Wer trägt die Schuld an diesem "Maut-Debakel", wie es die Opposition nennt? Verschiedene Faktoren haben zusammengewirkt, wobei sich die beteiligten Gruppen gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben. Da wäre zum Beispiel die Toll Collect GmbH, beauftragt mit Entwicklung, Errichtung und Betrieb des Mautsystems. Die Verantwortlichen in der Berliner Firmenzentrale behaupten bis heute, dass das System längst funktionsfähig sei und die Verschiebung der Maut nicht auf technischen Ursachen beruhe. Vielmehr sei die überraschend hohe Nachfrage nach den Fahrzeuggeräten ausschlaggebend gewesen, mit denen sich Lkw-Fahrer automatisch in das System einbuchen können. Geschäftsführer Michael Rummel von Toll Collect zum Bedarf an diesen so genannten On-Board-Units:
"Wir hatten ja ursprünglich einen Vertrag mit dem Verkehrsministerium, 150.000 Endgeräte zum Ende August in den Verkehr zu bringen. Es hat sich jetzt in den letzten Wochen klar herausgestellt, dass die einzig akzeptierte Möglichkeit der Einbuchung in das Lkw-Maut-System dieses elektronische Abrechnungsgerät sein wird. Alles andere wird dann mit Verlust an Zeit, Komfort und Diskriminierung verbunden, und deswegen war es oberstes Ziel, möglichst hohe Stückzahlen zu einem Systemstart bereitzustellen."
Tatsächlich einigte sich das Verkehrsministerium mit Toll Collect darauf, dass nun zum Systemstart über 400.000 statt der bisher vereinbarten 150.000 Geräte zur Verfügung stehen sollen. Es stellt sich allerdings die Frage, warum die Verantwortlichen nicht von Anfang an eine ausreichende Zahl an On-Board-Units vertraglich festgelegt haben. Toll Collect gibt die Schuld daran den Spediteurs-Verbänden, die eine Zeit lang zum Boykott der On-Board-Units aufgerufen hatten. Umfragen hätten damals aus diesem Grund einen weitaus geringeren Bedarf ergeben. Der Präsident des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung, Hermann Grewer, zeigt sich einsichtig:
"Das könnte gewisse Auswirkungen haben, natürlich. Wir haben damals gesagt, wenn wir eine kritische Masse erreichen, die diese Mauterhebung boykottiert, dann wird es zu großen Problemen kommen. Wir haben aber dann feststellen müssen, und vielleicht ist zu der Zeit die Umfrage gemacht worden, das kann ich nicht ausschließen, wir haben aber dann feststellen müssen, dass zum Beispiel der ganze Werksverkehr sich nicht einbinden lassen wollte in diese Strategie, so dass wir irgendwo die kritische Masse, die zu einer solchen Maßnahme geführt hätte, die dann auch Wirkung gezeigt hätte, dass diese kritische Masse also nicht zu erreichen war. Und daraufhin haben wir gesagt: Gut, dann müssen wir uns der Situation stellen und müssen On-Board-Units einbauen."
Das war Ende letzten Jahres, und schon im Februar warnte der Bundesverband den Verkehrsminister, dass 150.000 Geräte nicht ausreichen würden. Doch man stieß auf taube Ohren. Immer wieder wiesen Ministerium und Toll Collect unisono darauf hin, dass es neben der automatischen Einbuchung mit On-Board-Units, oder kurz: OBUs, ja noch zwei weitere Möglichkeiten gebe: Die manuelle Einbuchung an Mautstellen-Terminals und die per Internet. Und in der Tat wäre die geringe Zahl an OBUs allein wohl noch kein Grund gewesen, die Maut zu verschieben. Die Ursache für diesen Schritt waren vielmehr handfeste technische Probleme, und zwar trotz aller gegenteiligen Beteuerungen von Toll Collect.
Zuständig für die Überwachung des gesamten Systemaufbaus und für die spätere Kontrolle von Lkw-Fahrern auf den Autobahnen ist das Bundesamt für Güterverkehr. Diese Behörde gehört dem Geschäftsbereich des Verkehrsministeriums an und verfasste Mitte Juli einen internen Vermerk, aus dem das ganze Dilemma deutlich hervorgeht. Die Fachzeitung trans aktuell zitierte aus dem Dokument das Vorhandensein "struktureller Software-Probleme" und kam mit den Prüfern zu dem Ergebnis:
"Die Funktionsprüfungen sind nicht abgeschlossen oder müssen zum Teil wiederholt werden. Mit dem Masseneinbau der OBUs wurde noch nicht begonnen. Die Mautstellen sind nicht in Betrieb genommen. Und der vorgegebene zweimonatige Probebetrieb konnte nicht gestartet werden."
Unter diesen Umständen war der 31. August als Einführung für die Lkw-Maut auf deutschen Autobahnen nicht länger zu halten. Zu groß wäre die Gefahr gewesen, das verkehrspolitische Projekt Nummer eins der Regierung Schröder mit einem beispiellosen Fehlstart auf Strecke gehen zu lassen. Zwar wendet Toll Collect ein, dass die Zahlen aus dem genannten Vermerk längst nicht mehr aktuell sind, doch hat sich an dem eigentlichen Problem bisher nur wenig geändert. Dazu Ernst Vorrath, Präsident des Bundesamtes für Güterverkehr:
"Das hat sich in bestimmten Teilbereichen etwas gebessert. Aber wir haben ja zu kontrollieren, ob das Gesamtsystem funktionstüchtig ist, nicht ob Einzelteile vielleicht jetzt heute funktionieren. Sondern das System muss ja an sich funktionieren. Die vier Facetten die wir haben, also sprich dieses manuelle Einbuchungssystem, das automatische System, natürlich für uns wichtig: das Kontrollsystem, und natürlich die Rechnungslegung. Wenn da ein Teil von nicht funktioniert, dann ist das ganze System nicht da. Das war zu dem Zeitpunkt, als wir den Bericht abgegeben haben, schon völlig klar, dass sie das in der Zeit nicht schaffen konnten."
