Zuerst ein Video - unkonventionelle Kameraführung, gut geschnitten: ein Flugzeug landet in Frankfurt, ein Mann kämpft sich durch die Abfertigungsschleusen, steigt in ein Taxi, Stadtfahrt, dann betritt er eine Art Wohnbüro, sieht sich Fotos von Gewaltopfern an, legt sich auf eine Pritsche, schließt die Augen. Derweil quillt Nebel auf die Spielfläche, sein Albtraum wird Bühnen-Realität, und die Zuschauer, auch sie umnebelt, werden Ohrenzeugen einer unsichtbaren Gewaltszene. Danach steht dann Ajax auf der Bühne, das vom antiken Drama überlieferte Urbild des traumatisierten Soldaten, der im Wahn, es seien seine Widersacher (wohlgemerkt: in den eigenen Reihen) bestialisch gegen Tiere wütete.
Mit langem Blondhaar tritt, um Schadensbegrenzung bemüht, die Göttin Athene zu ihm. Aber was wie der Beginn einer Liebesszene aussieht, schlägt unvermittelt um und aus dem Stand schleudert Ajax sie, die ihm mit der Wahrheit kommt und mit Vorhaltungen, gegen die nächstbeste, die Hinterwand. Diese Gewalt gegen eine Frau ist wohl als zusätzliches Schockelement gedacht. Doch da sie ebenfalls nahkampfgeschult ist, fliegen nun die Fetzen und die beiden Kombattanten wüten derart gegeneinander, daß die Köpfe nur so gegen die Wand krachen. Lautstark.
Hier, so scheint es, ist der Regissseur und Sophokles-Bearbeiter Armin Petras in seinem Element. Beim nächsten Auftritt ist Ajax von Kopf bis Fuß blutverschmiert und springt Freund und Frau an, die sich hinter einem Baugitter verschanzt haben. Dazu Randale des betrunkenen Freundes und ein Lärmmix mit Hubschraubergeknatter und Kampflärm, um die Ganze auch akustisch aggressiv aufzuladen.
Dennoch: das Stück verschwimmt. Die Absicht der Neufassung auch. Und zu verspüren bekommt man gar nichts. Weder "Mitleid" noch "Schrecken" wollen sich, trotz aller catch-as-catch-can-Rüpel-Einlagen, einstellen. Zu unvorbereitet, zu wenig spannend, zu kontextfrei ist die sich von Gag zu Gag vortastende Dramaturgie des Regiehoffnungsträgers geraten.
Da steht Petras ja nicht allein. Lustlose Bakchen, eine zwittrige Iphigenie und nun ein gewaltknallender Ajax. Nach der dritten, vierten, fünften nichts-sagenden Klassiker-Interpretation landauf, landab in Folge fragt man sich doch nach der eigentlichen Bedeutung, die das Nachspielen antiker Mythen gegenwärtig hat.
Wenn schon keine Affekte, dann zumindest die große dramatische Form, das "Ritual" - eine theatralische Sturzgeburt aus dem Geist der Antike? Fehlanzeige. Der Chor entfällt, die Sprache klappert, und mit Dönekes-artigen Zusätzen ist ja nun wirklich kein postmoderner Staat zu machen. Bleibt als letzte Hoffnung das Politische, auf das eine Beilage in der Pressemappe mit längeren Exkursen zur US-Politik neugierig macht. Am lebenden Objekt des Stückes wird dieses Potenzial freilich auch nicht entfaltet. Allenfalls hat man den Eindruck, daß der griechische Mythos etwas prollihaft durchgenudelt werden soll: Bierbüchse, Schlägerjacke und Pro 7-Gehabe.
Das muß wohl den tauben Nerv der Zeit irgendwie treffen und läßt auf nicht mal erkältende Weise kalt. Welcher Art das Interesse der Theater an Antikenprojekten ist, bleibt auch in Frankfurt unklar. Dabei bedürfte es nur einer geringen interpretatorischen Mühe, um die fast beklemmende strukturelle Nähe der antiken Stücke zu gegenwärtigen Befindlichkeiten herauszuarbeiten; nicht trotz, sondern möglicherweise gerade wegen der Götterinstanzen, die sich federführend ins Menschenspiel einmischen: Erleben wir nicht, wie die multinationalen Konzerngottheiten und schicksalhaft wirkenden Großsysteme unserer Technologien den Einzelnen ebenso zum Spielball machen wie die Götter ehedem? Mag sein, daß man diese innere Verwandtschaft zur Antike unbestimmt spürt.
