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Spiel um Identität und Verstummen

Das ständige Bohren nach dem Selbst, der Wahrhaftigkeit emotionaler Nähe bestimmt auch die Inszenierung des Films "Persona" von Ingmar Bergman-Stück am Münchner Residenztheater. Ein packendes psychologisches Kammerspiel.

Von Rosemarie Bölts | 22.07.2012
    Der "Marstall" ist die sogenannte Experimentier- und Studiobühne des großen Bayerischen Staatsschauspiels. Klein an Fläche, roh und überdimensional durch die ursprüngliche, hohe Balkenkulisse, immer mit diesem robusten Pferdestallappeal. Hier die Ontogenese Bergman'scher Psycho-Spiele auf die Bühne zu bringen, braucht es exzellente Darsteller und eine reduzierte Bühnenästhetik. Steingraue Holzplatten, ganze zwei Stühle, drei Designer-Radios, Videoprojektionen von Krieg und Elend auf die Bodenfläche, an die Hundert Glühbirnen, die einzeln von der Decke hängen. Denn das Licht bestimmt die zwischen Eiseskälte und inniger Intimität wechselnde Stimmung in dieser Schmalspurästhetik.

    So reduziert, wie das Schweigen der Schauspielerin Elisabeth Vogler. Seit drei Monaten schweigt sie schon. Einfach so, und doch sehr beredt, wie ihre Augen, ihr Gesichtsausdruck, schließlich auch ihre so beherrschte Körpersprache verraten. Ihr zur Seite – oder besser: um sie herum – versucht sich "Alma" demonstrativ in ihrer Rolle als gut meinende Krankenschwester:

    "Guten Tag, Frau Vogler. Ich bin Schwester Alma und dazu eingeteilt, mich um Sie zu kümmern. Wenn Sie mögen, erzähle ich ein bisschen von mir selbst."

    Man weiß es ja vom Film, dass das nicht gut ausgeht. Während sich die eine total jeglicher Kommunikation verweigert, steigert sich die andere in einen Redefluss, dreht mitunter zur hyperaktiven Quasselstrippe auf und platzt schließlich vor soviel stoischer Nicht-Reaktion der anderen. Das Schweigen wirkt als Provokation, das die Rollen ins Rutschen bringt:

    "Du Sau! Du verdammte Sau! Man sollte dich erschlagen, das ist ganz normal! Du, du hast mich zum Reden gebracht! Du hast mich dazu gebracht, Dinge zu erzählen, die ich noch keinem Menschen erzählt habe! Und du erzählst sie weiter! Das kannst du nicht!"

    Stärker noch als Ingmar Bergman in seinem Film hat hier Regisseurin Amélie Niermeyer dessen "Versuchsanordnung zur Inszenierung an einem Stück" mit theatralischen Mitteln umgesetzt. Statt der beobachtenden "Ärztin" im Film hat Niermeyer einen namenlosen "Mann" eingesetzt, der unschwer als Ingmar Bergman selber zu identifizieren ist. Es ist ja auch sein Thema, dieses ständige Bohren nach dem Selbst, der Wahrhaftigkeit emotionaler Nähe. Mal ist er der Regisseur, der die Rollenzuschreibung vorgibt und Regieanweisungen erteilt und so immer wieder die Distanz zum Psycho-Spiel herstellt. Mal ist er der Erzähler, der zwischen den Szenen überleitet. Und dann wieder ist er der Ehemann Elisabeths, als er fulminant vom Regisseur in einen gespielten Dialog mit "Kasper" verfällt, so packend, dass "Alma" sich auch noch mitreißen lässt:

    "Kasper! – Die Rolle ist beschissen! – Wieso denn? – Ich soll ja sterben! – Aber bitte, Kasper, doch nur auf der Bühne. Außerdem ist das wirkungsvoll, sehr theatralisch. Das heißt dann: Aah! Ooh! – ich will nicht, dass der Kasper stirbt! Die anderen sind tot, aber nicht der Kasper! Das ist ein Skandal, dass der Kasper stirbt! Lächerlich! – Und wie hättest du's gerne? – Ja, das weiß ich nicht. – Ja, das weiß ich nicht! – Aber ich weiß es! Ich würde die Rolle mit dem Sarg hinausschmeißen, und dann würde ich den Kurt ermorden, und dann würde ich ein paar Ringelchen genehmigen, jaa! – Ja, das wäre ein Stück!"

    Amélie Niermeyer hat mit dieser personellen Einwechslung die Dynamik sozusagen auf das heutige, emanzipatorische Maß zurechtgeschoben. Den reinen Bergman-Blick auf die Frauen hat sie um ihre Fassung mit der Rolle des Mannes aus übergeordneter Perspektive erweitert. So wird das Spiel nicht nur existentiell, sondern auch plausibel. Das wiederum liegt auch an der schauspielerischen Kraft und Größe in dem ständigen Changieren der Rollen Juliane Köhlers als "Alma", Götz Schultes als Ingmar-Bergman-Typ und Evgenya Dodinas als schweigender "Elisabeth". Ein packendes psychologisches Kammerspiel. Großartig.