Burkhard Birke: Im Deutschlandfunk begrüße ich nun recht herzlich Jelena Hoffmann, sie ist SPD-Bundestagsabgeordnete. Frau Hoffmann, im Zweifel zum Wohle des Volkes, so hat Bundespräsident Horst Köhler seine Entscheidung für Neuwahlen gestern auch begründet. Frau Hoffmann, Sie wollen jetzt beim Bundesverfassungsgericht klagen. Wollen Sie nicht das Wohl des Volkes?
Jelena Hoffmann: Natürlich will ich das Wohl des Volkes. Ich glaube, in dieser Frage muss man zwei Sachen unterscheiden: Die eine Sache ist das Ziel, die Neuwahlen - das Ziel ist gestellt worden und jeder will das Ziel erreichen; die zweite Frage ist der Weg zu diesem Ziel. Und da habe ich meine Bedenken, da habe ich auch Verfassungsbedenken - und nicht nur ich.
Birke: Welche konkreten Bedenken sind das, Frau Hoffmann?
Hoffmann: Schon im Jahre 1983 hat das Bundesverfassungsgericht die Unechtheit der Vertrauensfrage bemängelt. Ich glaube, dass dieses Mal die Vertrauensfrage nicht nur unecht gewesen ist, die ist auch unehrlich abgelaufen.
Birke: Sie ist unehrlich abgelaufen - weshalb?
Hoffmann: Weil vor dem 22. Mai, aber auch nach dem 22. Mai, gab es überhaupt keine Anzeichen weder für die Regierungskrise noch für Nichtvertrauen zu unserem Kanzler. Wir haben das so häufig bewiesen, dass wir das Vertrauen zu dem Kanzler haben, dass die Abstimmung, die dann nach der Einladung der SPD-Fraktionsführung so gelaufen ist, dass die Hälfte der Fraktionsmitglieder sich enthalten haben - sie haben nicht nein gesagt, sie haben sich enthalten -, das ist in meinen Augen viel Unehrlichkeit in dieser Abstimmung.
Birke: Frau Hoffmann, man könnte jetzt ja auch bösartig sein und Ihnen - und auch Herrn Schulz von Bündnis 90/den Grünen, der ja ebenfalls beim Bundesverfassungsgericht klagen will - unterstellen, dass sie so sehr an Ihrem Mandat kleben, dass Sie deshalb die Neuwahl verhindern wollen.
Hoffmann: Meine Entscheidung, nicht mehr zum Bundestag anzutreten, ist schon vor drei Jahren gefällt worden. Diejenigen, die so über uns denken, die entscheiden nach ihren eigenen Vorstellungen und Vermögen.
Birke: Wie haben denn Ihre Fraktionskollegen reagiert auf Ihre Signale, dass Sie in jedem Fall klagen wollen?
Hoffmann: Die Reaktion war natürlich unterschiedlich. Ich habe sehr viel Zuspruch bekommen in meiner eigenen Fraktion, aber es gab natürlich auch kritische Stimmen.
Birke: Weshalb sollten die Verfassungsrichter Ihren Einwänden folgen und die Neuwahlentscheidung aufheben?
Hoffmann: Es geht mir - sage ich noch mal - nicht um das Ziel. Es geht mir um den Weg dorthin. Und ich erwarte von den Verfassungsrichtern eine Entscheidung und Beurteilung des Weges. Ich glaube, wir sind an den Punkt angelangt, wo dieser Weg nicht beliebig genutzt werden kann, sondern dass wir - meiner Meinung nach - auch die Selbstauflösung des Parlamentes in das Grundgesetz einschreiben sollen.
Birke: Das heißt, nicht der Rücktritt des Kanzlers, sondern Sie hätten dafür plädiert, dass im Bundestag eine Grundgesetzänderung mit dem Ziel Selbstauflösung des Bundestages hätte durchgeführt werden müssen?