Auch im Verkehrsministerium, wo man sich noch bis Ende Juli immer demonstrativ hinter Toll Collect gestellt hatte, verliert man offensichtlich langsam die Geduld. Das Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen, das bereits Mitte August fertig sein sollte, ist nach offiziellen Angaben bis heute nicht im Ministerium eingetroffen. Toll Collect behauptet dagegen, man habe das Gutachten letzten Mittwoch vorgelegt. Fest steht: Wegen der technischen Mängel und der Verzögerungen im Zeitplan kann die vorläufige Betriebserlaubnis bis auf weiteres nicht erteilt werden. Die wäre aber notwendig gewesen, um das Maut-System ordnungsgemäß in Betrieb nehmen zu können. Und so findet auch Angelika Mertens, Parlamentarische Staatssekretärin beim Verkehrsminister, inzwischen deutliche Worte:
"Wir sind in ganz vielen Bereichen eigentlich nicht da, wo wir vertragsgemäß sein sollten. Das BAG hat ja auch immer überprüft – konnte natürlich nie etwas überprüfen, was zum 31.8. dann wirklich auch stattfinden sollte. Aber das, was das BAG überprüft hat, waren die zeitlichen Abstände, bis wann etwas eben installiert werden sollte. Und es war so, dass in keinem Fall vertragsgemäß schon alles installiert war."
Direkt nachdem der Vermerk des Bundesamtes für Güterverkehr bekannt geworden war, hatte die Opposition verlangt, dass die Einführung der Maut verschoben werden muss. Als Minister Stolpe am 31. Juli schließlich seine Entscheidung verkündete, forderte sie dennoch seinen Rücktritt. Für den verkehrspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Dirk Fischer, hängt beides zusammen:
"Das eine ist unausweichlich von der Sache, und das andere ist die Frage der persönlichen Verantwortungslast. Deswegen ist das eine genauso notwendig wie das andere. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, dann muss verschoben werden, sonst hat man das Chaos. Und dann muss man sagen: Wer hat diese Lage herbeigeführt? Wer hat sie zu verantworten? Und das ist der Bundesminister, und der muss die Konsequenzen ziehen."
Auch wenn Stolpe persönlich nichts kann für die technischen Probleme, und auch wenn die Informationspolitik von Toll Collect mehr als nur ärgerlich ist, so trägt er trotz allem die politische Verantwortung für das Projekt. Dennoch scheint seine Ablösung, zumindest vorerst, abgewendet. Das wird ganz in Kanzler Schröders Sinn sein, würde er es doch andernfalls schon mit dem fünften Verkehrsminister in seiner knapp fünfjährigen Regierungszeit zu tun bekommen. Staatssekretärin Mertens jedenfalls stärkt ihrem Chef den Rücken:
"Ich denke, dass der Minister sehr verantwortungsvoll auch gehandelt hat. Wir haben in den Gesprächen mit Toll Collect immer wieder und auch scharf nachgefragt. Nur, wenn Toll Collect sagt, sie können den Termin halten, obwohl eben scharf nachgefragt wurde, ist es eben schwierig, einfach zu sagen: Wir stoppen das Ganze jetzt. Und ich denke, das hat ja nicht nur etwas damit zu tun, dass man jemandem vertraut, mit dem man einen Vertrag gemacht hat – und mit dem man ja auch einen sehr detaillierten Vertrag gemacht hat. Sondern es hat ja damit auch zu tun, dass wenn man so eine Sache stoppt, das durchaus auch Auswirkungen auf die Unternehmen haben kann."
Und es sind durchaus klangvolle Namen, um die es hier geht. Hinter Toll Collect steht ein Betreiberkonsortium, das sich aus dem französischen Autobahnbetreiber Cofiroute sowie aus DaimlerChrysler und Deutscher Telekom zusammensetzt. Auch als Zulieferer sind namhafte Unternehmen an der Maut beteiligt, unter anderem Siemens, Grundig, AGES und Höft & Wessel. Bei der Telekom-Tochter T-Systems, wo man mit der Software-Entwicklung für das Maut-System beschäftigt ist, mussten bereits zwei Topmanager ihre Posten räumen. Es knirscht im Gebälk der Beteiligten, auch wenn Toll Collect – Geschäftsführer Michael Rummel abwiegelt:
"Die Zulieferer und auch die Betreiber sind da sehr gelassen. Ich meine, die haben ja schon andere Anläufe gehabt: Der eine seine Fahrzeugreihen, der andere ganze Netze. Die Zulieferer sind ja allesamt sehr große. Wir haben ja Mobilfunk-Zulieferer, Systemzulieferer, die AGES, dann Höft & Wessel und so weiter. Das ist für die völlig normal, dass bei einem solchen Zusammenspiel neuerer und bewährter Komponenten halt am Anfang etwas Anpassungsbedarf besteht, der sich dann über die Zeit ausgleicht."
