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SPD-Quartierbüro in Ludwigshafen
Mit Nachbarschaftshilfe der AfD trotzen

Am 2. Januar 2018 eröffnete die SPD in Ludwigshafen ein Quartierbüro in der sogenannten Gartenstadt. Das Ziel: Mit Nachbarschaftshilfe und Präsenz vor Ort Wähler zurückgewinnen. Denn mittlerweile ist die Gartenstadt eine AfD-Hochburg. Das Projekt wird gut angenommen, es gibt aber auch Kritik.

Von Anke Petermann | 02.01.2019
    Ein Jahr Quartierbüro der SPD Ludwigshafen: Wann kommt die Rentenreform, die ihren Namen auch verdient?
    Die SPD plant, das Projekt des Quartierbüros, das es seit einem Jahr in Ludwigshafen gibt, auch auf andere Städte auszuweiten (Deutschlandradio / Anke Petermann)
    "Also, drei Tische sind prima."
    Inge, Klaus und Lorena richten die lange Frühstückstafel her, mit Brötchen und Brezeln, Fleischwurst und Marmelade. Durchs Schaufenster des ehemaligen Schlecker-Drogeriemarktes sieht das einladend aus. Soll es auch. Immer wieder öffnet sich die Glastür zum Quartierbüro, neue Helfer, neue Gäste kommen, Altersspanne zwischen 30 und 90. Genosse oder nicht – man duzt sich. Inge rückt die Messer zurecht. Das Besteck blinkt, es zu polieren, lässt sie sich nicht nehmen.
    "Es macht mir sehr viel Spaß mit den Leuten hier, und es bringt mir auch was, es gibt mir was."
    Ich werde hier gebraucht, sagt die Siebzigjährige schlicht.
    Auf der Grenze zwischen zwei Stimmbezirken
    Klaus Beißel, Leiter des Quartierbüros, ist stolz auf die neue Genossin. Der gelernte Kfz-Mechatroniker hat soeben den Master-Abschluss Politologie gemacht. Als Anpacker mit wissenschaftlichem Fokus auf Rechtspopulismus und die AfD ist er wohl der Richtige an diesem Ort.
    "Wir sitzen hier direkt auf der Grenze zwischen zwei Stimmbezirken, und da hatten wir halt bei der Landtagswahl die berühmten 38 und 39 Prozent AfD-Wahl rundherum."
    "Wir zeigen, ihr seid nicht allein"
    Weit vor der SPD, im Jahr 2016. Läden und Vereine machen hier dicht, zivilgesellschaftliches Engagement bröckelt. Oft gehe es darum, so Klaus Beißel, "dass die Menschen frustriert sind, sich von der Politik ein Stückweit allein gelassen fühlen. Das Quartierbüro ist darauf natürlich eine direkte Antwort, weil wir zeigen, ihr seid nicht allein. Auch wenn ihr frustriert seid, hier könnt ihr mit uns darüber reden, was für Probleme ihr habt, was ihr meint, was sich ändern müsste. Damit bieten wir natürlich eine direkte Antwort auf die Gründe für die Erstarkung der AfD hier im Viertel."
    Zwar sucht man das SPD-Logo auf der Front des Quartierbüros vergeblich, aber die Partei bietet, was an Lebenshilfe im Viertel gefragt ist, und zwar gratis: Eltern-Kind-Nachmittage, künftig einen Computerkurs für Senioren und einen Deutschkurs für Migranten, die schon lange hier leben.
    "Moin, Moin."
    Hans-Joachim Weinmann grüßt in die Runde. "Triff die SPD im Quartier" heißt das Motto des Frühstücks. Der Mittsiebziger ist ehrenamtlicher Behindertenbeauftragter von Ludwigshafen, er sitzt für die SPD im Stadtrat. Einer der eigens geladenen Gäste, die den Anspruch politischer Bildung im Quartierbüro einlösen sollen. Weinmann ist das zweite Mal da, obwohl sich die Ludwigshafener CDU schon beim ersten Besuch beschwert hatte,
    "Dass ich in ein SPD-Büro gehe. Und dann hab' ich gesagt, ich gehe überall hin, wo ich eingeladen werde. Nur zu einer Partei würde ich halt nicht gehen."