Hoffmann: Zum Beispiel. Oder wir haben auch jetzt schon andere Wege. Sie haben einen genannt: Rücktritt des Kanzlers. Aber ich möchte noch mal unterstreichen: Jetzt wird an jeder Stelle darüber gesprochen, dass wir ins Chaos verfallen können und dass jetzt die Regierung nicht regierungsfähig ist - wenn das die Situation gewesen wäre, dann hätte Kanzler Schröder gewiss nicht gesagt, dass im Falle, dass in Karlsruhe eine andere Entscheidung fallen wird, dass er dann weiter Kanzler bleibt. Das sind alles Unstimmigkeiten, die möchte ich auch mit Hilfe von den Richtern in Karlsruhe beseitigen oder mindestens erklären lassen.
Birke: Kommen wir noch mal auf das Selbstauflösungsrecht des Bundestages zu sprechen. Frau Hoffmann, sollte dies dann mit Zwei- oder Dreiviertelmehrheit kommen - wenn es denn kommt?
Hoffmann: Also wir haben eine sehr starke Demokratie, meiner Meinung nach, in Deutschland. Und ich glaube, dass dieser Weg als solcher ist auch in unserem Lande verkraftbar. Ich würde aber sehr, sehr hohe Hürden ransetzen, damit es nicht so passieren kann, dass da Koalitionen oder Koalitionen mit einer kleineren Partei - ich würde schon Dreiviertel als angemessene Anzahl ansetzen in diesem Falle. Dreiviertel der Stimmen im Bundestag.
Birke: Frau Hoffmann, noch mal jetzt zur Klage spezifisch: Wann wird die konkret von Ihnen und Herrn Schulz eingereicht? Wird es eine gemeinsame Klage geben?
Hoffmann: Wir gehen getrennte Wege jetzt in dem Sinne. Jeder wird von einem eigenen Rechtsanwalt vertreten, obwohl in einer Sache geklagt wird. Wir haben das so für uns selber entschieden. Und ich gehe davon aus, dass wir bis zum Ende dieser Woche die Klage einreichen werden. Von Werner Schulz, mit dem wir natürlich immer im ständigen Kontakt stehen, wird wohl das Gleiche gemacht.
Jelena Hoffmann: Natürlich will ich das Wohl des Volkes. Ich glaube, in dieser Frage muss man zwei Sachen unterscheiden: Die eine Sache ist das Ziel, die Neuwahlen - das Ziel ist gestellt worden und jeder will das Ziel erreichen; die zweite Frage ist der Weg zu diesem Ziel. Und da habe ich meine Bedenken, da habe ich auch Verfassungsbedenken - und nicht nur ich.
Birke: Welche konkreten Bedenken sind das, Frau Hoffmann?
Hoffmann: Schon im Jahre 1983 hat das Bundesverfassungsgericht die Unechtheit der Vertrauensfrage bemängelt. Ich glaube, dass dieses Mal die Vertrauensfrage nicht nur unecht gewesen ist, die ist auch unehrlich abgelaufen.
Birke: Sie ist unehrlich abgelaufen - weshalb?
Hoffmann: Weil vor dem 22. Mai, aber auch nach dem 22. Mai, gab es überhaupt keine Anzeichen weder für die Regierungskrise noch für Nichtvertrauen zu unserem Kanzler. Wir haben das so häufig bewiesen, dass wir das Vertrauen zu dem Kanzler haben, dass die Abstimmung, die dann nach der Einladung der SPD-Fraktionsführung so gelaufen ist, dass die Hälfte der Fraktionsmitglieder sich enthalten haben - sie haben nicht nein gesagt, sie haben sich enthalten -, das ist in meinen Augen viel Unehrlichkeit in dieser Abstimmung.
