Freitag, 19. April 2024

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SPD-Personalfragen
"Der Tod jeder inhaltlichen Debatte"

Der Chef des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, Johannes Kahrs, hat im Dlf seine Parteikollegen davor gewarnt, sich "wie die Kesselflicker über Personal" zu streiten. Diese Frage dürfe nicht mit der Aufarbeitung der Wahlniederlagen und einer Neuaufstellung der SPD vermischt werden.

Johannes Kahrs im Gespräch mit Sarah Zerback | 28.10.2017
    Johannes Kahrs, Chef des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, spricht im Bundestag.
    Johannes Kahrs sagte im Dlf, er sehe in dem Grundsatzpapier von Parteivize Scholz keinen Angriff auf den SPD-Vorsitzenden Schulz. (dpa / picture-alliance / Michael Kappeler)
    Wenn die Sozialdemokraten jetzt über das Personal der Zukunft streiten, kämen sie nicht dazu, "über die grundsätzlichen Fragen" zu sprechen, sagte Kahrs. Diese Aufarbeitung könne "auch ein halbes Jahr" dauern. "Die CDU macht das jetzt überhaupt nicht, das wird denen auch auf die Füße fallen."
    Am Ende der Neuausrichtung der Partei müsse die SPD eine "vernünftige" Wirtschafts- und Sozialpolitik anbieten, sagte Kahrs. "Immer wenn die SPD beides zusammengebracht hat, war sie erfolgreich." Kahrs erinnerte dabei an Erfolge der Bundesregierung unter Willy Brandt und Helmut Schmidt.

    Das Interview mit Johannes Kahrs in voller Länge:
    Sarah Zerback: Ab heute dürfen die Genossen mal so richtig Dampf ablassen, Parteichef Martin Schulz die Meinung sagen und das 20,5-Prozent-Ergebnis aufarbeiten, hinter verschlossenen Türen, ohne Öffentlichkeit also. Regionale Dialogveranstaltung nennt die SPD das und startet damit heute in Hamburg. Passenderweise hat Hamburgs erster Bürgermeister und Parteivize Olaf Scholz da schon mal vorgelegt. Wesentlich öffentlichkeitswirksamer allerdings ein Analysepapier mit einigen unbequemen Botschaften für Martin Schulz. Gudula Geuther fasst sie zusammen.
    Gudula Geuther berichtete aus unserem Hauptstadtstudio, und mitgehört hat Johannes Kahrs. Er sitzt für die SPD im Bundestag und ist Sprecher eben jenes konservativen Seeheimer Kreises seiner Partei. Guten Morgen, Herr Kahrs!
    Johannes Kahrs: Moin, Frau Zerback!
    Zerback: Moin! Wird der gerade an Martin Schulz' Stuhl gesägt?
    Kahrs: Ich glaube, man muss aufpassen, dass man eine notwendige Aufarbeitung der Wahlniederlage und einer Neuaufstellung der SPD nicht gleich mit Personalpolitik vermischt und vermengt. Das ist der Tod jeder inhaltlichen Debatte. Die SPD will sich jetzt aufmachen, das zu tun. Das halte ich persönlich für richtig und wichtig. Das ist die letzten Male nicht gekommen. Die CDU zum Beispiel, die acht Prozent verloren hat, macht das jetzt überhaupt nicht, das wird denen auch auf die Füße fallen.
    "Grundsätzlich Gedanken machen"
    Zerback: Gut, bleiben wir mal ganz kurz bei Ihrer Partei. Also wenn da jetzt ein Parteivize schreibt, es müsse Schluss sein mit Ausflüchten, die Lage müsse schonungslos betrachtet werden, wie anders kann man das denn verstehen als eben Attacke auf eben jenen, der die SPD ja aktuell auf dem Kurs halten will?
    Kahrs: Es geht darum, dass diejenigen, die sagen, eigentlich muss sich bei uns nichts ändern, dass die dann ein Gegenmodell entgegengesetzt bekommen, und das finde ich auch in Ordnung. Wenn Sie eine Wahlniederlage aufarbeiten wollen, die ja nicht nur einmal stattgefunden hat, sondern jetzt die letzten drei Male, schon fast strukturell ist, dann müssen Sie sich grundsätzlich Gedanken machen. Das heißt aber auch, dass man es nicht mit Personalfragen und Personalpolitik verbinden kann und sollte, weil ansonsten streiten Sie sich wieder wie die Kesselflicker über Personal, kommen aber nicht zu Inhalten, kommen nicht dazu, die grundsätzlichen Fragen zu klären. Deswegen hat Olaf Scholz ja einmal von Ausflüchten gesprochen, die man immer so als Entschuldigung bringt, warum es irgendwie doch wieder mal nicht geklappt hat und hat eben Vorschläge gemacht, wie man grundsätzlich weitergehen kann, und Martin Schulz wird ja auch ein Papier vorlegen für den Parteitag, und die anderen Stellvertreter haben das auch getan, und dann muss man sich einfach mal die Zeit nehmen und das inhaltlich zu diskutieren. Während die Koalition der Besserverdienenden sich jetzt an Jamaika probiert, kann man das doch auch wunderbar und trefflich tun.