Trotz aller Dementis sind die Negativ-Schlagzeilen für den Betreiber Toll Collect ausgesprochen unerfreulich. Man hat dort mit großem Aufwand und finanziellem Einsatz ein weltweit einzigartiges System zur Mauterhebung entwickelt, das man gerne an andere Länder weiterverkaufen möchte. Erstmals müssen Lkw-Fahrer zum Bezahlen ihrer Maut-Schuld nicht zwingend ihren Wagen anhalten und an einem Terminal aussteigen, sondern können sich eben auch automatisch über die On-Board-Units einbuchen.
Dabei wird über das amerikanische Satelliten-Ortungs-System GPS annähernd metergenau festgestellt, wo sich der Lkw gerade befindet. Das System erkennt sogar, ob sich der Lkw auf oder neben einer mautpflichtigen Autobahn befindet. Die Daten mit den tatsächlich gefahrenen Kilometern werden anschließend per Mobilfunk automatisch an das Toll Collect – Rechenzentrum weitergeleitet. Von dort aus wird einmal im Monat die Rechnung an den Fahrzeughalter verschickt. Geschäftsführer Rummel gibt sich nach wie vor optimistisch:
"Das System hat in Europa einen glänzenden Ruf. Ich meine, wir sind ja hier etwas ins Sommerloch gefallen jetzt in Deutschland. Es gibt überall systembedingte Anläufe in der Richtung. Wir haben ja die Technologie als Reverenz in dem Weißbuch der EU. Für die nächsten Jahre sind Betreibersysteme zur Gebührenerfassung mit einer Übergangszeit dann über die Kombination Satellitenortung und Mobilfunk-Protokoll zu fahren und damit haben wir eine ganz klar gute Ausgangslage für künftige Exporte dieses Systems ins Ausland."
Damit ist ein Stichwort gefallen, das für den weiteren Verlauf der Maut-Diskussion noch von Bedeutung sein wird: Die Europäische Union. Wochenlang schwelte ein Streit zwischen der zuständigen EU-Kommissarin Loyola de Palacio und dem deutschen Verkehrsminister Stolpe. Es ging dabei um Ausgleichszahlungen für das deutsche Gewerbe, die von der EU unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Beihilfe genehmigt werden müssen. Die Bundesregierung will auf diese Weise die deutschen Spediteure mit 600 Millionen Euro jährlich entlasten, da sie im Vergleich zu ihren europäischen Kollegen weit höhere Nebenkosten zu tragen haben.
Im Gespräch sind drei Möglichkeiten dieser so genannten Harmonisierung: In erster Linie möchte die Regierung erreichen, dass Lkw-Fahrer, die in Deutschland tanken, einen Teil der gezahlten Mineralölsteuer auf die Maut anrechnen können. Sollte die EU das nicht genehmigen, könnte zweitens die Kfz-Steuer für schwere Nutzfahrzeuge auf das EU-rechtlich zulässige Mindestniveau gesenkt werden. Diskutiert wird drittens ein Innovationsprogramm, nach dem die Anschaffung besonders emissionsarmer Lkw durch den Bund gefördert werden soll.
Bisher liegt für keine dieser Maßnahmen eine Genehmigung aus Brüssel vor. Es ist ein EU-Prüfverfahren eingeleitet worden, in dessen Verlauf alles Weitere geklärt werden soll. Schon frühzeitig war abzusehen, dass bis zur Mauteinführung kein Ergebnis vorliegen würde: Die Bundesregierung setzte daher die geplanten Harmonisierungsschritte zunächst aus. Gleichzeitig senkte sie die Mautgebühren von durchschnittlich 15 Cent auf 12,4 Cent pro Kilometer, um das Gewerbe wenigstens teilweise zu entlasten. Man glaubte sich in Berlin auf der sicheren Seite, weil dies nicht nur für deutsche, sondern auch für ausländische Lkw-Fahrer gilt.
Dennoch vertrat EU-Verkehrskommissarin de Palacio bis vor kurzem die Auffassung, dass die Maut als solche erst dann erhoben werden darf, wenn das Verfahren in Brüssel abgeschlossen ist. Letzten Dienstag wurde der Streit in einem persönlichen Gespräch schließlich beigelegt: De Palacio erklärte, dass sie sich der Mauteinführung in Deutschland nicht länger in den Weg stellen werde. Im Gegenzug verpflichtete sich Stolpe, keine Beihilfe ohne ausdrückliche Zustimmung der EU-Kommission zu zahlen.
Damit scheint festzustehen, dass die Maut zunächst ohne die angekündigte Harmonisierung an den Start gehen wird. Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung(BGL) fürchtet als Folge den Verlust von 100.000 Arbeitsplätzen in Deutschland, wenn die Ausgleichszahlungen dauerhaft ausbleiben sollten. Obwohl die Maut als solche keine Wettbewerbsverzerrung darstellt, sieht BGL-Präsident Hermann Grewer deutlich die Gefahr:
"Wir haben ja schon eine Wettbewerbsverzerrung, das heißt das deutsche Güterverkehrsgewerbe ist pro Lkw mit etwa acht- bis neuntausend Euro höher belastet als unsere direkten ernstzunehmenden Konkurrenten in Europa. Und je höher der Transportpreis als solcher wird, umso gravierender sind diese Differenzen, werden diese Differenzen bewertet von unseren Auftraggebern. Und insofern ist die Maut on top gesattelt, einfach so, ein erheblicher Wettbewerbsnachteil."
