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Sparzwang fürs Ehrenamt

Ob in Sportvereinen, im Naturschutz oder bei der Freiwilligen Feuerwehr. Über 23 Millionen Deutsche haben ein Ehrenamt. Doch obwohl diese Menschen allein für die Ehre arbeiten, kosten diese Ämter den Staat, die Länder oder die Kommunen Geld. Geld, das man nicht hat - oder sich nicht leisten will.

Von Dietrich Mohaupt | 15.12.2011
    Kathrin Wulff ist Sozialpädagogin bei der Brücke Neumünster. Das Herzstück dieser sozial-psychiatrischen Einrichtung ist eine offene Begegnungsstätte, ganz zentral gelegen mitten in der Stadt am Großflecken. In der alten Villa ist jeder willkommen, der mit psychischen oder Suchtproblemen zu kämpfen hat oder hatte. So wie Siggi Oheim – der 56-Jährige war viele Jahre lang drogen- und alkoholabhängig, die Spielsucht hatte ihn fest im Griff. Seit zehn Jahren ist er jetzt clean – und Stammgast bei der Brücke.

    "Diese Begegnungsstätte heißt für mich Familie. Menschen die mich kennen, die mich schätzen, die meine Probleme sehen, die immer da sind und für die ich da sein kann."

    Genau das ist einer der Kerngedanken der Brücke Neumünster: Man hilft sich gegenseitig. Nach Jahren als Patient hat Siggi Oheim immer mehr Aufgaben übernommen – er leitet Theaterworkshops und Selbsthilfegruppen, berät Neuankömmlinge oder begleitet andere zum Beispiel bei Behördenbesuchen.

    "Also ich helfe auch Menschen auf der Straße, mit diesem Streetworking, wenn man Anträge ausfüllen soll – ich weiß, wie das für einige Leute ist, wenn ich bedenke ... für einen jungen Mann, für den habe ich eine Wohnung besorgt und war mit dem bei den Ämtern und da sagte er, als er mit mir raus kam beim Arbeitsamt zu mir: Danke, dass du mit dabei warst. Endlich hat man mich wie einen Menschen behandelt."

    Ehrenamt wie aus dem Lehrbuch – Siggi Oheim bringt seine eigenen Erfahrungen in eine freiwillige Tätigkeit zum Wohle anderer ein, und profitiert auch davon, weil er in der Arbeit für die Brücke selbst Stabilität und Schutz findet. Ähnlich wie er arbeiten gut 40 Ehrenämtler in der Begegnungsstätte. Platz ist für alle genug vorhanden in der alten Stadtvilla am Großflecken – die Tür steht zu den üblichen Öffnungszeiten eigentlich immer offen. Finanziert wird das alles einerseits aus Spenden und Flohmarktverkäufen, andererseits aus staatlichen Zuwendungen - und genau die wurden jetzt drastisch gekürzt: 15 Prozent weniger gibt es vom Land, die Stadt will ihre Zuschüsse sogar um 20 Prozent kürzen. Klar, sparen müssen in diesen Zeiten alle – das akzeptiert auch Siggi Oheim, aber so rigoros sparen am Ehrenamt?

    "Ich finde das ist eine Sparsamkeit an der falschen Sache, das ist eine Sparsamkeit an den Menschen. Und wenn man an den Menschen spart, ist in meinen Augen der Staat nicht mehr für die Menschen da."

    Denn die Kürzungen haben drastische Auswirkungen – zunächst einmal auf die vier hauptamtlichen Mitarbeiter, aber die Konsequenzen sind viel weitreichender, erläutert der Pädagogische Leiter der Brücke Neumünster, Fritz Bremer.

    "Die Mittel die uns verloren gehen sind ungefähr ein Drittel der Personalkosten – das wird bedeuten Öffnungszeiten, Zeiten für Beratungsangebote werden reduziert, Gruppenangebote können nicht mehr so eng begleitet werden von hauptamtlichen Mitarbeitern, und wir fürchten natürlich auch, dass die Anleitung, Begleitung, Unterstützung für ehrenamtlich Tätige, Selbsthilfeaktive wie Sigismund Oheim und viele andere dann auch nicht mehr so eng sein kann."

    Die Folgen der Sparpolitik sind aber auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen nicht zu übersehen. Wenn zum Beispiel Zuschüsse für Sportvereine gestrichen werden, dann fehlt das Geld vor allem für Aufwandsentschädigungen oder die dringend erforderliche Aus- und Fortbildung ehrenamtlicher Übungsleiter – die Folge: zunehmender Frust statt Lust auf bürgerschaftliches Engagement. Die Mitarbeiter der Brücke in Neumünster wollen die geplanten Kürzungen jedenfalls nicht einfach so hinnehmen. Derzeit versuchen sie zum Beispiel an Zuschüsse aus anderen Fördertöpfen heranzukommen, über Flohmarktverkäufe und zusätzliche Spenden konnten sie den Eigenanteil an der Gesamtfinanzierung deutlich erhöhen. Unter dem Strich bleibt aber die Sorge – vor allem auch bei den ehrenamtlichen Mitarbeitern wie Siggi Oheim – dass sich doch einiges ändern wird.

    "Für mich bedeutet das, dass ich wahrscheinlich weniger Fortbildung bekomme, weniger Unterstützung durch Zuwendungen für ein Weihnachtsessen oder andere Sachen, und das unsere oder meine Arbeit geschmälert wird – das heißt sogar, dass es sie vielleicht nicht mehr so geben wird, wie sie jetzt ist."

    Da klingt schon so etwas Resignation durch – und auch bei anderen ehrenamtlichen Mitarbeitern, die selbst einmal als Patienten in der Brücke waren und jetzt anderen helfen, hat Kathrin Wulff schon gespürt, dass die Motivation angesichts der Vorgaben aus der Politik zu schwinden beginnt.

    "Das ist ganz besonders schade, weil einfach die Motivation für Psychiatrie-Erfahrene durchgängig und kontinuierlich da sein muss. Es ist ganz, ganz wichtig, dass Psychiatrie-Erfahrene, die sich engagieren wollen, feste Ansprechpartner haben – wenn feste Ansprechpartner einfach nicht da sind, dann bleiben auch Psychiatrie-Erfahrene einfach weg und sind demotiviert. Und das wäre grundsätzlich für die Zukunft ein Problem."

    Und zwar ein Problem, das sich auch unter künftig vielleicht wieder besseren Rahmenbedingungen nicht so einfach wieder beheben ließe. Denn, so die Erfahrung von Kathrin Wulff, wo erst einmal Strukturen des von der Politik immer als so wichtig beschworenen Ehrenamts zerstört sind, da ist es ganz schwierig, sie wieder aufzubauen.