    Dass die AfD sozialdemokratisches Wählerpotenzial abgezogen hat, schmerzt den Traditions-Genossen.
    "Ich bin seit 1967 Mitglied der Partei und habe die Zeit erlebt, als die SPD über eine Million Mitglieder hatte. Das hat sich im Grunde genommen halbiert. Bei mir in meinem Ortsverein, wir waren früher 400, sind jetzt knapp 200."
    Reden mit jedem, der interessiert ist
    Der SPD-Kommunalpolitiker will nicht politisch missionieren. Er spricht mit jedem, der interessiert ist. Akustische Ampeln aufstellen, Bordsteine absenken, bekommt Weinmann zu hören.
    "Das nehm' ich alles mit ja."
    Der SPD fehlt der große Wurf
    Der SPD-Ortsverein und die Stadtratsfraktion sollen die Alltagsprobleme der Gartenstadt im Nachgang bearbeiten. Ob das Quartierbüro als bundesweites Pilotprojekt reicht, um die SPD zu erneuern? Um AfD- und Nichtwähler zurückzugewinnen? "Nein", sagt Reinhart und beißt ins Fleischwurst-Brötchen. Dem 71-Jährigen mit grauem Zopf unter der Baskenmütze fehlt bei den Sozialdemokraten der große Wurf.
    "Und für mich heißt das, endlich mal eine Rentenreform anschieben, die den Namen auch verdient. Und der erste Anfang wär', wenn man mal das, was der Schröder uns geklaut hat, wenn man das mal wieder aufstocken würde, damit wir wieder den Stand haben mit der Rente wie damals vorm Schröder."
    Jetzt müsse "Butter bei die Fische". Dass die SPD in der Großen Koalition Zwängen unterliegt – für den Sympathisanten zählt das nicht:
    "Ein kleiner Hund muss lauter bellen wie ein großer, sonst wird er übersehen."
    Reinharts 89-jährige Tischnachbarin nickt, seit 60 Jahren ist sie Sozialdemokratin. Und meint, ihre Berliner Genossen sollten sich nicht weiter knechten lassen.
    "Sie stehen noch unterm Scheffel vom Schwarz. Irgendwie habe ich das Gefühl, können sie sich nicht so durchsetzen."
    2019 muss das Jahr der programmatischen Erneuerung werden
    Die pensionierte Beamtin und ehemals alleinerziehende Mutter vermisst finanzielle Förderung aber eher für Kinder und Bildung als für Rentner. Das SPD-Kümmerer-Büro in Ludwigshafen – nur ein schwacher Ausgleich für fehlenden sozialdemokratischen Aufbruch? Gar ein Ablenkungs-Manöver? Daniel Stich, Generalsekretär der SPD Rheinland-Pfalz, schüttelt den Kopf und kontert.
    "Ist mit Sicherheit richtig, dass wir jetzt sagen, 2019 muss das Jahr der programmatischen Erneuerung sein."
    Die "Hartz-IV-Wunde" mit einer neuen Sozialgesetzgebung zu schließen, gehöre dazu, auch eine Rentenreform. Aber das SPD-Quartierbüro und seine künftigen Ableger republikweit dürfe man nicht mit bundespolitischen Erwartungen überfrachten, sagt Stich in seinem Mainzer Büro.
    "Es ist eine gute Idee, im Rahmen, wie können wir organisatorisch Antworten geben auf das Bedürfnis nach Verlässlichkeit, nach Sicherheit, nach Erreichbarkeit, aber auch danach Leute zu befähigen. Dort kann es helfen."
    Ein Pflock der Erneuerung also, der den Sozialdemokraten nicht erspart, weitere einzuschlagen. Wenn die SPD auch inhaltlich liefert, und zwar eine Rentenreform, die den Namen verdient, dann will Reinhart eintreten - das hat er dem Chef des Quartierbüros versprochen. Klaus Beißel hat es der Parteizentrale in Mainz schon durchgestellt.