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Soziologe Sofsky: Fotos von Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan sind keine Bilder der Grausamkeit

Die Aufnahmen von deutschen Soldaten, die sich in Afghanistan mit einem menschlichen Schädel in teilweise obszönen Gesten fotografieren ließen, sind nach Auffassung des Göttinger Soziologen Wolfgang Sofsky keine Bilder der Grausamkeit. Sofsky, einer der weltweit angesehensten Gewaltforscher, sagte im Deutschlandfunk, die heute bekannt gewordenen Fotos zeigten vermutlich junge Männer, die selbst noch nie getötet haben: "Krieger, die unterwegs sind, verschaffen sich immer auch Trophäen. Auf den Bildern zeigen sie damit, wie stark und kräftig und machtvoll sie sind."

    Karin Fischer: Ein Totenschädel als Kriegstrophäe in der Hand eines deutschen Soldaten, das ist mehr, als die Öffentlichkeit in einem Moment vertragen kann, in dem immer mehr deutsche Soldaten an immer mehr Kriegsschauplätzen dieser Welt zum Einsatz kommen. Und haben wir nicht alle angesichts der Bilder von Abu Ghraib gedacht: Ein Angehöriger der Bundeswehr würde so etwas nie tun? Andererseits: Wo immer Krieg herrscht, ist Verrohung Alltag, das ist eine Weisheit, die nicht erst das 20. Jahrhundert lehrt. Schon Pieter Breughel oder Hieronymus Bosch oder Francisco de Goya mit seinem Kriegszyklus haben diesen Schrecken des Krieges dokumentiert. Frage an den Soziologen und Medienkritiker Wolfgang Sofsky: Wie lesen Sie diese heute veröffentlichten Bilder?

    Wolfgang Sofsky: Ich finde, sie sind kein Beweis für den Schrecken des Krieges, sondern hier zeigen einige Soldaten Fundstücke, die sie irgendwo aufgetan haben, offenbar in einer Kiesgrube oder in einem Massengrab. Sie haben selber nicht getötet. Es sind keine Bilder der Grausamkeit, sondern Bilder von Trophäen oder auch, die den Zusammenhang von Sexualität und Tod zeigen.

    Fischer: Wo sehen wir das noch, diese Trophäen zum Beispiel in der Kunst oder in der Kulturgeschichte? Gehört das zum Krieg wesentlich mit dazu?

    Sofsky: Also Krieger, die unterwegs sind, auch Soldaten moderner Armeen verschaffen sich immer Trophäen. Das sind manchmal dann wirklich Akte von Grausamkeit, indem sie nämlich aus den Körpern der Toten, die sie erschossen oder erstochen haben, Teile herausschneiden und mit sich führen. Das geht bis in die Kolonialkriege, bis in den Zweiten Weltkrieg, bis Vietnam und so weiter. In jedem Krieg sind Soldaten damit beschäftigt, auch Trophäen einzusammeln, weil die nämlich zeigen, was sie selber für Sieger sind, wie sie den Tod besiegt haben und wie stark und kräftig sie sind und wie machtvoll.

    Fischer: Ist es auch eine Form den Schrecken zu bannen im Bild? Es gibt ja schon relativ berühmte Vorläufer in der Kunstgeschichte, auch in der jüngeren, die die Gemetzel des Krieges auf eine unfasslich deutliche Weise darstellen, zum Beispiel die massenhaften Miniaturen von Jake und Dinos Chapman, die so eine Art surrealistische Tötungsanlage gefertigt haben.

    Sofsky: Ich finde, das ist eine sehr menschenfreundliche Interpretation, dass hier sozusagen ein Schrecken gebannt wird oder eine Angst abgewehrt wird.

    Fischer: Oder abgearbeitet.

    Sofsky: Wenn ich mir diese harmlosen, also wenn ich mir diese Fotos ansehe, ist das von der Motivlage viel naheliegender. Die müssen auch nicht die Ängste, die sie dort haben durch eine alte kulturelle Praxis sozusagen bewältigen und dann noch ein Foto davon machen, sondern die haben etwas gefunden, einen Totenschädel. Das ist das Gesicht aller Gesichter. In diesem Totenschädel sind die Menschen alle gleich und sie sind Soldaten im Krieg, die selber sehr wenig schießen und selber wahrscheinlich gar nicht getötet haben, und sie freuen sich einfach, damit herumzuspielen, das ist alles.

    Fischer: Das heißt, jenseits der sozusagen jugendlichen Geschmacklosigkeit ist an diesen Bildern überhaupt nichts dran oder muss man doch auch einfach resigniert feststellen, es gibt keinen Fortschritt in moralischer Hinsicht im Krieg?

    Sofsky: Ja, das ist sowieso ein Mythos, ich weiß nicht, wer diesen Mythos jemals aufgebracht hat, aber weshalb wir uns in Deutschland so besonders darüber erregen, oder warum sich manche so darüber erregen, dass hat wahrscheinlich damit zu tun, dass viele glauben, gerade die Deutschen hätten sich irgendwie politisch und moralisch und außenpolitisch gebessert in den letzten 60 Jahren. Und diese Bilder widerlegen so ein wenig die Heuchelei mit der diese Gesellschaft sich selber immer angesehen hat.