Die Unterstützung der Opposition ist den Spediteurs-Verbänden sicher. Dirk Fischer von der CDU kündigte den Widerstand seiner Fraktion an, wenn Mautbeginn und Harmonisierungsschritt nicht gleichzeitig vollzogen werden. Seiner Meinung nach hätte die Bundesregierung viel früher die Aussprache mit der EU-Kommission suchen müssen:
" Wir haben als Union schon seit längerem, vor, glaube ich, drei Jahren, erstmals gesagt: Der Minister muss zur Kommissarin gehen. Er muss sich selbst persönlich darum kümmern. Er hat es nie getan. Dilettantischer kann man ein so großes Projekt kaum vor die Wand fahren."
Momentan kann die Bundesregierung allerdings nicht mehr viel tun, um das Prüfverfahren bei der EU zu beschleunigen. Im Verkehrsministerium wird man es sich kaum leisten können, aus Rücksicht auf Opposition und Spediteurs-Verbände die Mauteinführung noch weiter hinauszuzögern: Über 300 Millionen Euro kostet allein die Verschiebung auf November. Hinzu kommen noch einmal rund 30 Millionen Euro monatlich, weil der Vertrag über die bisher gültige so genannte Eurovignette zum 31. August gekündigt worden war – Geld, über das sich nun die Spediteure freuen können.
Unbestätigten Berichten zufolge beteiligt sich Maut-Betreiber Toll Collect mit 63 Millionen Euro an den Verlusten. Dennoch bleiben über 300 Millionen Euro übrig, die dem Steuerzahler zur Last fallen. Verkehrsminister Stolpe hat sich mit seinem Kollegen Hans Eichel aus dem Finanzministerium darauf verständigt, dass er den Fehlbetrag aus seinem eigenen Haushalt decken wird. Insgesamt rechnet Stolpe mit Mauteinnahmen von 2,8 Milliarden Euro pro Jahr, die vollständig in die Verkehrs-Infrastruktur investiert werden sollen.
Bei solchen Summen wird klar, dass dem Verkehrsminister die Zeit im Nacken sitzt. Die Diskussionen mit der EU-Kommission sind dabei nicht Stolpes einziges Problem: Fast schwerer noch wiegen die nach wie vor nicht ausgeräumten technischen Mängel. Noch immer hakt es im System, noch immer ist nicht abzusehen, wann die vorläufige Betriebserlaubnis erteilt werden kann. Als gestern die ersten Lkw auf Strecke gingen, konnten mehrere der eingebauten On-Board-Units keinen Kontakt zum Satelliten herstellen.
Schon werden Stimmen laut, dass auch der 2. November als Start-Termin für die Maut nicht gehalten werden kann. Dann dürfte langsam auch Toll Collect ernsthaft in Bedrängnis kommen: Drei Monate lang können die Maut-Betreiber laut Vertrag nicht mit einer Vertrags-Strafe belegt werden, danach drohen Sanktionen. Allerdings sind sich die Beteiligten offenbar nicht ganz einig, ab wann diese drei Monate überhaupt gelten. Der Präsident des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG), Ernst Vorrath, hatte die Vertragsverhandlungen zwischen Verkehrministerium und Toll Collect letzten September von Anfang an kritisch beobachtet:
"Es gibt immer unterschiedliche Auffassungen, wie man Verträge gestaltet und ausgestaltet. Und von daher kann man schon zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Zu dem damaligen Zeitpunkt, das muss man natürlich wissen, dass also die Anbieter natürlich gesagt haben, sie bräuchten eigentlich 15 Monate. Dann hat man die runtergehandelt auf die obligaten 11 - von letztes Jahr September, oder Ende September, bis jetzt. Und von daher gesehen war das immer schon ein bisschen problematisch, ob der Zeitrahmen nicht doch relativ schmal gesetzt war. Wobei ich mich natürlich auf den Standpunkt stelle: Wenn die den Vertrag unterschreiben, dann müssen sie ihn auch erfüllen."
Ob das nun in zwei Monaten der Fall sein wird, bleibt die Frage. Laut Vorrath könnte die Maut am 2. November nur dann eingeführt werden, wenn sich alle Beteiligten zusammenreißen und ohne weitere Verzögerungen mit Hochdruck arbeiten.
Enge Mitarbeiter des Verkehrsministers fragen sich, warum ihr Chef mit den Betreibern von Toll Collect nicht einen realistischen Termin ausgehandelt hat. Innerhalb des Ministeriums geht man davon aus, dass in diesem Jahr kein reibungsloser Systemstart mehr möglich sein wird. Einen endgültigen Aufschluss darüber wird aber wohl erst der unabhängige Sachverständige geben können. Sein Gutachten soll nun bis Mitte Oktober vorliegen und ein Fazit aus der gestern angelaufenen Einführungsphase ziehen.
Und was die Zahl der On-Board-Units angeht: Zwar hat Toll Collect schriftlich zugesichert, bis zum 2. November über 400.000 OBUs zur Verfügung zu stellen. Doch der Teufel steckt wie so oft im Detail: In einem internen 10-Punkte-Protokoll ist nur die Rede von einer "einbaufertigen Bereitstellung" der Geräte – ob die OBUs bis dahin wirklich in die Lkw eingebaut sind, geschweige denn funktionieren, steht auf einem anderen Blatt.
Im Übrigen herrscht im Ministerium auch Ratlosigkeit darüber, wie Stolpe eine Entscheidung von solcher Tragweite im Alleingang und ohne vorherige Rücksprache mit dem zuständigen Abteilungsleiter treffen konnte. Die Opposition hat eine Sondersitzung des Verkehrs-Ausschusses beantragt, die am 8. September stattfinden wird. Dann wird der Verkehrsminister Rede und Antwort stehen müssen. Schon jetzt scheint festzustehen, dass bei einem erneuten Aufschub der Maut Köpfe rollen werden. Und bei einem Bauernopfer dürfte es dann nicht bleiben: Je kurzfristiger eine solche Verschiebung öffentlich gemacht würde, umso größer wäre die Wahrscheinlichkeit, dass es Manfred Stolpe selbst trifft.
