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Soziale Unruhen nicht ausgeschlossen

Damit die Stimmung in Zeiten der Wirtschaftskrise nicht wie schon 2005 völlig eskaliert, legt die französische Regierung nun einen milliardenschweren Notfallplan auf: 500.000 junge Franzosen unter 26 Jahren sollen dadurch einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz finden. Doch gerade in den heruntergekommenen Vorstädten von Paris herrschen Zweifel, ob diese Pläne ausreichen, denn im Zweifel hängt der Erfolg einer Bewerbung von der Postleitzahl ab.

Von Margit Hillmann |
    Auf dem Wochenmarkt von Aubervilliers erledigen Bewohner der Pariser Vorstadt ihre Einkäufe.

    Hier sind die Lebensmittel billiger als im Supermarkt, sagt Miriam. Die aus Nordafrika eingewanderte Mutter von vier Kindern achtet auf jeden Cent, den sie ausgibt. Sie fürchtet, dass die Zeiten noch schlechter werden - das Geld noch knapper. Ihre größte Sorge gilt jedoch der beruflichen Zukunft ihrer Kinder. 'Unsere Kinder sind die letzten, die einen Job bekommen, und die Ersten, die ihre Arbeit wegen der Krise verlieren", beklagt die Bewohnerin des Pariser Vororts.

    "Selbst mit einer guten Schulbildung bekommen unsere Kinder hier keine Arbeit. Sie werden abgelehnt, weil sie einen arabischen Namen haben und aus einem Problemviertel kommen."

    Erfahrungen, die sich in den Statistiken bestätigen: Bereits vor der Krise waren in den Einwanderergettos vor den Toren französischer Großstädte - den sogenannten sensiblen Vororten - doppelt so viele Jugendliche arbeitslos wie im Landesdurchschnitt. Seit der Krise ist der Graben noch tiefer geworden: Innerhalb eines Jahres ist die Jugendarbeitslosigkeit in den sozial schwachen Vororten um 57,2 Prozent gestiegen - im Rest des Landes dagegen um durchschnittlich 21 Prozent. Einer der Gründe - so die Erfahrung der lokalen Arbeitsämter: Den Jugendlichen aus den verarmten Banlieues fehlt es an Ausbildung. Nicolas Simon, Direktor des Arbeitsamts in Aubervilliers:

    "Wir haben in unserem Bezirk einen hohen Anteil junger Arbeitssuchender mit einem niedrigen Ausbildungsniveau. Überdurchschnittlich viele Jugendliche scheitern hier bereits in der Schule und verlassen sie ohne Abschluss."

    Doch mit mangelnder Ausbildung allein lässt sich die Explosion der Jugendarbeitslosigkeit in den französischen Vorstadtgettos nicht erklären. Denn seit der Krise haben es ausgerechnet junge Akademiker aus den Banlieues besonders schwer, einen Job zu finden. Innerhalb eines Jahres hat sich ihre Arbeitslosenquote schlicht verdoppelt. Auch der Arbeitsamtdirektor aus Aubervilliers ist regelmäßig mit dem Problem konfrontiert.

    "Wir haben bei uns auch Jugendliche mit brillanten Studiendiplomen, die wir nicht unterbringen. Wir haben festgestellt, dass Diskriminierung dahinter steckt. Sie werden nicht eingestellt, wegen ihrer Hautfarbe, weil sie Einwandererkinder sind oder aufgrund ihrer Adresse - weil sie im Departement Seine-Saint-Denis wohnen."

    Der Arbeitsamtdirektor fürchtet, dass die Jugendarbeitslosigkeit in den Banlieues noch einmal kräftig ansteigen wird: Zum Ende des Schuljahres werden wieder tausende Schulabgänger aus den Vororten in die Krise entlassen, mit besonders geringen Chancen auf einen Job und ohne finanzielle Unterstützung. Denn in Frankreich gibt es das Recht auf Sozialhilfe erst ab dem 26. Lebensjahr.

    Es droht eine soziale Katastrophe, warnt denn auch der Bürgermeister von Aubervilliers, Jacques Salvator.

    "Wir brauchen eine neue Politik. Man spürt bereits sehr deutlich, dass sich unsere Situation durch die Krise gefährlich verschärft. Wir müssen unbedingt noch vor dem Sommer politisch darauf reagieren, um das Schlimmste zu verhindern."

    Das Schlimmste - damit meint der Bürgermeister Jugendrevolten, eine Explosion der Gewalt in den Vorstadtgettos. 2005 gab es das schon einmal: Straßenschlachten zwischen Polizei und Jugendlichen; Schulgebäude, Geschäfte und tausende von Autos gingen damals in Flammen auf. Seit einigen Wochen, berichtet der Bürgermeister von Aubervilliers, häufen sich erneut Zwischenfälle in den Straßen seiner Kommune, die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen nimmt wieder zu.

    ""Dass die Spannungen wachsen zeigt sich am zunehmend aggressiven Verhalten Jugendlicher. Vandalismus, Raubüberfälle - die Tendenz ist wieder steigend."

    Dass die Stimmung unter den Jugendlichen in den Vorstädten wieder sehr gereizt ist, meinen auch Schüler des Gymnasiums "Jean-Pierre Timbaud". Sarkozy kommt besser nicht zu uns nach Aubervilliers, sagen sie halb ernst, halb scherzend:

    "Wenn er hier mit seiner Limousine ankäme, sollte er besser nicht aussteigen. Das würd' er nicht überleben.""Man muss der Regierung klarmachen, dass wir aus den Banlieues nicht die letzte Scheiße sind, dass wir genauso arbeiten können, wie alle anderen.""