Birke: Frau Hoffmann, man könnte jetzt ja auch bösartig sein und Ihnen - und auch Herrn Schulz von Bündnis 90/den Grünen, der ja ebenfalls beim Bundesverfassungsgericht klagen will - unterstellen, dass sie so sehr an Ihrem Mandat kleben, dass Sie deshalb die Neuwahl verhindern wollen.
Hoffmann: Meine Entscheidung, nicht mehr zum Bundestag anzutreten, ist schon vor drei Jahren gefällt worden. Diejenigen, die so über uns denken, die entscheiden nach ihren eigenen Vorstellungen und Vermögen.
Birke: Wie haben denn Ihre Fraktionskollegen reagiert auf Ihre Signale, dass Sie in jedem Fall klagen wollen?
Hoffmann: Die Reaktion war natürlich unterschiedlich. Ich habe sehr viel Zuspruch bekommen in meiner eigenen Fraktion, aber es gab natürlich auch kritische Stimmen.
Birke: Weshalb sollten die Verfassungsrichter Ihren Einwänden folgen und die Neuwahlentscheidung aufheben?
Hoffmann: Es geht mir - sage ich noch mal - nicht um das Ziel. Es geht mir um den Weg dorthin. Und ich erwarte von den Verfassungsrichtern eine Entscheidung und Beurteilung des Weges. Ich glaube, wir sind an den Punkt angelangt, wo dieser Weg nicht beliebig genutzt werden kann, sondern dass wir - meiner Meinung nach - auch die Selbstauflösung des Parlamentes in das Grundgesetz einschreiben sollen.
Birke: Das heißt, nicht der Rücktritt des Kanzlers, sondern Sie hätten dafür plädiert, dass im Bundestag eine Grundgesetzänderung mit dem Ziel Selbstauflösung des Bundestages hätte durchgeführt werden müssen?
Hoffmann: Zum Beispiel. Oder wir haben auch jetzt schon andere Wege. Sie haben einen genannt: Rücktritt des Kanzlers. Aber ich möchte noch mal unterstreichen: Jetzt wird an jeder Stelle darüber gesprochen, dass wir ins Chaos verfallen können und dass jetzt die Regierung nicht regierungsfähig ist - wenn das die Situation gewesen wäre, dann hätte Kanzler Schröder gewiss nicht gesagt, dass im Falle, dass in Karlsruhe eine andere Entscheidung fallen wird, dass er dann weiter Kanzler bleibt. Das sind alles Unstimmigkeiten, die möchte ich auch mit Hilfe von den Richtern in Karlsruhe beseitigen oder mindestens erklären lassen.
Birke: Kommen wir noch mal auf das Selbstauflösungsrecht des Bundestages zu sprechen. Frau Hoffmann, sollte dies dann mit Zwei- oder Dreiviertelmehrheit kommen - wenn es denn kommt?
Hoffmann: Also wir haben eine sehr starke Demokratie, meiner Meinung nach, in Deutschland. Und ich glaube, dass dieser Weg als solcher ist auch in unserem Lande verkraftbar. Ich würde aber sehr, sehr hohe Hürden ransetzen, damit es nicht so passieren kann, dass da Koalitionen oder Koalitionen mit einer kleineren Partei - ich würde schon Dreiviertel als angemessene Anzahl ansetzen in diesem Falle. Dreiviertel der Stimmen im Bundestag.
Birke: Frau Hoffmann, noch mal jetzt zur Klage spezifisch: Wann wird die konkret von Ihnen und Herrn Schulz eingereicht? Wird es eine gemeinsame Klage geben?
Hoffmann: Wir gehen getrennte Wege jetzt in dem Sinne. Jeder wird von einem eigenen Rechtsanwalt vertreten, obwohl in einer Sache geklagt wird. Wir haben das so für uns selber entschieden. Und ich gehe davon aus, dass wir bis zum Ende dieser Woche die Klage einreichen werden. Von Werner Schulz, mit dem wir natürlich immer im ständigen Kontakt stehen, wird wohl das Gleiche gemacht.