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SPD fordert Zulassungsverfahren für höhere Klassen von Medizinprodukten

Als Konsequenz aus dem Skandal um mangelhafte Brustimplantate fordert SPD-Gesundheitsexpertin Carola Reimann ein Zulassungsverfahren für lebenslang im Körper verbleibende Medizinprodukte. Richtig sei eine europäische Regelung, beim deutschen Gesundheitsminister vermisse sie allerdings eine entsprechende Initiative.

Carola Reimann im Gespräch mit Anne Raith | 10.01.2012
    Anne Raith: Die französische Firma PIP hat ihre Implantate in die ganze Welt geliefert. Weltweit sollen über 500.000 von ihnen verkauft worden sein, auch nach Deutschland. Doch die Implantate sind mit medizinisch nicht zugelassenem Silikongel gefüllt und sie können schneller reißen. Der Gründer des Unternehmens soll in einem Verhör inzwischen eingeräumt haben, einen Großteil der Prothesen mit diesem billigen Gel gefüllt zu haben. In Frankreich wurden bereits 30.000 Frauen aufgefordert, sich die Implantate wieder entfernen zu lassen. Inzwischen hat auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte Frauen in Deutschland empfohlen, sich diese Prothesen vorsichtshalber zumindest entfernen zu lassen. Darüber aber, wer die Kosten dafür übernehmen soll und welche Konsequenzen aus diesem Skandal gezogen werden müssen, darüber ist nun ein Streit entbrannt.

    Am Telefon begrüße ich die SPD-Politikerin Carola Reimann. Sie ist Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit im Bundestag. Einen schönen guten Morgen!

    Carola Reimann: Guten Morgen, Frau Raith.

    Raith: Frau Reimann, lassen Sie uns erst auf die Kostenfrage blicken. Wer sollte Ihrer Meinung nach diese Kosten für die OP übernehmen?

    Reimann: Da ist das Gesetz ganz klar. Das Ministerium hat sich dazu auch geäußert. Das suggeriert allerdings, dass es eine Kostenübernahme immer gibt und einen Anspruch auf Kostenübernahme. Das ist so bei Brustkrebs-Patientinnen, also immer, wenn das medizinisch indiziert war. Es ist aber auch so und die Kasse wird natürlich helfen und unterstützen und auch erst mal die Kosten übernehmen, wenn Gesundheitsgefahr vorliegt. Aber die Kasse ist auch gehalten, so sagt das Gesetz, die Patientin dann in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen.

    Raith: Zurecht?

    Reimann: Ja. Ich denke, zurecht, denn ich kann nicht einsehen, dass ein Rentner und eine Rentnerin dafür aufkommen, dass sich jemand freiwillig und eben nur aus kosmetischen Gründen Dinge hat implantieren lassen, dafür ja auch viele Tausend Euro persönlich ausgegeben hat, die jetzt eben entfernt werden müssen. Dafür kann nicht die Solidargemeinschaft in Anspruch genommen werden.

    Raith: Aber es handelt sich ja um Produkte, die zugelassen werden müssen, die zertifiziert werden. Das zu überprüfen, kann das den Frauen obliegen?

    Reimann: Nein, das nicht, und da müssen Konsequenzen gezogen werden. Das, finde ich, wird jetzt irgendwie zu wenig gemacht. Ich sehe keine Aktivitäten im Ministerium und ich verstehe auch nicht, warum der Minister sich jetzt verweigert, diesem Ansinnen des französischen Gesundheitsministers, die Medizinprodukte stärker zu kontrollieren, weil es ist ja keine echte Zulassung, die in diesem Bereich vorliegt, nicht wie bei Arzneimitteln, sondern es gibt eine Zertifizierung, und ich halte die nicht für ausreichend.

    Raith: Aus welchem Grund? Wo sehen Sie genau Lücken?

    Reimann: Wir haben bei der Zertifizierung – das ist ein Verfahren, das die Hersteller selbst in der Hand haben. Da werden benannte Stellen, an die man sich wenden kann, mit einer entsprechenden Überprüfung beauftragt. Aber das ist kein Zulassungsverfahren, wie wir das kennen im Bereich des Arzneimittelgesetzes, und es gibt schon lange Fachkreise, die das fordern, insbesondere vor dem Hintergrund, dass ja Medizinprodukte immer komplexer werden. Wir haben ja immer kompliziertere, anspruchsvollere Medizinprodukte, die ja auch zum Teil mit Arzneimitteln kombiniert werden, und da, glaube ich, ist ein Zulassungsprozess, wie wir sie von den Arzneimitteln kennen, der angemessene Weg.

    Raith: Aber wie ist das machbar, wenn wir sehen, dass es jährlich um 30 Arzneimittel geht, aber um 30.000 neue Medizinprodukte auf dem europäischen Markt? Wie ist da überhaupt eine Zulassung machbar?

