Dienstag, 23. April 2024

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Spaniens Europaminister
"Wir haben die Pflicht, unsere Grenzen zu verteidigen"

Der spanische Europaminister Íñigo Méndez de Vigo hat eine neue EU-Flüchtlingspolitik gefordert. Vor dem Sondertreffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel sagte er im DLF, es gehe darum, den Verlust weiterer Menschenleben auf See zu verhindern. Gleichzeitig verteidigte er das Vorgehen gegen Einwanderer in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla.

Íñigo Méndez de Vigo im Gespräch mit Friedbert Meurer | 23.04.2015
    Der spanische Staatsminister für Europaangelegenheiten, Inigo Mendez de Vigo.
    Der spanische Staatsminister für Europaangelegenheiten, Íñigo Méndez de Vigo . (picture alliance / EPA / Jose Mendez)
    Íñigo Méndez de Vigo lobte den Zehn-Punkte-Plan der Europäischen Union, den die Innen- und Außenminister in dieser Woche aufgestellt hatten. Darin gehe es unter anderem darum, die Präsenz auf See zu erhöhen, stärker gegen Schlepper vorzugehen, "irreguläre Migrationsströme" zu verhindern und die europäische Solidarität zu stärken.
    Weitere Entwürfe müssten jetzt schnell und effizient auf den Tisch gelegt werden. "Wir müssen eine schnelle Antwort geben, um diese Tragödie zu verhindern", sagte der Minister im Deutschlandfunk.
    Auf die Frage, ob Spanien bereit sei, mehr Flüchtlinge aufzunehmen als bisher, sagte Méndez de Vigo: "Ja, natürlich." Dass es im ersten Halbjahr 2014 nur 2.000 Asylbewerber in Spanien gegeben habe, begründete der Minister damit, dass die meisten in andere Länder wollten, wie etwa Deutschland. Dort waren es 75.000 Asylbewerber.
    Die bisherige Verteilung von Flüchtlingen in Europa nannte Méndez de Vigo ungerechet. Die Regierungen der EU-Länder müssten jetzt miteinander reden, um einen Konsens in Europa zu finden.
    Spanien will Exklaven in Afrika verteidigen
    Spanien verfügt über zwei Exklaven in Afrika: Ceuta und Melilla. In den beiden Städten am Mittelmeer seien die Barrieren an den Grenzen gewalttätigen Attacken einer Vielzahl von Migranten ausgesetzt, sagte der Minister, das rechtfertige die massiven Grenzanlagen dort. Spanien habe die Pflicht, die Grenzen, die auch Außengrenzen der EU seien, zu verteidigen.
    In der Vergangenheit hatten dort spanische Einsatzkräfte mit Gummigeschossen auf Flüchtlinge geschossen, die versucht hatten, um die Anlagen herumzuschwimmen. "Das wird nicht mehr geschehen", sagte Méndez de Vigo im Deutschlandfunk, "ganz sicher".

    Das Interview in voller Länge:

    Friedbert Meurer: Oft haben sich die Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in der letzten Zeit um die Euro-Krise beispielsweise gedreht, oder um das Verhältnis zu Russland. Heute kommt der Gipfel aus einem ganz anderen Grund zusammen, nämlich was kann die Europäische Union tun, um den Wahnsinn zu stoppen oder zumindest zu mildern, der sich auf dem Mittelmeer abspielt.
    Tausende Flüchtlinge riskieren ihr Leben, um nach Europa zu kommen, und viele werden Opfer von Schleppern und skrupellosen Kapitänen, die sie mit seeuntüchtigen Schiffen über das Mittelmeer zu fahren versprechen. Gleichzeitig hat die EU zuletzt wenig für die Seenotrettung getan. Das und anderes soll sich jetzt ändern.
    Im Blickpunkt des Geschehens steht im Moment Libyen. Von dort starten die allermeisten der Schlepperboote. Aber die Flüchtlinge versuchen auch, zum Beispiel über Marokko Europa zu erreichen, und das heißt dann, dass sie ins nahegelegene Spanien wollen.
    Inigo Méndez de Vigo ist Europaminister Spaniens von der Konservativen Partei. Guten Morgen nach Madrid.
    Inigo Méndez de Vigo: Guten Morgen.
    Meurer: Herr Méndez de Vigo, ein Gipfel löst keine Probleme. Ist er nur eine Geste?
    Méndez de Vigo: Es ist eine Geste und Gesten sind im politischen Leben etwas wichtiges. Aber ich glaube, sie wird auch einen politischen Willen zeigen. Das heißt, wir haben eine Lage im Mittelmeerraum, die eine Tragödie ist, und wir müssen verhindern den Verlust weiterer Menschenleben auf See.
    Und wie Sie vorhin gesagt haben: Die Europäische Kommission hat einen Plan von zehn Punkten auf den Tisch gelegt, Verstärkung unserer Präsenz auf See, Vorgehen gegen Schlepper, Verhinderung irregulärer Migrationsströme und Verstärkung der internen Solidarität. Ich glaube, das ist wichtig. Sie haben das gut erklärt. Es gibt jetzt Entwürfe, die wir jetzt schnell und effizient auf den Tisch legen sollen. Europa muss eine europäische und zugleich dringliche und effiziente Antwort darauf geben.
    "Wir müssen diese Tragödie vermeiden"
    Meurer: Nehmen wir mal die Punkte uns einzeln vor, Herr Méndez de Vigo. Die Seenotrettung scheint im Moment am allerwichtigsten zu sein. Ist das eine gute Idee, diese Aufgabe an eine Grenzschutzagentur zu geben?
    Méndez de Vigo: Ich glaube schon. Wir haben Frontex. Frontex hat nicht viele Mittel. Wir müssen die Finanzmittel verdoppeln und das ist etwas, was wir jetzt unbedingt tun müssen, denn wir müssen diese Tragödie vermeiden. Und später - mit später meine ich nicht calendas greacas, ich meine im nächsten Monat im Mai - muss die Kommission, der Kommissar Avramopoulos, der eine wichtige Rolle spielen muss, eine komplette EU-Migrationspolitik schaffen.
    Das war auch eine Priorität dieser Kommission, der Kommission von Jean-Claude Juncker, und einer der fünf Punkte des Europäischen Rates, und das müssen wir auch auf den Tisch setzen. Wir müssen jetzt eine schnelle Antwort geben, um diese Tragödie zu verhindern.
    Meurer: Wird diese Antwort so schnell zu geben sein, was die Seenotrettung angeht? Wann sind die zusätzlichen Schiffe da?
    Méndez de Vigo: Ich glaube, wenn es den politischen Willen gibt - und ich glaube auch, es wird politischen Willen geben -, ganz schnell. Das muss sehr schnell laufen. Wir müssen eine Antwort geben. Wissen Sie, ich glaube, Europa ist ein Mehrwert. Das ist etwas, jetzt ist es in Italien. Es kann auch in Spanien oder in Bulgarien sein. Aber das ist nicht nur für ein Land, das ist für die ganze Union, und das ist das Allerwichtigste, wenn wir über interne Solidarität sprechen. Deshalb müssen wir, alle Länder, in diesem Fall jetzt Italien helfen.
    Meurer: Sie sprechen über interne Solidarität. Ist Spanien bereit, mehr Flüchtlinge aufzunehmen als bisher?
    Méndez de Vigo: Aber natürlich. Wissen Sie, Spanien ist einem hohen Migrationsdruck ausgesetzt gewesen und unternimmt starke Bemühungen zur Aufnahme von Flüchtlingen. Wissen Sie, immerhin zählt Spanien zu den Mitgliedsstaaten mit dem höchsten Ausländeranteil, ungefähr zwölf Prozent unserer Gesamtbevölkerung.
    "Wir brauchen eine gerechte europäische Asylpolitik"
    Meurer: Aber Sie haben nur 2.000 Asylbewerber im ersten Halbjahr 2014 gehabt, Deutschland 75.000.
