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Spielfilmdebüt mit prominenter Besetzung

Sophie Heldmans Spielfilmdebüt, zugleich die Abschlussarbeit der 37-jährigen Regisseurin an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin erzählt vom Leben und Sterben mit prominenter Besetzung. Bruno Ganz uns Senta Berger spielen Anita und Fred in "Satte Farben vor Schwarz".

Von Rüdiger Suchsland | 09.01.2011
    Eine Frau geht durch die Fußgängerzone einer deutschen Stadt. Plötzlich sieht sie ihren Mann vor sich. Er trägt Einkaufstüten. Sie ruft ihn, aber er reagiert nicht. Sie folgt ihm bis in eine steril eingerichtete, ihr unbekannte Wohnung. Sie stellt ihn zur Rede und spürt, dass ihr Mann einen Ort gesucht hat, an dem er ohne sie sterben kann.

    "Darf ich Dir einschenken?" - "Oh ja, gerne."

    Anita und Fred sind seit mehr als drei Jahrzehnten verheiratet. Glück, Krisen und Wiederversöhnung liegen längst hinter ihnen. Alles geht seinen Gang, sie haben einen erwachsenen Sohn und eine erwachsene Tochter, das Abitur der Enkelin steht kurz bevor. Ihr Bungalow mit wohlgepflegtem Garten wirkt wie eine Festung bürgerlich kultivierter Behaglichkeit. Es scheint an nichts zu fehlen.

    Sophie Heldmans Spielfilmdebüt "Satte Farben vor Schwarz", zugleich die Abschlussarbeit der 37-jährigen Regisseurin an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb), dringt durch die Poren dieses großbürgerlichen Lebens und seziert dieses alte Paar - fernab von "Wolke Neun" und anderen, zur Zeit im Kino gepflegten irgendwie wohlgefälligen Bildern der "Best-Agers".

    Denn während sich Anita auf den gemeinsamen Lebensabend freut, ist Fred viel unruhiger. Es ist klar, das er - einst ein einflußreicher Manager - am liebsten weiter arbeiten würde, und auch sonst immer wieder eigene Wege gehen, aber dafür reicht die Kraft nicht mehr. Bald weiß man auch warum: Fred hat Prostata-Krebs.

    Bruno Ganz und Senta Berger sind in der Rolle des alternden Ehepaars zu sehen, das sich Liebe bis in den Tod geschworen hat. für Berger ist es nach vielen Fernsehauftritten die erste Kinorolle seit über 20 Jahren. Und auch für Ganz ist es keineswegs die Regel, dass er einer Regie-Debütantin sein Ja-Wort gibt. Kurze Blicke und kleinste Gesten erzählen die Geschichte des Paares und die einer Liebe, die in Alltagsdingen aufgeht.

    Das ist zunächst einmal eine intime Liebesgeschichte von älteren Leuten. Es ist damit zugleich ein wenig eine Reise ins Leben der alten Bundesrepublik - der Bungalow, die Wohnungseinrichtung, die Verhaltensweise der alten Leute ist definitiv westdeutsch.

    Und es ist zugleich die Geschichte eines dezidiert bürgerlichen Milieus, mit seinen Werten, aber auch seinen Grenzen: Man kann darin die Geschichte zweier extremer Hedonisten ebenso erkennen wie die Geschichte der auch ganz am Ende noch verpassten Emanzipation einer Ehefrau, die sich und ihr Leben immer im Verhältnis zu ihrem Mann definiert hat.

    Fast eine Stunde lang seziert Heldmans intimes Kammerspiel den Alltag einer über 30 Jahre alten Ehe, die plötzlich aus dem Trott gerät. Das fügt sich in einen gewissen internationalen Kinotrend der letzten Zeit. Sowohl der neueste Film von Mike Leigh, "ANother Year", als auch Woody Allens «You Will Meet a Tall Dark Stranger» und sogar die neue Harrison Ford-Komödie "Morning Glory" spürt der Frage nach, wie man den Lebensabend glücklich verbringt.

    Doch dann setzt der Film zu einer Provokation an, die man, erst recht in der Beiläufigkeit ihrer Inszenierung, im deutschen Film noch nicht gesehen hat:

    "Ich schlaf' jetzt" - "Ja." - "Mach die Augen zu." - "Ja." - "Lass uns einschlafen." - "Gut."

    Das Ehepaar geht aus freien Stücken gemeinsam in den Tod. Das ist so schockierend wie nachvollziehbar, es erinnert an reale Fälle der jüngeren Zeit wie die gemeinsamen Tode des Ehepaars Von Brauchitsch in der Schweiz oder des französischen Philosophen André Gorz und seiner. Damit berührt "Satte Farben vor Schwarz" auch die aktuellen Debatten um das - moralische - Recht auf den Freitod, um Sterbehilfe und Palliativmedizin: Kein Zuschauer kann sich, wenn er diesen beiden stolzen Menschen, die voller Haltung und seltsam gehobener Stimmung zu ihrem letzten Abenteuer aufbrechen, noch vor der Frage drücken, wie er zum Verhalten der alten Leute steht.