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Somalia
Nur noch wenige Piratenangriffe

Das Internationale Schifffahrtsbüro zählte im vergangenen Jahr nur noch 15 Piratenüberfälle im Golf von Aden. Ein Grund ist, dass sich die Handelsschiffe stark schützen. Allerdings tragen die ehemaligen Piraten nun zur weiteren Destabilisierung von Somalia bei.

Von Marc Engelhardt | 18.01.2014
    Schüsse auf hoher See. Private Sicherheitsleute an Bord eines Frachters feuern auf zwei Schnellboote mit somalischen Piraten. Minuten später treiben die Piratenboote führerlos im Meer, der Frachter setzt seine Fahrt fort. Ob es Tote oder Verletzte unter den Piraten gegeben hat, weiß niemand.
    Auch, weil die Handelsschiffe massiv aufgerüstet haben, ist die Zahl der Piratenüberfälle vor Somalia stark gesunken. Nur noch 15 hat das Internationale Schifffahrtsbüro im vergangenen Jahr gezählt – der niedrigste Wert seit sechs Jahren. Kapitän Kurt Leonards von der deutschen Fregatte Niedersachsen, die im Rahmen des EU-Einsatzes bis Ende Dezember im Golf von Aden Piraten abgewehrt hat, sieht dafür noch weitere Gründe.
    "Die Handelsschiffe selbst haben sich durch passive Maßnahmen auch vor Angriffen besser geschützt. Wir reden hier von Stacheldraht, von Feuerlöschschläuchen, über Puppen, die sie an Bord stationieren, sodass das aussieht wie Sicherheitsteams."
    Erstaunlich ist es schon, dass die somalischen Piraten auf einmal verschwunden scheinen. Denn in den vergangenen Jahren hat die Piraterie 400 Millionen Dollar Lösegeld eingebracht, schätzt die Weltbank. Das meiste davon sahnten zwar Hintermänner ab – doch es blieb genug übrig, um ganze Dörfer zu ernähren. Außer Seeräubern wurden Wächter, Köche, Fahrer und manches mehr gebraucht. In Somalia, wo es kaum Arbeit gibt und Risiko zum Alltag gehört, gab es für solche Jobs genügend Bewerber. Wo sind sie alle hin?
    Abdi Nassir Mohammed glaubt, dass er die Antwort kennt. Der junge Mann arbeitet für ein Friedensprojekt in Puntland, Somalias äußerstem Norden. Vor einigen Jahren kam ihm eine Idee: Er nahm die grausamsten Filmszenen über Somalias Piraten, die er auf Newswebseiten und YouTube finden konnte. Dann nahm er den Film und eine aufblasbare Leinwand und fuhr an die Küste – mitten rein in die Piratendörfer.
    "Der Film, den wir dort gezeigt haben, hat eine klare Botschaft gesendet. Mütter, Väter, Lehrer und die Ältesten, sie alle hatten nie davon gehört, wie gefährlich das Piratenleben wirklich ist. Unser Film hat ihnen gezeigt, dass Piraten erschossen werden oder anders umkommen. Das hat ihre Meinung geändert und sie haben die Piraten vertrieben."
    Dazu kommt die flaue Auftragslage. Denn tatsächlich hat die Bewaffnung auf See dazu geführt, dass den Hintermännern die Risiken zu groß geworden sind.
    "Es gibt immer weniger Gelegenheiten, ein Schiff zu entführen. Wenn die Erfolgschance für eine erfolgreiche Schiffsentführung bei vielleicht 1:100 liegt, dann rechnet sich das Geschäft einfach nicht mehr."
    Diese Abschreckungsstrategie, zu der auch die deutsche Marine beiträgt, kostet allerdings bis zu 18 Milliarden US-Dollar jedes Jahr. Von der Bedrohung durch die Piraten – egal, ob sie zuschlagen oder nicht – profitieren nicht nur Sicherheitsfirmen, sondern auch Versicherungen, Anwaltskanzleien, Schiffsausrüster und viele mehr. Eine Dauerlösung, warnt der UN-Experte für Piraterie Shamus Mangan, sei die Aufrüstung zur See schon deshalb nicht.
    "Die Piratenüberfälle sind zurückgegangen, ja. Aber diese Erfolge sind umkehrbar. Die Abschreckungsmaßnahmen dürfen deshalb allenfalls schrittweise zurück gefahren werden, je nachdem, wie es auf dem Meer aussieht."
    Die arbeitslosen Piraten suchen unterdessen nach einer neuen Beschäftigung. Immer mehr von ihnen, so heißt es in einem Bericht der Weltbank, schließen sich den Islamisten der Shabaab an. Die einstigen Hintermänner der Piraterie investieren ihre Lösegeldmillionen in Waffen für Terroristen und den Aufbau von Privatarmeen. Vor diesem Hintergrund warnt Weltbank-Sprecherin Bella Bird: Auf Dauer würde nur die Verbesserung der Lebensumstände helfen.
    "Unsere Analyse zeigt, dass die Piraterie ultimativ nur durch Maßnahmen an Land besiegt werden kann. Der somalische Staat muss wieder aufgebaut werden. Wir brauchen Institutionen, die den Hoffnungen der Somalis gerecht werden."
    Doch danach sieht es nicht aus. Somalias vor anderthalb Jahren gewählte Regierung hat bisher vor allem mit der Unterschlagung von Millionen von sich reden gemacht. Polizei und Justiz sind nach wie vor im Aufbau. Somalia hat noch einen weiten Weg vor sich, bis die einstigen Piraten auch an Land als besiegt gelten können.