    Reimann: Zunächst muss man sagen, wir haben keine nationalen Zulassungen für Medizinprodukte. Das muss europäisch geregelt werden. Deswegen ist die Initiative des französischen Kollegen so wichtig und wäre es so wichtig, dass der deutsche Gesundheitsminister das mitträgt und das mit unterstützt, weil, ich glaube, das schon auch ein Motor sein kann in Europa. Deutschland hat die meisten Hersteller in der ganzen Welt, wir sind da Weltmarktführer an der Stelle und müssen da mit gutem Beispiel vorangehen. Und nicht jedes Medizinprodukt ist so eines, das man wirklich komplett zulassen muss. Medizinprodukte gehen vom Spatel, vom Mundspatel, Quecksilber-Thermometer, über Ultraschall-Geräte bis hin eben zu den Implantaten und den ganz komplexen Medizinprodukten, und da gibt es verschiedene Klassen. Aber in den höheren Klassen muss es ein ordentliches, geregeltes Zulassungsverfahren geben.

    Raith: Jetzt sagt der Gesundheitsminister, die strengere Regulierung ist unnötig, das ist ein Problem der Überwachung, und das war ja in diesem Falle offensichtlich auch so.

    Reimann: Ja, das ist richtig. Aber auch da muss der Minister nicht immer weiter Zeit vertrödeln. Die letzte Novelle des Medizinprodukte-Gesetzes ist erfolgt im Sommer 2009. Der Minister hat jetzt, im Dezember letzten Jahres, die Verwaltungsvorschriften, die allgemeinen Verwaltungsvorschriften, die eben auch die Überwachung und Koordinierung regeln, erlassen und will, dass diese Verwaltungsvorschriften, die eben diese Überwachung entsprechend regeln und allgemein verbindlich machen, erst im nächsten Jahr, also 2013, in Kraft treten. Dann muss da aber auch mehr passieren.

    Raith: Aber die Produkte, um die es jetzt geht, die Implantate der französischen Firma PIP, hatten ja ein Siegel, sie waren vom TÜV Rheinland geprüft.

    Reimann: Ja, aber das ist ja etwas anderes. Eine Prüfung des TÜV Rheinlands und eine CE-Zertifizierung ist ja etwas anderes als eine Zulassung, und ich plädiere schon für alle Implantate für ein Zulassungsverfahren. Immer dann, wenn es lebenslänglich im Körper des Patienten verbleiben muss, glaube ich, ist das unzureichend jetzt mit dieser CE-Zertifizierung.

    Raith: Wie können wir denn sicher sein, sollten die Implantate zugelassen werden, dass nicht dann nichtsdestotrotz Schindluder sozusagen damit betrieben wird, weil bei PIP war es ja auch so, dass ein Drittel etwa der Produkte ordnungsgemäß hergestellt wurde, aber eben zwei Drittel nicht?

    Reimann: Im Moment weiß man das ja noch nicht wirklich. Es geht um stärkere Kontrollen, das ist ohne Frage so. Ich glaube aber auch, dass man es nachverfolgbarer machen muss. Dazu braucht es ein Register, das fordern die Fachpolitiker der SPD schon seit vielen Monaten, zuletzt letztes Jahr im März im Rahmen eines Patientenrechtegesetzes auch, weil nur so ein Register natürlich ermöglicht auch eine Nachverfolgbarkeit und eine Ansprechbarkeit der Patienten. Wenn man auch an Prothetik im Knie- und im Hüftbereich denkt, glaube ich, ist das notwendig.

    Raith: Jetzt ist der Markt der Medizinprodukte natürlich ein großer Markt, ein wirtschaftlich kräftiger Markt, der größte ist in Deutschland. Für wie realistisch halten Sie es, dass es da europäische Regeln geben wird?

    Reimann: Ich glaube, dass jetzt diese Chance ergriffen werden muss. Das ist natürlich, das muss man klar sagen, ein systematischer Betrug mit ganz, ganz hoher krimineller Energie, der da jetzt der Anlass ist, aber das, was wir schon länger in Fachkreisen diskutieren, das sollte jetzt auch wirklich umgesetzt werden. Und dass wir im Moment eine unzureichende Regelung haben und Überwachungsregelungen haben, finde ich, glaube ich, liegt auf der Hand. Wir haben ja ein Meldesystem zum Beispiel, und das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat bis jetzt gerade mal 19 Meldungen über schadhafte Implantate. Das ist natürlich viel zu wenig, angesichts der Zahlen von Schönheitsoperationen, die jedes Jahr in Deutschland durchgeführt werden.

    Raith: Was glauben Sie, was da noch auf Deutschland zukommen könnte? Wie viele Frauen in Deutschland könnten betroffen sein?

    Reimann: Das ist ganz, ganz schwer abzuschätzen, weil es gibt, schon wenn man die Zahlen zu den Operationen nimmt, wie viele Frauen sich jedes Jahr unters Messer legen, die schwanken zwischen 20.000 und 60.000, die Angaben, die wir da kennen. Niemand weiß die genauen Zahlen. Dann weiß keiner, was letztendlich für Implantate verwandt worden sind, und deswegen glaube ich, dass da ein viel systematischeres Vorgehen und eine bessere Dokumentation dringend geraten ist.

    Raith: Das heißt, es wäre Ihrer Meinung nach auf drei Feldern wichtig zu handeln: einmal bei der Zulassung, dann bei der Kontrolle und schlussendlich das Ganze auch noch zu registrieren?

    Reimann: Ja, so ist es.

    Raith: Die SPD-Politikerin Carola Reimann, die Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit im Bundestag, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Haben Sie herzlichen Dank!

    Reimann: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.