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Sotschi
Schluss mit Bären, Babuschka und Balalaika

Die Olympia-Eröffnung in Sotschi wurde zu einer Inszenierung wie zu Zeiten der Sowjetunion. So gehörte die Stimme im Stadion Jewgenij Choroschewzew, dem offiziellen Kremlsprecher seit 1968. Die Botschaft: Nach den Jahren voller Chaos und Verbrechen helfen nur traditionelle Werte.

Von Thomas Franke |
    Es sollen die tollsten Spiele überhaupt werden. Ein hoher Anspruch, ein immenser Druck auf die Verantwortlichen. Der Druck war Dmitri Tschernyschenko anzusehen, als er gestern ans Mikro trat, um zum Milliardenpublikum zu sprechen:
    "Die Spiele in Sotschi sind für uns die Chance, das Beste zu zeigen, auf das Russland stolz ist: unsere Gastfreundschaft, unsere Traditionen, unser Russland. Unsere Spiele werden heiß, nicht allein wegen der Palmen, auch wegen der Wärme unserer Herzen. Sie werden cool mit neuen Stätten, neuen Helden, neuen Symbolen. Und sie werden Eure, denn wenn wir alle zusammen kommen, in unserer aller Vielfalt, dann verbindet uns Olympia."
    "Hot, cool, yours" ist das Motto der Spiele. Die Vielfalt der Sportler stellt sich bei Olympischen Spielen von allein ein. Die Vielfalt der Völker Russlands indes hatte angesichts des konservativ-russischen Mainstreams der Putin-Ära keinen Platz. Dabei sind etwa 30 Millionen Menschen in Russland keine ethnischen Russen. Aber wahrscheinlich ist so eine Olympiaeröffnung in Russland auch nicht gemacht, um das eigene Publikum durch Fremdes zu überfordern. Im neuen Russland gibt die Mehrheit den Minderheiten vor, wie weit sie gehen dürfen. Das ist das Demokratieverständnis im Umfeld des Präsidenten.
    Sotschi 2014 ist aber nicht nur das Megaprojekt, um das Image Russlands in der Welt aufzupolieren, die Olympischen Winterspiele richten sich nach innen, um einen Megapatriotismus schaffen. Alexej Muchin, Leiter des Zentrums für politische Information in Moskau und ein überzeugter Anhänger putinscher Politik fand die Feier - natürlich - gelungen.
    "Putin benutzt jetzt das Bild eines konservativen Führers. Deshalb beruft er sich auf das Beste aus der Zeit vor der Sowjetunion, während der Sowjetunion und nach der Sowjetunion. Es geht um eine Verbesserung des Images Russlands, nicht um eine Umwandlung."
    Die Stimme der Stalinzeit
    So katapultierten die Macher der Eröffnungsfeier denn auch altbewährte Elemente der Sowjetpropaganda in das 21. Jahrhundert. Da war zunächst die Stimme im Stadion. Sie gehört Jewgenij Choroschewzew, dem offiziellen Kremlsprecher seit 1968, sie ist fast identisch mit der seines Vorgängers, der Stimme der Stalinzeit.
    Die Russen sollen stolz sein auf die Eroberung des Kosmos und auf industriellen Fortschritt. Die sonst in Russland übliche Verherrlichung des Sieges im Zweiten Weltkrieg hat das Olympische Komitee aus dem Programm gestrichen. Die Botschaft ist klar: Nach den Jahren voller Chaos und Verbrechen helfen nur traditionelle Werte. Muchin: "Die westliche Welt rückt in letzter Zeit ja leider ein bisschen von traditionellen Werten ab. Und wir sehen, dass uns in Russland aggressiv Werte aufgezwungen werden, die nicht zu unseren Traditionen passen. Ich meine die Werte von Homosexuellen. Oder die Verbreitung von Konfessionen, die in Russland nie Fuß gefasst haben. Aber die Angriffe auf die russisch-orthodoxe Kirche haben ihre Anhänger viel besser geeint, als die Kirche das mit Mission hätte erreichen können. Angriffe von außen machen Russland stärker. Das müssen unsere Gegner berücksichtigen."
    Auch die bewährte Freund-Feind Rhetorik war schon in der Sowjetunion äußerst populär. Für Antinationalisten sind Olympische Spiele immer eine harte Zeit. In Russland wird es härter werden.
    So liefen denn die Fackelträger gestern Abend auf ein Gestell zu, das aus der Kameraperspektive an das Symbol der Olympischen Spiele 1980 in Moskau erinnerte. Der damalige Boykott tut vielen der Mächtigen heute noch weh. Es sei alles unglaublich ergreifend, gaben die Moderatoren im Staatsfernsehen die Sichtweise vor.
    "Wir haben immer gesagt, dass wir Russen Menschen vereinen können. Wir brauchen nur einen Anlass. Und diese Olympischen Spiele wurden der glänzendste Anlass in der Geschichte des modernen Russlands. Vor aller Welt bestätigt sich ein nicht zu leugnendes Faktum: Russland ist ein starker, mächtiger Staat, auf den wir immer stolz sein werden.
    'Olympiade ist mit uns', hoch mit: Olimpiada s nami, urra!"
    "Die Mehrheit der Russen hat patriotische Gefühle entwickelt"
    Muchins Ansichten zur Kritik am gestrigen Abend können fast als Drohung verstanden werden. "Die Eröffnungsfeier wurde im Staatsfernsehen übertragen, das muss einen offiziösen, konservativen Standpunkt verbreiten. Über den kann man natürlich lachen. Aber die Mehrheit nimmt das ernst. Und wenn Sie sich darüber lustig machen, riskieren Sie einen Konflikt. Die Mehrheit der Russen, selbst die, die mit der Vorbereitung der Olympischen Spiele unzufrieden sind, haben patriotische Gefühle entwickelt. So etwas ist nötig, denn es zeigt der Bevölkerung Russlands von Zeit zu Zeit, dass es ein Volk ist. Man kann sich darüber lustig machen, aber ich würde das nicht riskieren."
    Und auch die demografische Stärkung des russischen Volkskörpers bekam gestern Abend einen gebührenden Platz im Kampf der Kulturen. Zunächst wurden die Worte vljublennije, Liebende, projiziert und svadba, Hochzeit. Dann Kinder. Kinderwagen wurden ins Stadion getragen.
    "Die Hauptsache bei uns ist die Geburtenrate. Kinder. Wir haben da ganz objektive Indikatoren: Die Geburtenrate in Sotschi ist zwischen 2005 und 2011 um 38 Prozent gestiegen. Da sag noch einer, das habe nichts mit Olympia zu tun."
    Gegen Ende durchmaßen viele kleine weiße Punkte das Stadion.
    "Wir sehen den Kosmos. Mir scheint, im Kosmos ist es wie im Sport. Es ist grenzenlos, wie die Liebe von Mann zu Frau, von Frau zu Mann. Liebe zu den Sportlern. Das ist alles miteinander verwoben, feinsinnig und ergreifend."