"Wir hatten ja ursprünglich einen Vertrag mit dem Verkehrsministerium, 150.000 Endgeräte zum Ende August in den Verkehr zu bringen. Es hat sich jetzt in den letzten Wochen klar herausgestellt, dass die einzig akzeptierte Möglichkeit der Einbuchung in das Lkw-Maut-System dieses elektronische Abrechnungsgerät sein wird. Alles andere wird dann mit Verlust an Zeit, Komfort und Diskriminierung verbunden, und deswegen war es oberstes Ziel, möglichst hohe Stückzahlen zu einem Systemstart bereitzustellen."
Tatsächlich einigte sich das Verkehrsministerium mit Toll Collect darauf, dass nun zum Systemstart über 400.000 statt der bisher vereinbarten 150.000 Geräte zur Verfügung stehen sollen. Es stellt sich allerdings die Frage, warum die Verantwortlichen nicht von Anfang an eine ausreichende Zahl an On-Board-Units vertraglich festgelegt haben. Toll Collect gibt die Schuld daran den Spediteurs-Verbänden, die eine Zeit lang zum Boykott der On-Board-Units aufgerufen hatten. Umfragen hätten damals aus diesem Grund einen weitaus geringeren Bedarf ergeben. Der Präsident des Bundesverbandes Güterkraftverkehr, Logistik und Entsorgung, Hermann Grewer, zeigt sich einsichtig:
"Das könnte gewisse Auswirkungen haben, natürlich. Wir haben damals gesagt, wenn wir eine kritische Masse erreichen, die diese Mauterhebung boykottiert, dann wird es zu großen Problemen kommen. Wir haben aber dann feststellen müssen, und vielleicht ist zu der Zeit die Umfrage gemacht worden, das kann ich nicht ausschließen, wir haben aber dann feststellen müssen, dass zum Beispiel der ganze Werksverkehr sich nicht einbinden lassen wollte in diese Strategie, so dass wir irgendwo die kritische Masse, die zu einer solchen Maßnahme geführt hätte, die dann auch Wirkung gezeigt hätte, dass diese kritische Masse also nicht zu erreichen war. Und daraufhin haben wir gesagt: Gut, dann müssen wir uns der Situation stellen und müssen On-Board-Units einbauen."
Das war Ende letzten Jahres, und schon im Februar warnte der Bundesverband den Verkehrsminister, dass 150.000 Geräte nicht ausreichen würden. Doch man stieß auf taube Ohren. Immer wieder wiesen Ministerium und Toll Collect unisono darauf hin, dass es neben der automatischen Einbuchung mit On-Board-Units, oder kurz: OBUs, ja noch zwei weitere Möglichkeiten gebe: Die manuelle Einbuchung an Mautstellen-Terminals und die per Internet. Und in der Tat wäre die geringe Zahl an OBUs allein wohl noch kein Grund gewesen, die Maut zu verschieben. Die Ursache für diesen Schritt waren vielmehr handfeste technische Probleme, und zwar trotz aller gegenteiligen Beteuerungen von Toll Collect.
Zuständig für die Überwachung des gesamten Systemaufbaus und für die spätere Kontrolle von Lkw-Fahrern auf den Autobahnen ist das Bundesamt für Güterverkehr. Diese Behörde gehört dem Geschäftsbereich des Verkehrsministeriums an und verfasste Mitte Juli einen internen Vermerk, aus dem das ganze Dilemma deutlich hervorgeht. Die Fachzeitung trans aktuell zitierte aus dem Dokument das Vorhandensein "struktureller Software-Probleme" und kam mit den Prüfern zu dem Ergebnis:
"Die Funktionsprüfungen sind nicht abgeschlossen oder müssen zum Teil wiederholt werden. Mit dem Masseneinbau der OBUs wurde noch nicht begonnen. Die Mautstellen sind nicht in Betrieb genommen. Und der vorgegebene zweimonatige Probebetrieb konnte nicht gestartet werden."
Unter diesen Umständen war der 31. August als Einführung für die Lkw-Maut auf deutschen Autobahnen nicht länger zu halten. Zu groß wäre die Gefahr gewesen, das verkehrspolitische Projekt Nummer eins der Regierung Schröder mit einem beispiellosen Fehlstart auf Strecke gehen zu lassen. Zwar wendet Toll Collect ein, dass die Zahlen aus dem genannten Vermerk längst nicht mehr aktuell sind, doch hat sich an dem eigentlichen Problem bisher nur wenig geändert. Dazu Ernst Vorrath, Präsident des Bundesamtes für Güterverkehr:
"Das hat sich in bestimmten Teilbereichen etwas gebessert. Aber wir haben ja zu kontrollieren, ob das Gesamtsystem funktionstüchtig ist, nicht ob Einzelteile vielleicht jetzt heute funktionieren. Sondern das System muss ja an sich funktionieren. Die vier Facetten die wir haben, also sprich dieses manuelle Einbuchungssystem, das automatische System, natürlich für uns wichtig: das Kontrollsystem, und natürlich die Rechnungslegung. Wenn da ein Teil von nicht funktioniert, dann ist das ganze System nicht da. Das war zu dem Zeitpunkt, als wir den Bericht abgegeben haben, schon völlig klar, dass sie das in der Zeit nicht schaffen konnten."