Aufgabe wäre es nun freilich, für dieses diffuse Gefühl eine überzeugende Form zu finden: weder plump aktualisierend im Verhältnis 1:1, noch ins Pseudo-Erhabene driftend. Gegen die Systeme nämlich kämpfte man weder damals noch heute im rangelnden Hauruckverfahren. Sie sind ungreifbar und damit unangreifbar - besonders dann, wenn sie, wie in Ajax, diesem wirklich verstörend zeitgenössischen Stück, das Individuum buchstäblich seiner Sinne und seiner Wahrnehmung berauben und zum blinden Manipulationsobjekt degradieren. Daß er durchdreht, ist kein Wunder. Im Gegenteil: ein verzweifelter Ausbruch ohnmächtiger Wut, deren Legitimation man anrührend zeigen müßte, statt sie polternd vorauszusetzen.
Mit langem Blondhaar tritt, um Schadensbegrenzung bemüht, die Göttin Athene zu ihm. Aber was wie der Beginn einer Liebesszene aussieht, schlägt unvermittelt um und aus dem Stand schleudert Ajax sie, die ihm mit der Wahrheit kommt und mit Vorhaltungen, gegen die nächstbeste, die Hinterwand. Diese Gewalt gegen eine Frau ist wohl als zusätzliches Schockelement gedacht. Doch da sie ebenfalls nahkampfgeschult ist, fliegen nun die Fetzen und die beiden Kombattanten wüten derart gegeneinander, daß die Köpfe nur so gegen die Wand krachen. Lautstark.
Hier, so scheint es, ist der Regissseur und Sophokles-Bearbeiter Armin Petras in seinem Element. Beim nächsten Auftritt ist Ajax von Kopf bis Fuß blutverschmiert und springt Freund und Frau an, die sich hinter einem Baugitter verschanzt haben. Dazu Randale des betrunkenen Freundes und ein Lärmmix mit Hubschraubergeknatter und Kampflärm, um die Ganze auch akustisch aggressiv aufzuladen.
Dennoch: das Stück verschwimmt. Die Absicht der Neufassung auch. Und zu verspüren bekommt man gar nichts. Weder "Mitleid" noch "Schrecken" wollen sich, trotz aller catch-as-catch-can-Rüpel-Einlagen, einstellen. Zu unvorbereitet, zu wenig spannend, zu kontextfrei ist die sich von Gag zu Gag vortastende Dramaturgie des Regiehoffnungsträgers geraten.
Da steht Petras ja nicht allein. Lustlose Bakchen, eine zwittrige Iphigenie und nun ein gewaltknallender Ajax. Nach der dritten, vierten, fünften nichts-sagenden Klassiker-Interpretation landauf, landab in Folge fragt man sich doch nach der eigentlichen Bedeutung, die das Nachspielen antiker Mythen gegenwärtig hat.
Wenn schon keine Affekte, dann zumindest die große dramatische Form, das "Ritual" - eine theatralische Sturzgeburt aus dem Geist der Antike? Fehlanzeige. Der Chor entfällt, die Sprache klappert, und mit Dönekes-artigen Zusätzen ist ja nun wirklich kein postmoderner Staat zu machen. Bleibt als letzte Hoffnung das Politische, auf das eine Beilage in der Pressemappe mit längeren Exkursen zur US-Politik neugierig macht. Am lebenden Objekt des Stückes wird dieses Potenzial freilich auch nicht entfaltet. Allenfalls hat man den Eindruck, daß der griechische Mythos etwas prollihaft durchgenudelt werden soll: Bierbüchse, Schlägerjacke und Pro 7-Gehabe.
Das muß wohl den tauben Nerv der Zeit irgendwie treffen und läßt auf nicht mal erkältende Weise kalt. Welcher Art das Interesse der Theater an Antikenprojekten ist, bleibt auch in Frankfurt unklar. Dabei bedürfte es nur einer geringen interpretatorischen Mühe, um die fast beklemmende strukturelle Nähe der antiken Stücke zu gegenwärtigen Befindlichkeiten herauszuarbeiten; nicht trotz, sondern möglicherweise gerade wegen der Götterinstanzen, die sich federführend ins Menschenspiel einmischen: Erleben wir nicht, wie die multinationalen Konzerngottheiten und schicksalhaft wirkenden Großsysteme unserer Technologien den Einzelnen ebenso zum Spielball machen wie die Götter ehedem? Mag sein, daß man diese innere Verwandtschaft zur Antike unbestimmt spürt.
Aufgabe wäre es nun freilich, für dieses diffuse Gefühl eine überzeugende Form zu finden: weder plump aktualisierend im Verhältnis 1:1, noch ins Pseudo-Erhabene driftend. Gegen die Systeme nämlich kämpfte man weder damals noch heute im rangelnden Hauruckverfahren. Sie sind ungreifbar und damit unangreifbar - besonders dann, wenn sie, wie in Ajax, diesem wirklich verstörend zeitgenössischen Stück, das Individuum buchstäblich seiner Sinne und seiner Wahrnehmung berauben und zum blinden Manipulationsobjekt degradieren. Daß er durchdreht, ist kein Wunder. Im Gegenteil: ein verzweifelter Ausbruch ohnmächtiger Wut, deren Legitimation man anrührend zeigen müßte, statt sie polternd vorauszusetzen.