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Sozialistische Endzeiten

Am 27. Juni 1989 durchtrennten Ungarns Außenminister Gyula Horn und sein Amtskollege aus Österreich, Alois Mock, gemeinsam den Stacheldraht, der die Grenze zwischen Österreich und Ungarn markierte. Das Foto der beiden am Grenzzaun ziert den Schutzumschlag eines Buches, das den Zerfall des Ostblocks rekapituliert, verfasst vom ungarischen Schriftsteller György Dalos.

Von Rupert Neudeck | 06.04.2009
    Um es gleich vorweg zu sagen: Das ist ein glänzendes Zeitgeschichtsbuch voll funkelnder Analysen. Der Autor beschreibt die dramatisch schnelle Wende in den Jahren 1989 bis 1990 in sechs Ländern: in der damaligen DDR, in Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien. Das Tolle ist die Verbindung von tiefschürfenden historischen Analysen mit kleinen Begebenheiten von der Straße oder auch Witzen, die diese Sozialistischen Endzeiten besonders plastisch machen. So wird im Bulgarien Kapitel erwähnt, wie verführbar der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß war, der dem Bulgarischen Staats- und Parteichef Todor Schiwkow besonders zugetan war, auch weil dieser ihm als Jagdpartner zur Verfügung stand. Für Strauß gehörte Schiwkow zu den Politikern, "die wissen, dass es ohne grundlegende Veränderungen nicht weitergehen kann". Das sei für die Jagdsaison 1987/1988 ein erstaunlich "schmeichelhaftes Zeugnis". Das Land lebte über seine Verhältnisse, war es doch von den Rohstofflieferungen und der technischen Ausrüstung aus der Sowjetunion mehr abhängig als die Nachbarn im Norden. Dalos erzählt einen Witz, der aus dem Widerspruch zwischen Eigenleistung und Import in Bulgarien kursierte:

    Die Bulgaren wollen nach sowjetischem Muster einen Sputnik ins All schicken. Ganz Sofia ist festlich beflaggt. Einen Tag vor der geplanten Unternehmung schickt Schiwkow ein Telegramm nach Moskau: "Hund ist vorhanden - wir bitten um Sputnik".
    Alles das, was der aufgeklärte Europäer gern als Pervertierung einer ordentlichen Gesellschaft nach Afrika schieben möchte, hat sich in den Nomenklaturen der Ostblockländer eingestellt. Schiwkow schämte sich nicht, die eigenen Familienmitglieder in hohe Positionen zu hieven: Tochter Ljudmilla schickte er zum Studium nach Oxford, später wurde sie Kultusministerin, Schwiegersohn Iwan Slawkow leitete das staatliche Fernsehen. Den 750.000 Bürgern türkischer Herkunft und den 200.000 Pomaken sogenannte bulgarischsprachige Muslime wurde verboten, weiter ihre eigenen Namen zu behalten, es fand eine Zwangsumbenennung statt. Anlässlich des Austausches der Personalausweise wurden die Namen slawisiert. So hatte sich der hehre Anspruch der Arbeiter und Bauern-Republik in Nichts aufgelöst.
    Dalos zitiert die bulgarische Lyrikerin Shiwka Baltadschijewa mit ihrem Gedicht "Kurze Geschichte Bulgariens":

    Wir heilen uns, fortwährend heilen wir uns, heilen uns.
    Wir sind geheilt von der Byzanzzeit,/
    Geheilt von der Ottomanenzeit,/
    Geheilt von der Russenzeit,/
    Geheilt von der Faschistenzeit, von der Kommunistenzeit./
    Und welch Wunder der Wunder,/
    Historische Präzedenz, /
    Von allen Kräften/
    dunklen oder hellen/
    sind wir geheilt.

    So künstlich war es ja auch auf dem Balkan zur Zeit des Tito Jugoslawien zugegangen, mit der Folge, dass die Völker dann irgendwann ausbrachen aus dem Völker Gefängnis, das auch ein Geschichts-Gefängnis war. Spannend geschrieben die Epoche der zu Ende gehenden DDR, in der es ja nicht um die Wiedererrichtung eines Nationalstaates, sondern nur um die Vereinigung der Nation gehen konnte. Aber es gab damals noch illusionäre Vertreter eines Sozialismus im eigenen Land, eine besondere Form staatlicher Entwicklung um die kirchlichen Gruppen, aber eben auch um das Neue Forum, gegründet und geleitet von Bärbel Bohley. Der Autor zitiert aus dem Protokoll des Politbüros der KPdSU unter dem Tagesordnungspunkt "Über Egon Krenz": Gorbatschow:

    Hoffst Du, dass sich Krenz halten kann? Egal ohne Hilfe der BRD können wir sie trotzdem nicht über Wasser halten.
    Es gab in jedem der sechs Länder Generäle, KGB-Agenten, sowjetische Diplomaten, die für einen sofortigen Armee Eingriff nach dem Vorbild der militärischen Intervention am Platz des Himmlischen Friedens waren. In Polen stand es vorher schon Spitz auf Knopf, da dieses Land die Aufmüpfigkeit schon vor der Wendemarke des Jahres 1989 mit der bewunderten neuen Gewerkschaftsbewegung "Solidarnosc" ausprobierte. Die Tschechoslowakische Volksrepublik war total in der Zwangsjacke des Kommunismus, hatte aber die weltweit bekannt gewordene Gruppe der Widerstandsleute der berühmten Charta 77. Egon Krenz wurde nur eine traurige Transitfigur, mit Iliescu in Rumänien war es etwas anderes. Der Vorgang ist umso dramatischer, als in diesen Ländern alle Macht nur dem einen, dem Generalsekretär oder dem Präsidenten gehörte.

    Ceaucescus letzte wuterfüllte Äußerungen bezogen sich auf Verrat und Verschwörung, Janos Kadar konnte kurz vor seinem Tod wegen geistiger Umnachtung noch die Gespenster seiner Vergangenheit wahrnehmen, Gustav Husak soll am Krankenbett die Sterbesakramente genommen haben - falls er unter diesen Umständen etwas über den Sozialismus gesagt haben sollte, bleibt dies das Geheimnis seines Beichtvaters.
    Die Auflösungserscheinungen waren in den Ländern Ostmitteleuropas alle zugleich ähnlich und spezifisch anders. In Rumänien gab es eine knochenharte Tyrannei, die auch vom Westen gehätschelt wurde: Der Tyrann Ceaucescu hatte sich oft abseits der Moskauer Linie gehalten. So war er nicht 1968 mit den Warschau Pakt Truppen in die CSSR einmarschiert. Für die Endzeit 1989 bleibt die Frage: Warum musste der Diktator im entscheidenden Moment nach Teheran zum Staatsbesuch herausfliegen, um dort einen Empfang bei dem Mullah Regime zu bekommen. Zurückgekehrt wirkt alles, was er erlebt mit der Kundgebung und der Fernsehübertragung wie eine schlechte Theaterinszenierung. Ceaucescu hatte ja in seinem Land nur Inszenierungen der Politik und Gesellschaft von sich selbst erlebt. Dass es jetzt einen anderen Regisseur geben sollte, war für ihn eine bedrohliche Überraschung. Jemand der nie ein Widerwort von seinen Paladinen hörte, musste jetzt auf dem Platz in Bukarest Pfiffe und Protest hören und niemand von seiner Armee und Geheimpolizei schritt ein!
    Diese merkwürdigen Big Brothers hatten förmlich Angst vor der Macht der Bilder und lehnten vor allem Livesendungen ab. Hierbei schienen sie instinktiv richtig zu liegen, hatte doch zum Beispiel eine Direktübertragung des XII. Parteitages der Rumänischen KP im Herbst 1979 beinahe ins Chaos geführt. Der KP Veteran Constantin Parvulescu hatte dort den Personenkult des Conducators in einer Rede scharf kritisiert. Und es dauerte lange, bis auf dem Bildschirm der beruhigende Untertitel "Technische Panne" erscheinen konnte. Umso erstaunlicher erscheint es, dass die Ansprache von Nicolai Ceaucescu am Donnerstag, dem 21. Dezember direkt gesendet und dadurch zum Ausgangspunkt eines sehr außergewöhnlichen Medienereignisses des Jahres 1989 wurde, der sogenannte Telerevolution.
    Dalos kritisiert den etwas undifferenzierten Gebrauch des historischen Begriffes Revolution. Nach der Definition eines geplanten Umsturzes, der dann in einem symbolträchtigen Ereignis gipfelt, wie die französische Revolution in dem Bastillesturm, kann man seiner Ansicht nach bei allen Umwälzungen in den sechs Staaten nicht von Revolution sprechen. Dennoch waren die Ereignisse in unserer Nähe so geschichtsmächtig, dass man ohne den Begriff kaum auskommt. Auch Dalos wehrt sich eigentlich nicht gegen den Begriff, erwähnt, dass alle Beteiligten die Ereignisse als revolutionär empfanden.
    Schließlich waren sie von der bescheidenen Forderung, einen Akt der Behördenwillkür zu untersuchen, binnen weniger Tage am Systemwechsel angekommen.
    Das Buch ist ausgezeichnet geschrieben, voller spannender Details der dramatischen Monate und Jahre, der Autor kennt sich aus, er war selbst eine Person der Zeitgeschichte in Ungarn. In der prägnanten Art ist das ein sehr empfehlenswertes Zeitgeschichtsbuch.

    György Dalos: Der Vorhang geht auf. Das Ende der Diktaturen in Osteuropa. Das Buch ist bei C.H. Beck erschienen, hat 272 Seiten und kostet 19 Euro 90.