Auch im Verkehrsministerium, wo man sich noch bis Ende Juli immer demonstrativ hinter Toll Collect gestellt hatte, verliert man offensichtlich langsam die Geduld. Das Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen, das bereits Mitte August fertig sein sollte, ist nach offiziellen Angaben bis heute nicht im Ministerium eingetroffen. Toll Collect behauptet dagegen, man habe das Gutachten letzten Mittwoch vorgelegt. Fest steht: Wegen der technischen Mängel und der Verzögerungen im Zeitplan kann die vorläufige Betriebserlaubnis bis auf weiteres nicht erteilt werden. Die wäre aber notwendig gewesen, um das Maut-System ordnungsgemäß in Betrieb nehmen zu können. Und so findet auch Angelika Mertens, Parlamentarische Staatssekretärin beim Verkehrsminister, inzwischen deutliche Worte:
"Wir sind in ganz vielen Bereichen eigentlich nicht da, wo wir vertragsgemäß sein sollten. Das BAG hat ja auch immer überprüft – konnte natürlich nie etwas überprüfen, was zum 31.8. dann wirklich auch stattfinden sollte. Aber das, was das BAG überprüft hat, waren die zeitlichen Abstände, bis wann etwas eben installiert werden sollte. Und es war so, dass in keinem Fall vertragsgemäß schon alles installiert war."
Direkt nachdem der Vermerk des Bundesamtes für Güterverkehr bekannt geworden war, hatte die Opposition verlangt, dass die Einführung der Maut verschoben werden muss. Als Minister Stolpe am 31. Juli schließlich seine Entscheidung verkündete, forderte sie dennoch seinen Rücktritt. Für den verkehrspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Dirk Fischer, hängt beides zusammen:
"Das eine ist unausweichlich von der Sache, und das andere ist die Frage der persönlichen Verantwortungslast. Deswegen ist das eine genauso notwendig wie das andere. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, dann muss verschoben werden, sonst hat man das Chaos. Und dann muss man sagen: Wer hat diese Lage herbeigeführt? Wer hat sie zu verantworten? Und das ist der Bundesminister, und der muss die Konsequenzen ziehen."
Auch wenn Stolpe persönlich nichts kann für die technischen Probleme, und auch wenn die Informationspolitik von Toll Collect mehr als nur ärgerlich ist, so trägt er trotz allem die politische Verantwortung für das Projekt. Dennoch scheint seine Ablösung, zumindest vorerst, abgewendet. Das wird ganz in Kanzler Schröders Sinn sein, würde er es doch andernfalls schon mit dem fünften Verkehrsminister in seiner knapp fünfjährigen Regierungszeit zu tun bekommen. Staatssekretärin Mertens jedenfalls stärkt ihrem Chef den Rücken:
"Ich denke, dass der Minister sehr verantwortungsvoll auch gehandelt hat. Wir haben in den Gesprächen mit Toll Collect immer wieder und auch scharf nachgefragt. Nur, wenn Toll Collect sagt, sie können den Termin halten, obwohl eben scharf nachgefragt wurde, ist es eben schwierig, einfach zu sagen: Wir stoppen das Ganze jetzt. Und ich denke, das hat ja nicht nur etwas damit zu tun, dass man jemandem vertraut, mit dem man einen Vertrag gemacht hat – und mit dem man ja auch einen sehr detaillierten Vertrag gemacht hat. Sondern es hat ja damit auch zu tun, dass wenn man so eine Sache stoppt, das durchaus auch Auswirkungen auf die Unternehmen haben kann."
Und es sind durchaus klangvolle Namen, um die es hier geht. Hinter Toll Collect steht ein Betreiberkonsortium, das sich aus dem französischen Autobahnbetreiber Cofiroute sowie aus DaimlerChrysler und Deutscher Telekom zusammensetzt. Auch als Zulieferer sind namhafte Unternehmen an der Maut beteiligt, unter anderem Siemens, Grundig, AGES und Höft & Wessel. Bei der Telekom-Tochter T-Systems, wo man mit der Software-Entwicklung für das Maut-System beschäftigt ist, mussten bereits zwei Topmanager ihre Posten räumen. Es knirscht im Gebälk der Beteiligten, auch wenn Toll Collect – Geschäftsführer Michael Rummel abwiegelt:
"Die Zulieferer und auch die Betreiber sind da sehr gelassen. Ich meine, die haben ja schon andere Anläufe gehabt: Der eine seine Fahrzeugreihen, der andere ganze Netze. Die Zulieferer sind ja allesamt sehr große. Wir haben ja Mobilfunk-Zulieferer, Systemzulieferer, die AGES, dann Höft & Wessel und so weiter. Das ist für die völlig normal, dass bei einem solchen Zusammenspiel neuerer und bewährter Komponenten halt am Anfang etwas Anpassungsbedarf besteht, der sich dann über die Zeit ausgleicht."
Trotz aller Dementis sind die Negativ-Schlagzeilen für den Betreiber Toll Collect ausgesprochen unerfreulich. Man hat dort mit großem Aufwand und finanziellem Einsatz ein weltweit einzigartiges System zur Mauterhebung entwickelt, das man gerne an andere Länder weiterverkaufen möchte. Erstmals müssen Lkw-Fahrer zum Bezahlen ihrer Maut-Schuld nicht zwingend ihren Wagen anhalten und an einem Terminal aussteigen, sondern können sich eben auch automatisch über die On-Board-Units einbuchen.
