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Solidarität mit HDP-Politikern
Kurden demonstrieren in Berlin

Als Reaktion auf die nächtlichen Verhaftungen führender HDP-Politiker in der Türkei gingen etwa 200 Menschen in Berlin um zwei Uhr morgens auf die Straße. Mehtap Erol, Berliner Co-Vorsitzende der HDP, rief die Demonstranten am Alexanderplatz zum unbefristeten Widerstand gegen Präsident Erdoğans Regime auf.

Von Kemal Hür | 04.11.2016
    Demonstranten halten Banner hoch. Auf dem Banner, das im Zentrum des Bildes zu sehen ist steht: "Erdogan + IS = Terrorismus. Widerstand ist kein Terrorismus". Einer der Demonstranten hält eine kurdische Flagge hoch.
    Auch in anderen deutschen Städten wurde heute gegen die jüngsten Festnahmen in der Türkei demonstriert, wie hier in Stuttgart am Schlossplatz. (imago stock&people / 7aktuell)
    Die Berliner Co-Vorsitzende der kurdischen Demokratiepartei der Völker, HDP, Mehtap Erol, spricht kämpferisch zu den Demonstranten auf Türkisch:
    "Ab sofort befinden wir uns unbefristet im Widerstand", ruft Erol der Menge zu. Der nächste Schritt nach der Festnahme der kurdischen Politiker sei die Todesstrafe, meint sie. Deutschland und die EU müssen den türkischen Präsidenten endlich stoppen, fordert sie unter dem Beifall der Demonstranten:
    "Ich muss sagen, wir haben in der Türkei einen Psychopathen, ein Monster, aber dieses Monster hat Europa mit erschaffen – und auch die Bundeskanzlerin. Drei Uhr morgens, wir sind immer noch auf der Straße. Wir werden bis zum Wochenende auf der Straße sein, demonstrieren, unsere Solidarität zeigen, dass wir hinter unserer Partei stehen. Es ist nicht nur in Berlin; überall in Deutschland, Hamburg, Stuttgart, sind Menschen auf der Straße. Und das wird auch so weitergehen."
    Erdoğan-Kritiker und Oppositionelle kommen als Flüchtlinge nach Europa
    Die EU und Deutschland hätten wegen des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei vor Erdoğans despotischem Vorgehen die Augen verschlossen, sagt der kurdische Schriftsteller Recep Maraşlı. Wenn sie jetzt nicht schnell Druck ausübten, würden sie mit ungewollten Konsequenzen rechnen müssen. Erdoğan-Kritiker und Oppositionelle würden als Flüchtlinge nach Europa und Deutschland kommen, meint Maraşlı, der selbst nach langer Haftstrafe und Folter in der Türkei nach Deutschland flüchtete:
    "Europa und Deutschland müssten gerade jetzt massiven Druck auf die Türkei ausüben. Aber in dieser kritischen Zeit halten sie sich auffällig zurück, weil sie die Türkei wegen der Flüchtlingsfrage brauchen. Die Folge ist: Erdoğan fühlt sich gestärkt. Er denkt, Amerika braucht mich als Partner im Nahen Osten, und Europa braucht mich wegen der Flüchtlinge. Was wir jetzt in der Türkei haben, ist ein islamo-faschistisches Regime."
    Einige der Demonstranten sind PKK-Anhänger
    Gegen 2.30 Uhr beginnen die Demonstranten einen Marsch zum Brandenburger Tor. Viele Teilnehmer sind PKK-Sympathisanten. Sie skandieren auf Kurdisch "Freiheit für Öcalan", für den Vorsitzenden der PKK, der sich seit 17 Jahren auf einer türkischen Insel in Isolationshaft befindet. Die Mehrheit der Demonstranten sind junge Männer. Sie hätten sich über Telefonketten und soziale Netzwerke kontaktiert. Sie würden Tag und Nacht auf die Straße gehen, sagen sie:
    "Wir alle Jugendlichen und auch die Erwachsenen sind mobil. Wir müssen arbeiten, aber wenn unsere Leute dort festgenommen und unterdrückt werden, müssen wir auch etwas opfern. Deshalb sind wir bei der Kälte auch auf der Straße – interessiert uns halt nichts."
    Die höchste Eskalationsstufe ist erreicht
    Der junge Politikwissenschaftler Şervan Deniz appelliert an die Bundesregierung, nicht immer nur von "Sorge" zu sprechen, sondern zu handeln:
    "Wir sind am Ende der Fahnenstange. Die Verhaftung der HDP-Co-Vorsitzenden und weiterer Abgeordneter ist die höchste Eskalationsstufe, die erreicht werden kann. Die Bundesregierung ist gut beraten, jetzt endlich Stellung zu beziehen und endlich Partei zu ergreifen im Namen der Demokratie und Menschenrechte und Erdoğan in die Schranken zu weisen."
    Die Demonstration endete ohne Zwischenfälle gegen 3.30 Uhr. Eine größere Kundgebung ist heute für 17 Uhr angemeldet worden. Als Reaktion auf die Festnahmen der HDP-Politiker erklärte Grünen-Vorsitzender Cem Özdemir heute, die Türkei verwandle sich zu einem "offenen Gefängnis". Die Bundesregierung solle den deutschen Botschafter aus Ankara zu Beratungen nach Berlin holen.
    Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier ließ den türkischen Gesandten in Berlin einbestellen. Das Gespräch soll noch heute stattfinden.