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Spaziergang ohne Klassik

Was wäre Weimar ohne Goethe, Schiller und all die Klassiker? Eine ganz normale Stadt? Vermutlich. Vielleicht würden wir dann auch mehr wissen über die Travertin-Steinbrüche. Selbst Goethe durchkletterte sie vermutlich. Noch heute sind Stücke seiner Sammlung erhalten, zum Beispiel Großsäugerknochen.

Von Blanka Weber |
    "Wir wissen also sehr genau welche Arten hier gewachsen sind, haben sogar die Früchte davon konserviert, so dass wir Schritt für Schritt diese alte Umwelt versuchen zu rekonstruieren."

    Tim Schüler ist Archäologe, einer der sich auf Geologie und frühe Erdgeschichte spezialisiert hat. Steine und Pflanzen sind für ihn Indizien für einen Boden und dessen Geschichte:

    "Es gibt zwar auch so ein paar Störenfriede, zum Beispiel die Goldrute, die passt hier überhaupt nicht hin, die will aber auch nicht wieder weg."

    Unterwegs im Travertin-Steinbruch von Ehringsdorf, am Rande Weimars, ganz in der Nähe von Schloss Belvedere.

    "Das Spannende an Weimar ist die Tatsache, dass man durch die Geschichte sehr weit zurück marschieren kann, wenn man sich durch die Erde hindurcharbeitet. Man hat diese klassischen Sachen, die man als Bauwerke empfinden kann, darunter gibt es Bodenhorizonte, die von der Jungsteinzeit bis hin zum Mittelalter."

    Für Tim Schüler ist die Offenbarung des Travertin-Gesteins ein Blick in die früheste Geschichte: Hier wurden Skelettreste einer Frau gefunden. Früher Neandertaler - so viel ist klar. Über die Details streiten die Experten noch heute. Doch nicht nur Menschenknochen geben Rätsel auf, auch Indizien für Tiere:

    "Wir haben also einen Großteil des Schädels, wir haben das Becken, wir haben von den Extremitäten Knochen und relativ viel und man kann also davon ausgehen, dass hier wirklich ein vollständiger Waldelefant mal entweder getötet worden oder verendet ist."

    Tim Schüler zeigt auf die Steinabdrücke von Ehringsdorf: Elefantenknochen, Bärentatzen, alles ist für den Wissenschaftler gut zu erkennen im hellen Kalkgestein. Der Laie tut sich da schon schwerer. Travertin wird heute nicht mehr abgebaut. Im Mittelalter wurde das Gestein für Türschwellen verwendet. Das erklärt der Reiseführer Dirk Trommler hoch zu Ross. Wie es damals in Weimar gerochen haben mag - das erklärt der Kutscher von heute seinen Gästen völlig ungeschönt:

    "Man begann mit der Einführung von Trittsteinen, so dass man damals wenigstens trockenen Fußes von Haus zu Haus gelangen konnte. Auch durfte man seine Fäkalien nicht mehr aus dem Fenster schütten. Man musste sie eben nach 10 Uhr abends auf die Straße hinunterbringen, in die Gosse hinein befördern. Und wer nach 11 Uhr abends hier noch ohne Laterne in dieser Stadt unterwegs war, den hat die Stadtpolizei in Gewahrsam genommen."

    Dirk Trommler führt mit Humor und per Kutsche ins mittelalterliche Weimar.

    "Das soll uns bitte nur als Beispiel dienen, wie es doch seinerzeit ausgesehen und gestunken haben muss und da spricht man bei uns immer so gerne vom goldenen Zeitalter der Klassik, die Herrschaften. Was das doch am Ende für ein Dreckloch gewesen ist."

    Rechts das alte Franziskanerkloster. Auch Martin Luther war einst hier. So wie Herder, Wieland, Liszt und Adolf Donndorf:

    "Und dieser Adolf Donndorf, das ist ein Weimarer Bürger gewesen. Er ist nach Amerika ausgewandert. Er hat im dortigen New Yorker Zentralpark diesen Brunnen erbauen lassen und aus Dank an seinen Stadt Weimar, weil ihm die Weimarer Bürger durch ihre Spenden das Studium in Dresden ermöglicht haben, hat er diesen Brunnen hier als Double aufstellen lassen. Es ist ein Bildnis der Liebe und des Lebens, sagt man dazu."
    Dirk Trommler's Pferde traben über das Pflaster, 3 mal täglich lädt der Mann in Weste und mit Melone zur ungewöhnlichen Tour:

    "Links gehalten von uns, die Herrschaften, sieht man das Gasthaus Sächsischer Hof. Die Herrschaften."

    Heli und Schiri geben ihr Bestes, vorbei an Autos und Touristen, an Fahrradfahrern und Kinderwagen - hin zu den unbekannten Ecken und trüben Winkeln der Stadt:
    "Das Gasthaus 'Zur Scharfen Ecke' hat seinen Namen bekommen, hier vorne ist im frühen Mittelalter auf dieser Handelsstraße mal ein Pferdefuhrwerk zu Fall gekommen, der Kutscher dabei zu Tode und man sagt immer als Warnung dazu: Die Scharfe Ecke in Weimar! Hier sollte man bitte nichts anderes vermuten. Das fand man dann wiederum hier im Rossmariengässchen, die Herrschaften!"

    Auch der Leiter des Stadtarchivs wollte mehr wissen über die Finessen des Mittelalters im kleinen Weimar. Von 6.000 Einwohnern ist immer die Rede. Weit gefehlt, sagt Jens Riederer:

    "Und da haben wir 1640: 2.863 Einwohner und das Besondere daran ist, das im gleichen Jahr ein Pestjahr war und sich 4.000 Fremde zur gleichen Zeit in der Stadt befunden haben und deswegen hat man oft gezählt, das in Weimar damals 6.000 Einwohner waren. Das zeigt doch wie klein Weimar damals war, obwohl es Residenz war."

    Noch eine letzte Tour für diesen Tag, dann gibt es Hafer für Heli und Schiri und für Dirk Trommler ein kühles Bier.