Dabei wird über das amerikanische Satelliten-Ortungs-System GPS annähernd metergenau festgestellt, wo sich der Lkw gerade befindet. Das System erkennt sogar, ob sich der Lkw auf oder neben einer mautpflichtigen Autobahn befindet. Die Daten mit den tatsächlich gefahrenen Kilometern werden anschließend per Mobilfunk automatisch an das Toll Collect – Rechenzentrum weitergeleitet. Von dort aus wird einmal im Monat die Rechnung an den Fahrzeughalter verschickt. Geschäftsführer Rummel gibt sich nach wie vor optimistisch:
"Das System hat in Europa einen glänzenden Ruf. Ich meine, wir sind ja hier etwas ins Sommerloch gefallen jetzt in Deutschland. Es gibt überall systembedingte Anläufe in der Richtung. Wir haben ja die Technologie als Reverenz in dem Weißbuch der EU. Für die nächsten Jahre sind Betreibersysteme zur Gebührenerfassung mit einer Übergangszeit dann über die Kombination Satellitenortung und Mobilfunk-Protokoll zu fahren und damit haben wir eine ganz klar gute Ausgangslage für künftige Exporte dieses Systems ins Ausland."
Damit ist ein Stichwort gefallen, das für den weiteren Verlauf der Maut-Diskussion noch von Bedeutung sein wird: Die Europäische Union. Wochenlang schwelte ein Streit zwischen der zuständigen EU-Kommissarin Loyola de Palacio und dem deutschen Verkehrsminister Stolpe. Es ging dabei um Ausgleichszahlungen für das deutsche Gewerbe, die von der EU unter dem Gesichtspunkt der staatlichen Beihilfe genehmigt werden müssen. Die Bundesregierung will auf diese Weise die deutschen Spediteure mit 600 Millionen Euro jährlich entlasten, da sie im Vergleich zu ihren europäischen Kollegen weit höhere Nebenkosten zu tragen haben.
Im Gespräch sind drei Möglichkeiten dieser so genannten Harmonisierung: In erster Linie möchte die Regierung erreichen, dass Lkw-Fahrer, die in Deutschland tanken, einen Teil der gezahlten Mineralölsteuer auf die Maut anrechnen können. Sollte die EU das nicht genehmigen, könnte zweitens die Kfz-Steuer für schwere Nutzfahrzeuge auf das EU-rechtlich zulässige Mindestniveau gesenkt werden. Diskutiert wird drittens ein Innovationsprogramm, nach dem die Anschaffung besonders emissionsarmer Lkw durch den Bund gefördert werden soll.
Bisher liegt für keine dieser Maßnahmen eine Genehmigung aus Brüssel vor. Es ist ein EU-Prüfverfahren eingeleitet worden, in dessen Verlauf alles Weitere geklärt werden soll. Schon frühzeitig war abzusehen, dass bis zur Mauteinführung kein Ergebnis vorliegen würde: Die Bundesregierung setzte daher die geplanten Harmonisierungsschritte zunächst aus. Gleichzeitig senkte sie die Mautgebühren von durchschnittlich 15 Cent auf 12,4 Cent pro Kilometer, um das Gewerbe wenigstens teilweise zu entlasten. Man glaubte sich in Berlin auf der sicheren Seite, weil dies nicht nur für deutsche, sondern auch für ausländische Lkw-Fahrer gilt.
Dennoch vertrat EU-Verkehrskommissarin de Palacio bis vor kurzem die Auffassung, dass die Maut als solche erst dann erhoben werden darf, wenn das Verfahren in Brüssel abgeschlossen ist. Letzten Dienstag wurde der Streit in einem persönlichen Gespräch schließlich beigelegt: De Palacio erklärte, dass sie sich der Mauteinführung in Deutschland nicht länger in den Weg stellen werde. Im Gegenzug verpflichtete sich Stolpe, keine Beihilfe ohne ausdrückliche Zustimmung der EU-Kommission zu zahlen.
Damit scheint festzustehen, dass die Maut zunächst ohne die angekündigte Harmonisierung an den Start gehen wird. Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung(BGL) fürchtet als Folge den Verlust von 100.000 Arbeitsplätzen in Deutschland, wenn die Ausgleichszahlungen dauerhaft ausbleiben sollten. Obwohl die Maut als solche keine Wettbewerbsverzerrung darstellt, sieht BGL-Präsident Hermann Grewer deutlich die Gefahr:
"Wir haben ja schon eine Wettbewerbsverzerrung, das heißt das deutsche Güterverkehrsgewerbe ist pro Lkw mit etwa acht- bis neuntausend Euro höher belastet als unsere direkten ernstzunehmenden Konkurrenten in Europa. Und je höher der Transportpreis als solcher wird, umso gravierender sind diese Differenzen, werden diese Differenzen bewertet von unseren Auftraggebern. Und insofern ist die Maut on top gesattelt, einfach so, ein erheblicher Wettbewerbsnachteil."
Die Unterstützung der Opposition ist den Spediteurs-Verbänden sicher. Dirk Fischer von der CDU kündigte den Widerstand seiner Fraktion an, wenn Mautbeginn und Harmonisierungsschritt nicht gleichzeitig vollzogen werden. Seiner Meinung nach hätte die Bundesregierung viel früher die Aussprache mit der EU-Kommission suchen müssen:
" Wir haben als Union schon seit längerem, vor, glaube ich, drei Jahren, erstmals gesagt: Der Minister muss zur Kommissarin gehen. Er muss sich selbst persönlich darum kümmern. Er hat es nie getan. Dilettantischer kann man ein so großes Projekt kaum vor die Wand fahren."
