für "Vogue" und "Vanity-Fair" aus den 1920iger und 30iger Jahren, garniert allerdings mit zahlreichen Star-Portraits von Pola Negri (als ägyptische Göttin) bis Joan Crawford, von Greta Garbo über Maurice Chevalier bis zu der Tänzerin Martha Graham. Das wird viel Publikum anlocken: diese höchst künstlichen, überinszenierten Aufnahmen erzählen tatsächlich, wie diese Personen sich gerne sahen, in Szene gesetzt sahen, und Steichen war da der kongeniale Regisseur, sagt bewundernd der Kurator Tobia Bezzola:

    "Inszenierung ist das Stichwort. Er hat Locations ausgewählt, Kulissen bauen lassen, Requisiten, Ausstatter gehabt, Styling, Schminkkunst, dann eine ganze Batterie von Beleuchtern wie sonst nur in Hollywood. Er hat gearbeitet wie ein Filmregisseur."

    Die Modeaufnahmen sind ähnlich artifiziell: Art Déco. Der Blick zurück ist freilich ein bisschen ungerecht; schließlich hat Steichen als Erster Models auf die Pferderennbahn gestellt und vor Autos, hat sie in Picknicks, Interieurs, Balkons und vor Stadtsilhouetten drapiert - aber der glamouröse Kitsch, der dabei herauskommt, er ist heute bestenfalls rührend. Schon damals fanden Steichens etwas ernsthaftere Kollegen, dass er sich verkaufe und sein Talent verschludere:

    "Dass man Modefotografie als legitimes Arbeitsfeld nimmt für einen künstlerisch ambitionierten Spitzenfotografen, das war damals auch ein Skandal - alle seine Freunde haben sich von ihm abgewandt, die fanden das unglaublich, Ausverkauf, nicht? Wieso macht er das?"

    Natürlich gibt es in der Ausstellung ein paar grandiose Bilder: das Model Margaret Horan präsentiert ein Abendkleid vor einem aufgeklappten Konzertflügel, den Kopf in der Armbeuge, eine Jugendstil-Komposition, ein Spiel der Formen. Die Aufnahme der Marlene Dietrich von 1934, deren sehnsuchtsvoll nach oben gewendetes Gesicht sanft in die Schwunglinie der Sessellehne gebettet ist: ein perfektes Bild melancholischer Eleganz. Der mit Stickereien versehene Schleier, der das schöne Gesicht der Schauspielerin Gloria Swanson noch begehrenswerter macht und zugleich wegrückt - das alles sind künstlerische Techniken, die hier nur angerissen werden. Die Ausstellung zeigt von Edward Steichen nur die Oberfläche der Oberfläche; dahinter gäbe es, vom Piktorialismus bis zur kühlsachlichen Architekturfotografie, viel besseres zu entdecken.