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Solo für Laurence Fishburne

Getrennt aber gleich, hieß der Wahlspruch der amerikanischen Bildungspolitik. Erst in den 50ern gelang es dem Bürgerrechtsanwalt Thurgood Marshall, die Trennung zwischen Schulen für Schwarze und für Weiße aufzuheben. In dem Ein-Mann-Stück "Thurgood" wird das Leben des Juristen geschildert. Bei der Erstaufführung am Broadway schlüpft Hollywood-Star Laurence Fishburne in die Rolle.

Von Andreas Robertz |
    Laurence Fishburne, den der eine oder andere noch als Orpheus in dem Zukunftsthriller "Matrix" vor Augen haben dürfte, holt zwei Puppen aus seiner braunen Aktentasche und legt sie auf den großen Gerichtstisch, der die Bühne des Booth Theatre beherrscht: eine weiße und eine schwarze. Welcher Puppe siehst du ähnlich? Als Antwort wird die schwarze nach vorne geschoben. Mit welcher würdest du lieber spielen? Die weiße kommt nach vorne. Welche Puppe magst du am liebsten? Wieder Weiß. Welche Puppe findest du schön? Wieder Weiß. Welche Puppe findest du hässlich? Schwarz.

    Mit strengem herausfordernden Blick schaut der Schauspieler dabei immer wieder ins Publikum. Wir befinden uns im Jahre 1952, mehr als 70 Prozent aller befragten schwarzen schulpflichtigen Kinder im Bundesstaat Kansas antworteten so, wie wir es auf der Bühne gerade erlebt haben. Nach Meinung des Psychologen, der die Kinder damals befragte, zeigten deren Reaktionen ihre tiefe Entfremdung, die in der Trennung der Schüler nach Hautfarbe begründet sei. Mit dieser Schlussfolgerung eröffnete der schwarze Anwalt Thurgood Marshall sein Plädoyer gegen die bis dahin herrschende Regel der strikten Aufteilung von Schulen für weiße und Schulen für schwarze Kinder. "Seperate but equal" - getrennt unterrichten, aber unter gleichen Bedingungen - so lautete der schulpolitische Wahlspruch. Thurgood Marshall, der später der erste schwarze Richter am höchsten amerikanischen Gericht, dem Supreme Court, werden sollte, führte diesen berühmten Prozess mit dem Namen "brown vs. board of education" für Oliver Brown. Er war einer der 13 klagenden Elternteile gegen das Erziehungsministerium der Vereinigten Staaten. Drei Jahre später sollte Marhall diesen Prozess gewinnen und damit die Rassentrennung in amerikanischen Schulen zumindest auf dem Gesetzesblatt beenden.

    Jedes Kind in Amerika kennt den Namen dieses berühmten Prozesses und den, der ihn gewonnen hat. George Stevens jr. hat die Geschichte dieses Mannes in einem 90-minütigen Monolog verarbeitet und dabei ein Stück amerikanische Rechtsgeschichte auf die Bühne gebracht, die weder langweilig, belehrend oder sentimental wird. Laurence Fishburne, der als alter Mann auf die Bühne kommt, lange in den Zuschauerraum sieht, die modernen Lampen dort bewundert - so was habe es zu seiner Zeit nicht gegeben - lässt sich viel Zeit, sein Publikum kennenzulernen. Er erzählt seine Geschichte voller Wärme und Charme und verwandelt sich dabei von dem würdigen alten Mann mit Brille und Stock in den jungen, tatenhungrigen Anwalt, der seine Hemdsärmel aufkrempelt. Immer wieder wirft er Namen seiner Zeitgenossen ins Publikum und fragt es dann, ob es sich noch an diesen oder jenen erinnere. Überraschenderweise antworteten ihm die Zuschauer oft, wie in der Schule.

    Fishburne erzählt von Reisen in die Südstaaten, vom Ku-Klux-Klan und von Polizeistationen, in denen junge schwarze Männer wegen kleinerer Delikte gefoltert wurden, von dem langen Kampf gegen die Diskriminierung in seinem Land mit der einzigen Waffe, die von der weißen Obrigkeit anerkannt wurde: dem Gesetz. Er schafft es, zwischen Strenge, Leidenschaft und Witz eine gute Balance zu finden, und seine Figur immer mit dem Augenzwinkern von einem zu spielen, der weiß, dass es am Ende gut ausgegangen ist. Irgendwann setzt er sich direkt an die Rampe vor das Publikum und erklärt warum er in den siebziger Jahren als oberster Richter für ein strikteres Waffengesetz war, gegen die Todesstrafe und für die Verbesserung der Bildungschancen ethnischer Minderheiten - alles Themen, die heute angesichts zunehmender Gewalt an Schulen und einem nicht enden wollenden blutigen Straßenkrieg zwischen Jugendbanden in Chicago an Aktualität nichts verloren haben. Zustimmung und Applaus aus dem Publikum lassen für einen Moment vergessen, dass wir im Theater sind und nicht auf einer Wahlkampfveranstaltung von Barack Obama, der gerne Thurgood Marshall zitiert und dessen Ausruf "yes, we can" zu seinem Schlachtruf gemacht hat. Am Ende bedankt sich das Publikum mit ungewöhnlich lautstarkem und stürmischen Applaus nicht nur bei Laurence Fishburne, sondern auch bei dem Autor, der in so unsicheren Zeiten, in denen Amerika sich gerade befindet, die Geschichte eines Mannes auf die Bühne gebracht hat, der wusste, wofür er kämpfte und was Amerika für ihn bedeutete. Ein guter Abend, der fast zu schnell vorbeigeht.