Momentan kann die Bundesregierung allerdings nicht mehr viel tun, um das Prüfverfahren bei der EU zu beschleunigen. Im Verkehrsministerium wird man es sich kaum leisten können, aus Rücksicht auf Opposition und Spediteurs-Verbände die Mauteinführung noch weiter hinauszuzögern: Über 300 Millionen Euro kostet allein die Verschiebung auf November. Hinzu kommen noch einmal rund 30 Millionen Euro monatlich, weil der Vertrag über die bisher gültige so genannte Eurovignette zum 31. August gekündigt worden war – Geld, über das sich nun die Spediteure freuen können.
Unbestätigten Berichten zufolge beteiligt sich Maut-Betreiber Toll Collect mit 63 Millionen Euro an den Verlusten. Dennoch bleiben über 300 Millionen Euro übrig, die dem Steuerzahler zur Last fallen. Verkehrsminister Stolpe hat sich mit seinem Kollegen Hans Eichel aus dem Finanzministerium darauf verständigt, dass er den Fehlbetrag aus seinem eigenen Haushalt decken wird. Insgesamt rechnet Stolpe mit Mauteinnahmen von 2,8 Milliarden Euro pro Jahr, die vollständig in die Verkehrs-Infrastruktur investiert werden sollen.
Bei solchen Summen wird klar, dass dem Verkehrsminister die Zeit im Nacken sitzt. Die Diskussionen mit der EU-Kommission sind dabei nicht Stolpes einziges Problem: Fast schwerer noch wiegen die nach wie vor nicht ausgeräumten technischen Mängel. Noch immer hakt es im System, noch immer ist nicht abzusehen, wann die vorläufige Betriebserlaubnis erteilt werden kann. Als gestern die ersten Lkw auf Strecke gingen, konnten mehrere der eingebauten On-Board-Units keinen Kontakt zum Satelliten herstellen.
Schon werden Stimmen laut, dass auch der 2. November als Start-Termin für die Maut nicht gehalten werden kann. Dann dürfte langsam auch Toll Collect ernsthaft in Bedrängnis kommen: Drei Monate lang können die Maut-Betreiber laut Vertrag nicht mit einer Vertrags-Strafe belegt werden, danach drohen Sanktionen. Allerdings sind sich die Beteiligten offenbar nicht ganz einig, ab wann diese drei Monate überhaupt gelten. Der Präsident des Bundesamtes für Güterverkehr (BAG), Ernst Vorrath, hatte die Vertragsverhandlungen zwischen Verkehrministerium und Toll Collect letzten September von Anfang an kritisch beobachtet:
"Es gibt immer unterschiedliche Auffassungen, wie man Verträge gestaltet und ausgestaltet. Und von daher kann man schon zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Zu dem damaligen Zeitpunkt, das muss man natürlich wissen, dass also die Anbieter natürlich gesagt haben, sie bräuchten eigentlich 15 Monate. Dann hat man die runtergehandelt auf die obligaten 11 - von letztes Jahr September, oder Ende September, bis jetzt. Und von daher gesehen war das immer schon ein bisschen problematisch, ob der Zeitrahmen nicht doch relativ schmal gesetzt war. Wobei ich mich natürlich auf den Standpunkt stelle: Wenn die den Vertrag unterschreiben, dann müssen sie ihn auch erfüllen."
Ob das nun in zwei Monaten der Fall sein wird, bleibt die Frage. Laut Vorrath könnte die Maut am 2. November nur dann eingeführt werden, wenn sich alle Beteiligten zusammenreißen und ohne weitere Verzögerungen mit Hochdruck arbeiten.
Enge Mitarbeiter des Verkehrsministers fragen sich, warum ihr Chef mit den Betreibern von Toll Collect nicht einen realistischen Termin ausgehandelt hat. Innerhalb des Ministeriums geht man davon aus, dass in diesem Jahr kein reibungsloser Systemstart mehr möglich sein wird. Einen endgültigen Aufschluss darüber wird aber wohl erst der unabhängige Sachverständige geben können. Sein Gutachten soll nun bis Mitte Oktober vorliegen und ein Fazit aus der gestern angelaufenen Einführungsphase ziehen.
Und was die Zahl der On-Board-Units angeht: Zwar hat Toll Collect schriftlich zugesichert, bis zum 2. November über 400.000 OBUs zur Verfügung zu stellen. Doch der Teufel steckt wie so oft im Detail: In einem internen 10-Punkte-Protokoll ist nur die Rede von einer "einbaufertigen Bereitstellung" der Geräte – ob die OBUs bis dahin wirklich in die Lkw eingebaut sind, geschweige denn funktionieren, steht auf einem anderen Blatt.
Im Übrigen herrscht im Ministerium auch Ratlosigkeit darüber, wie Stolpe eine Entscheidung von solcher Tragweite im Alleingang und ohne vorherige Rücksprache mit dem zuständigen Abteilungsleiter treffen konnte. Die Opposition hat eine Sondersitzung des Verkehrs-Ausschusses beantragt, die am 8. September stattfinden wird. Dann wird der Verkehrsminister Rede und Antwort stehen müssen. Schon jetzt scheint festzustehen, dass bei einem erneuten Aufschub der Maut Köpfe rollen werden. Und bei einem Bauernopfer dürfte es dann nicht bleiben: Je kurzfristiger eine solche Verschiebung öffentlich gemacht würde, umso größer wäre die Wahrscheinlichkeit, dass es Manfred Stolpe selbst trifft.