    Anfang von Scholz' Papier "in vielen Punkten richtig"
    Zerback: Dann lassen Sie uns doch diskutieren, Herr Kahrs. Verstehe ich Sie da richtig, gehen Sie da inhaltlich mit mit dem Positionspapier von Olaf Scholz?
    Kahrs: Ich glaube, dass der Anfang des Papiers, wo er von den Ausflüchten gesprochen hat, in vielen Punkten richtig ist, und ich glaube, dass das, was er nachher aufgeführt hat, auch wichtige Punkte sind, die wir am Ende brauchen.
    Zerback: Welche Punkte?
    Kahrs: Das heißt ja, ich glaube, dass das da ist, aber ich sehe im Moment auch keinen großen Gegensatz zu Martin Schulz, der sein Papier ja noch erst vorlegen wird, und auch wenn man sich anguckt …
    "Kombination von lebensweltlicher Liberalität und Zusammenhalt"
    Zerback: Gut, aber er hat sich ja vom Timing her – wenn ich Sie ganz kurz auf den Punkt noch mal ansprechen darf –, er hat ja vom Timing her gestern dann in der Mitgliederzeitschrift "Vorwärts" hat er sich ja auch noch mal positioniert, Martin Schulz, und da ist ja ganz klar geworden, also SPD entweder linker á la Schulz oder wirtschaftsliberaler, konservativer á la Scholz. Das ist ja schon ein Gegensatz. Also wie sollte da ein neues Grundsatzprogramm der SPD denn nun aussehen?
    Kahrs: Das Papier von Olaf Scholz redet ja von einer Kombination von lebensweltlicher Liberalität und Zusammenhalt. Das heißt, Sie brauchen eine vernünftige Wirtschaftspolitik mit einer vernünftigen Sozialpolitik zusammen, und immer wenn die SPD beides zusammengebracht hat, war sie erfolgreich. Unter Helmut Schmidt und Willy Brandt hatten wir ja einen wirtschaftlichen Aufbruch in Deutschland, da haben die Menschen besser verdient, da sind auch die Einkommen der unteren und mittleren Bevölkerungsgruppen deutlich gestiegen, und gleichzeitig gab es aber auch eine liberalere Politik, und das zusammen …
    "Der Anfang einer Debatte und nicht das Ende"
    Zerback: Das waren nun ganz andere Zeiten. Also da gehen wir jetzt sehr weit natürlich in die Historie zurück, aber Sie haben ja gerade selber angesprochen, Herr Kahrs, dass konkrete Ideen, die gab es da jetzt von Martin Schulz noch nicht, da hält er sich bedeckt, weil er erst mal in die Partei hineinhorchen will. Hat er denn die Zeit oder sollte da jetzt nicht mal langsam eine große Vision für die SPD kommen?
    Kahrs: Wissen Sie, wenn man eine Aufarbeitung einer Wahl machen möchte, die jetzt einen Monat her ist, und will eine Grundsatzdebatte führen, die vielleicht auch in einem neuen Grundsatzprogramm endet, dann kann das auch ein halbes Jahr dauern. Dann muss man nicht jede Talkshow sofort und sofort fertige Papiere liefern. Dann ist das keine Aufarbeitung. Das, was Olaf Scholz geliefert hat, dass das, was Schäfer-Gümbel geliefert hat oder Ralf Stegner, das sind ja alles Papiere, die der Anfang einer Debatte sind und nicht das Ende, und da kann man auch nicht am Samstagmorgen um 7:15 Uhr dieses Ende ausrufen und sagen, wo man enden muss. Das ist falsch. Deswegen haben wir am Anfang besprochen, dass wir einen Prozess organisieren wollen. Ich habe heute auch in Hamburg einen Termin, wo wir uns alle treffen mit den Sozialdemokraten aus Norddeutschland und das diskutieren werden.
    "Nicht in einen Wettbewerb an Ideen geben"
    Zerback: Was wollen Sie denn da Martin Schulz sagen beziehungsweise der Partei? Da geht es ja um eine nicht-öffentliche Aussprache, aber vielleicht können Sie ein bisschen aus dem Nähkästchen schon mal plaudern.