    Méndez de Vigo: Wissen Sie warum? Weil sie verlangen, nach einem anderen Land, in diesem Fall Deutschland oder andere Länder zu gehen. Aber ich glaube, wir müssen eine gerechte Asylpolitik haben, und das ist, was dieser Vorschlag der Kommission im nächsten Monat Mai auf den Tisch stellen soll.
    Meurer: Wie kann man das gerecht verteilen?
    Méndez de Vigo: Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Die müssen wir überprüfen. Das muss auch ein Konsens von den 28 sein. Das können wir heute nicht in Brüssel beschließen, aber das werden wir in den nächsten Monaten machen.
    Aber das müssen wir tun. Wenn ich über interne Solidarität spreche, spreche ich im Allgemeinen, nicht nur in dem Fall, Flüchtlinge heute im Mittelmeer zu retten, aber auch in der Zukunft eine wirkliche europäische Asylpolitik zu haben.
    Meurer: Sie räumen schon ein, Herr Méndez de Vigo, im Moment ist die Verteilung in Europa ungerecht?
    Méndez de Vigo: Ich glaube schon. So ist das. Aber das müssen wir natürlich unter uns besprechen und es schaffen, einen Konsens in Europa zu finden.
    Meurer: Auf welcher Basis kann der Konsens erfolgen, eine Verteilung nach Bevölkerungszahl beispielsweise, große Länder so viel, kleine Länder so viel?
    Méndez de Vigo: Wissen Sie, das ist schwer zu sagen. Ich glaube, wir müssen auch die Bemühungen des jeweiligen Mitgliedsstaates in der Steuerung von Zuwanderung im Allgemeinen klarstellen. Aber wir müssen uns hinsetzen, wir müssen darüber reden, und das zeigt auch, wenn Europa den politischen Willen hat, können wir immer Lösungen finden. Ich bin optimistisch darüber. Aber das müssen wir auch mit der Kommission tun.
    "Die Grenzen Spaniens sind auch die Außengrenzen der EU"
    Meurer: Herr Méndez de Vigo, wenn ich schon die Gelegenheit habe, mit einem spanischen Minister zu reden, müssen wir natürlich auch reden über die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Marokko. Da gibt es diese sechs Meter hohen Zäune, um die Flüchtlinge abzuwehren. In Deutschland verbinden wir mit schwer bewachten Grenzzäunen eher ungute Dinge. Was rechtfertigt es, solch massive Grenzanlagen aufzubauen gegen die Flüchtlinge?
    Méndez de Vigo: Wissen Sie, man muss in diesen zwei Städten im Norden Afrikas sein, um zu sehen, wie das steht. Diese Barrieren an den Grenzen von Ceuta und Melilla sind gewalttätigen Attacken einer Vielzahl von Migranten ausgesetzt. Wir Mitgliedsstaaten müssen unsere Grenzen, wir haben eine verbundene Pflicht, unsere Grenzen zu verteidigen. Und ich muss auch sagen, die Grenzen der Mitgliedsstaaten - das sind die Grenzen Spaniens - sind auch Außengrenzen der EU.
    Deshalb haben wir die Pflicht und wir tun es auch, diese Grenze, wie ich wohl gesagt habe, zu verteidigen. Wir haben den Kommissar Avramopoulos eingeladen, das zu sehen, und er wollte eigentlich an diesem Montag und Dienstag nach Ceuta und Melilla reisen. Es ist nicht gelungen wegen dieser Tragödie im Mittelmeer, aber das werden wir mit ihm, mit der Kommission, mit der Europäischen Union in den nächsten Wochen tun.
    Meurer: Dürfen, Herr Méndez de Vigo, spanische Einsatzkräfte mit Gummigeschossen auf Flüchtlinge schießen, die versuchen, um den Zaun drumherumzuschwimmen?
    Méndez de Vigo: Wissen Sie, das ist geschehen. Das ist in der Vergangenheit geschehen. Aber das wird nicht mehr geschehen.
    Meurer: Ganz sicher?
    Méndez de Vigo: Ganz sicher.
    Meurer: Bleibt noch der Zaun selbst. Daran verletzen sich die Flüchtlinge. Was tun Sie da?
    Méndez de Vigo: Wissen Sie, die Flüchtlinge sind nicht zwei oder drei Leute, die rein kommen wollen; das sind 500 Leute, die von der Mafia vermittelt werden. Wir haben die Pflicht, wir haben die Pflicht, unsere Grenze zu verteidigen. Und wie Sie wohl gesagt haben: Es ist sehr leicht, die Grenze zu verteidigen mit Macht. Wir wollen es nicht mit Macht tun. Wir versuchen es, nicht mit Macht zu tun. Aber wir haben diese Pflicht und deshalb müssen wir auch mit der Kommission die Möglichkeiten finden, das zu vermeiden.
    Meurer: Inigo Méndez de Vigo ist Spaniens Europaminister. Heute ist EU-Gipfel zur Flüchtlingstragödie auf dem Mittelmeer. Herr Méndez de Vigo, danke schön nach Madrid und auf Wiederhören.
    Méndez de Vigo: Ich danke Ihnen!
    Meurer:
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.