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"Soziale Hängematte" oder sinnvolle Absicherung?

Jahrelang kamen viele Zuwander zum Arbeiten in die britische Hauptstadt London. Doch mit dem Ausbruch der Finanzkrise hat sich dieser Boom allerdings ins Gegenteil verkehrt: Die geplatzte Immobilienblase, der im Vergleich zu Deutschland dürftige Sozialstaat und die glücklose von Gordon Brown geführte Labour-Regierung haben in Großbritannien Frustration ausgelöst.

Von Ruth Rach |
    Achim, Chris und Heiko, drei junge deutsche Architekten in London. Mindestens einmal in der Woche treffen sie sich - in guter britischer Manier - gleich nach der Arbeit in einem Pub.

    Es geht um Arbeitslosengeld, um Jobs in Deutschland, um Karriereaussichten in der Schweiz. Und um Kollegen, die ihre Stelle verloren haben. Achim Jedelski, Mitte 30, hat dagegen Glück gehabt: Seit zweieinhalb Jahren ist er Projektkoordinator in einer großen Baufirma in London:

    "Als wir hergekommen sind war ich erst mal überrascht wie viel man hier verdienen konnte, wie schnell man den Job wechseln konnte. Jetzt wo's ein bisschen enger wird merkt man, dass diese ganzen sozialen Absicherungen, die man von Deutschland her gewohnt ist, hier halt nicht so existieren und wenn man hier gefeuert wird, kriegt man erst mal vom Staat 60 Pfund die Woche, man ist relativ gleich auf einem unteren Level. Dann geht's darum, möglichst schnell einen Job zu suchen. Irgendeinen Job, um die Miete zu zahlen. Man ist auf sich selbst angewiesen, von vorneherein."

    Heiko Mathias, Anfang 30, nickt. 2006 kam er nach London, frisch von der Uni, und fand innerhalb einer Woche eine Stelle. Zwei Jahre später wurde er genauso schnell auf die Straße gesetzt. Und bemühte sich umgehend um neue Arbeit.

    "Ich glaub schon, dass in Deutschland die soziale Hängematte eher vorhanden ist als hier. Dass sich die Leute sehr viel eher zurücklehnen und sagen Vater Staat soll für mich sorgen. Ich kenn's von 'nem Freund von mir, der ist gekündigt worden, müsste 'n andern Job annehmen, das wäre aber in einer anderen Stadt, er müsste wegziehen, und das ist ein bisschen schwer für ihn. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass wir als Nomadenvolk dahin ziehen wo die Arbeit ist und nicht stationär zu denken, ich bin jetzt hier und da bleib ich für die nächsten 40 Jahre meines Lebens."

    Nomadendasein - schön und gut, solange du flexibel bist, ungebunden, und schuldenfrei, sagt Chris Fellner, 33. In seiner Londoner Firma brach an Weihnachten ein Großprojekt ein, vier Stunden später war ein Viertel der Beschäftigten gekündigt. Chris will nur mittelfristig in London bleiben. Richtig Wurzeln schlagen würde er lieber in Deutschland. Obwohl er inzwischen mit einer Engländerin verheiratet ist:

    "London ist toll solang man jung ist, solang man Arbeit hat, gesund ist, und relativ wenig Verpflichtungen hat. Aber ich will meine Kinder hier auf keine Schule schicken, von daher sage ich fünf Jahre und dann werden wir sehen."

    Heiko Mathias hingegen hat bereits die Koffer gepackt. Er hat einen neuen Job. In Deutschland. Er war selbst überrascht, wie schnell das ging. Heiko führt das auf seine Auslandserfahrung zurück. Damit habe er gezeigt, dass er lernfähig und flexibel ist. Diese Eigenschaften hätten seien künftigen Chef besonders beeindruckt. Aber auch in seiner Lebenseinstellung hat Heiko dazugelernt:

    "Es geht immer weiter. Das lernt man hier. Das hat mich auch jetzt, als ich mich entschied nach Deutschland zu gehen optimistisch gestimmt. du weißt genau, es kommt was Neues: du wirst einen Job irgendwo kriegen."

    Wer ihn hingegen verliert, wird nicht gleich schräg angeschaut, im Gegensatz zu Deutschland, betont Chris Fellner. Seiner Meinung nach konzentrieren sich deutsche Medien zu sehr auf wirtschaftliche Katastrophenmeldungen:

    "Was hier viel durch die Presse geht, sind Leute, die entlassen worden sind, die das Ganze nicht als Tragödie sehen sondern eben als Chance. Banker, die ihr eigenes Modelabel gegründet haben und Anzüge schneidern. Ich hab jetzt von vielen gehört die ihre Arbeit verloren haben und die Welt ist nicht untergegangen. Die haben was neues gefunden, als Architekt, Koch, oder als Fremdenführer oder als Journalist…"

    Aber bei aller Kritik - aus der Distanz sieht Achim Jedelski seine Heimat in einem ausgesprochen freundlichen Licht:

    "Das ist etwas was ich an dem deutschen System zu schätzen gelernt habe, man hat die Möglichkeit nach dem besten Job für seine Fähigkeiten zu suchen. Ich würd' es auf keinen Fall soziale Hängematte nennen. In Deutschland ist man gewohnt, dass man 'ne gewisse Absicherung hat, und kritisiert eher wenn die reduziert wird, anstatt als sich zu freuen, dass es so was überhaupt gibt."

    Deutliche Zustimmung auch bei Heiko Mathias und Chris Fellner:

    "Ich hab auch immer lange gedacht wir müssten die Sozialsysteme zurückschrauben, um Deutschland wettbewerbsfähiger machen. Das hat sich schon geändert. Ich finde es gut dass es in Deutschland einen Sozialstaat gibt, eine Gesellschaft, die nicht nur aus Individuen besteht, sondern wo man für einander da ist. Dass diejenigen die stärker sind für diejenigen da sind, die die Hilfe brauchen. Das ist eine Mentalität, die ich hier vermisse."