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Spekulieren über Stockholm

Elfriede Jelinek setzt auf Thomas Pynchon. DLF-Literaturkritiker Denis Scheck nennt Philip Roth und John Updike oder auch Margret Atwood als weitere Kandidaten für den Literatur-Nobelpreis. Ein Versuch, dem Komitee in Stockholm in die Karten zu blicken, grenze jedoch an Kremlastrologie, so Scheck.

Moderation: Karin Fischer |
    Karin Fischer: Elfriede Jelinek setzt auf Thomas Pynchon für den Literaturnobelpreis. Das hat sie schon letztes Jahr gesagt und selbstkritisch angemerkt: Pynchon sei noch mal eine ganz andere Liga, sie selbst eine gute Regionalschriftstellerin gegenüber dem Giganten Pynchon, und wörtlich: "Ich kann doch den Nobelpreis nicht kriegen, wenn Pynchon ihn nicht hat." Das hat so ähnlich auch der Juror Knut Ahnlund gesehen und sich mit einer Brandrede gegen Jelinek gestern aus dem Nobelpreis-Komitee verabschiedet. Womit dem Preis auch, nachdem alle anderen Nobelpreise schon letzte Woche über die Bühne gegangen sind - wieder die ihm gebührende Aufmerksamkeit zuteil wird. Morgen wird er vergeben, heute dürfen wir noch spekulieren, an meinen Kollegen Denis Scheck aber zunächst die Frage: Lässt der Aufruhr im Nobel-Komitee - der ja immerhin, will man ihn ernst nehmen, ein ganzes Jahr zu spät kommt - Rückschlüsse zu auf dessen Verfassung? Fußballerisch gefragt: Sind die da gut aufgestellt in Stockholm?

    Denis Scheck: Ach, da müsste ich mich jetzt in einer Disziplin betätigen, die mir nicht so liegt: der Kremlastrologie. Auf die Literatur übertragen sind das die Spekulationen, was denn in dieser Nobelpreisjury vor sich geht. Um das zu beurteilen, muss man im Grunde Schwedisch sprechen, sonst hat man überhaupt keine Chance. Ich hatte mal eine gute Freundin, eine literarische Übersetzerin, die mit einem Juror verheiratet war. Die ließ sich aber scheiden. Seither sind meine Kontakte zur Nobelpreisjury gekappt. Ich glaube, das ist im Grunde ein großer Jokus. Man muss sich ja mal klar machen, dass die Literatur des 21. Jahrhunderts so vielschichtig und so vielstimmig ist, dass natürlich dieses kindergartenartige - einmal im Jahr verleihen wir einen Preis an den besten Schriftsteller der Welt - im Grunde dieser Kunstform nicht mehr gerecht wird. Ich glaube, da hilft nur ein bisschen Luft rauslassen, Ironie reinlassen, auf den Teppich holen und einfach den Nobelpreis als einen der vielen tausenden Literaturpreise zu sehen, der eben Jahr um Jahr in diesem Lande, in dieser Welt verliehen wird.

    Fischer: Über Elfriede Jelinek darf gestritten werden. Auf Ihrer Liste, Herr Scheck, befindet sich immerhin eine Frau, Margaret Atwood. Warum nicht Joyce Carol Oates?

    Scheck: Weil ich Joyce Carol Oates für eine gnadenlose Vielschreiberin halte, die neben einigen wenigen guten ganz, ganz viele schlechte Romane veröffentlicht hat und selbst in ihren besten Romanen nicht an dieses glänzende Triumvirat der amerikanischen Gegenwartsliteratur heranreicht, das da heißt Thomas Pynchon - mit der einleuchtenden Selbstbeschreibung Elfriede Jelineks bin ich da sehr einverstanden: Thomas Pynchon, der große Unsichtbare der amerikanischen Literatur, einer der sich allen Interviewanfragen, Marketinganfragen verweigert -, Philip Roth, für mich der größte lebende amerikanische Schriftsteller, und John Updike. Und bevor die drei den Nobelpreis nicht bekommen, finde ich, kann man über den Rest der Welt im Grunde gar nicht reden.

    Fischer: Was auffällt, und zwar in jedem Jahr, ist, dass es eine immer größer werdende Gruppe von Kandidaten gibt, die sozusagen jedes Jahr auf dieser imaginären Liste stehen.

    Scheck: Also wie gesagt, es gibt keine Shortlist, keine lange Liste, kurze Liste, keine Auswahlliste zum Nobelpreis. Das ist ja nicht totzukriegen dieses Gerücht, dass in irgendeiner Weise eine Liste mit Namen gehandelt wird oder kursiert. Was es gibt, das habe ich im Gespräch mit einigen Literaturnobelpreisträgern erfahren, es gibt am Vortag, also heute, Anrufe der schwedischen Akademie in den jeweiligen Büros, manchmal auch bei den Dichtern persönlich, mit der Frage, wo sind Sie denn morgen gegen 13 Uhr. Daraus kann man Rückschlüsse als Autor selbst ziehen, dass man offenbar im Gespräch ist. Aber wohl gemerkt wehe dem, der diesen Anruf ein, zwei Mal schon bekam. Denn es heißt auch, wer dreimal im Gespräch war, an dem ist sozusagen dieser Komet vorbeigezogen, der wird die Siegespalme nicht mehr erringen. Aber das alles ist Kaffeesatzleserei. Wir sind erst morgen um 13:01 Uhr schlauer.

    Fischer: Ich muss trotzdem noch mal in diesem Kaffeesatz etwas herumrühren. Vielleicht ist es defätistisch, so zu fragen, aber funktioniert das Nobelpreiskomitee menschlich im Sinne von berechenbar? Also könnte man vermuten nach der Aufregung um Jelinek, muss es jetzt Philip Roth werden, damit mal wieder Ruhe im Karton ist, oder nach vielen Jahren mit Romanschriftstellern, sei jetzt aber ernsthaft die Lyrik dran?

    Scheck: So kann man spekulieren. Aber die Vergangenheit hat gezeigt, dass alle diese statistischen Auswertungen auch in die Irre führen. Man sagt, dass im Nobelpreiskomitee zwei Fraktionen sich unerbittlich oder unerweichlich gegenüber stehen. Die einen die Anhänger der traditionellen Romankunst, die eben sehr für Namen wie Updike, Roth, auch Don de Lillo vielleicht noch im amerikanischen Kontext sprechen würden, die auch die Kanadierin Margaret Atwood, die ja auch Lyrik schreibt, durchaus als mögliche Kandidatin erscheinen lassen. Selbstverständlich den Belgier Hugo Claus, dessen Name ja auch seit vielen, vielen Jahren genannt wird, mit seinem großen Roman "Het verdriet van Belgie", "Der Kummer von Flandern" oder der Niederländer Cees Nooteboom. Im Russischen darf man dann an Andrej Bitow, den Autor von "Das Puschkinhaus", denken. Dieser Fraktion der traditionellen Romanschriftsteller steht sozusagen eine Spaß- und Lyrikfraktion gegenüber, die die völlig durchgeknallte Entscheidung für Dario Fo oder Elfriede Jelinek zu verantworten haben. Insofern würde mich auch nicht überraschen, wenn das Kaninchen aus dem Hut käme: Bob Dylan.