    Kahrs: Ich glaube, dass wir das, was uns immer erfolgreich gemacht hat, was sozialdemokratische Parteien in allen Ländern erfolgreich gemacht hat, wichtig ist, die wirtschaftliche Kompetenz und die gute Sozialpolitik, die Kombination von beidem, und dann muss das eben auch so machen – das steht ja auch in dem Papier von Olaf Scholz –, dass man das, was man verspricht, auch halten muss. Das heißt, man darf nicht in einen Wettbewerb an Ideen geben, der dann nachher gar nicht eingehalten werden kann.
    "Nicht zielführend, auf eine Personalfrage zu verkürzen"
    Zerback: Und das hat Martin Schulz nicht gemacht?
    Kahrs: Er hat sein Papier auch noch gar nicht vorgelegt. Wissen Sie, es gibt mehrere …
    Zerback: Ja, aber er hat Wahlkampf gemacht für die SPD monatelang und da ja auch gesagt …
    Kahrs: Das ist ja auch in Ordnung, da haben wir ihn ja auch alle unterstützt, wir haben gemeinsam gewonnen, wir haben gemeinsam verloren. Was ich aber wirklich für uns jedenfalls nicht zielführend finde ist, das immer gleich wieder auf eine Personalfrage zu verkürzen, sondern es geht hier um eine inhaltliche Frage, und die kann man diskutieren.
    Zerback: Ja, aber das macht die Partei ja selbst, Herr Kahrs.
    Kahrs: Genau.
    "Nur die notwendigsten Personalentscheidungen getroffen"
    Zerback: Das machen ja jetzt nicht nur die Medien, das macht die Partei ja selbst, und da steht Martin Schulz, so beliebt er an der Basis ist, vor allem für seine Personalpolitik in der Kritik. Also von jüngeren Kollegen, von Frauen, vom linken Flügel, wir haben es gerade auch noch mal in dem Beitrag gehört, die fühlen sich alle unterrepräsentiert. Könnte sich das noch rächen?
    Kahrs: Wir haben bisher ja nur die notwendigsten Personalentscheidungen getroffen, die anstanden, die in der Bundestagsfraktion. Sie brauchen eine Fraktionsvorsitzende, da haben wir Andrea Nahles und einen ersten parlamentarischen Geschäftsführer. Der komplette Rest der Fraktion ist noch gar nicht gewählt. Andrea Nahles ist, wenn Sie es denn so wollen, eine Frau und Carsten Schneider ein junger Mann aus dem Osten. Ich glaube, es geht nicht immer um diese Proporzgeschichten, es geht darum, ob die das können oder ob die das nicht können, und wir haben …
    Zerback: Das klingt vernünftig, aber wenn ich da noch mal einwenden darf, –
    Kahrs: Ist es auch.
    "Menschen in Positionen bringen sich für die Wahlen, die erst anstehen"
    Zerback: – die wenigen Spitzenposten, die hat die SPD dann ja doch mit bekannten Gesichtern aus der alten Führungsriege besetzt. Wo bleibt denn da die Erneuerung?
    Kahrs: Wir haben bisher, ich glaube, wenige Posten besetzt und auch immer nur dann, wenn sie dran waren. Wir haben die Position des Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages benannt einen Tag, bevor er im Bundestag gewählt werden musste, und wenn es der vorheriger Fraktionsvorsitzender ist, dann ist das eine gute Besetzung, der kann nämlich auch was. Das ist eine gute Wahl, und das hat die Fraktion dann auch gemacht. Das heißt, wenn man jetzt schon wieder beklagt, dass das eine nicht genug oder das andere nicht genug ist, dann heißt es doch nur, dass sich Menschen in Positionen bringen für die Wahlen, die erst anstehen. Wir haben doch einen Bundesparteitag, wo gewählt wird, wir haben im Februar eine Aufstellung der Fraktion, wo die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt werden, und das ist ja auch vernünftig. Vorher muss man die inhaltliche Debatte einfach führen.
    Zerback: Und, Herr Kahrs, lassen Sie mich noch mal ganz kurz auf den Parteitag … Entschuldigung, wir kommen auf das Ende hinzu, deswegen noch mal ganz kurz, ja oder nein, bitte, Herr Kahrs: Im Dezember, wird denn da Martin Schulz auch nach dem Parteitag noch der Vorsitzende sein?
    Kahrs: Ich gehe davon aus.
    Zerback: Herzlichen Dank! Johannes Kahrs war das, SPD-Bundestagsabgeordneter und Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises. Vielen Dank für das Interview, Herr Kahrs!
    Kahrs: Tschüss, Frau Zerback!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.