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Spielzeug zum 100. Geburtstag

100 Jahre nach ihrer Eröffnung will die Kunsthalle Nürnberg mit einer Ausstellung zeigen, dass sie sich mit frischer Kunst noch immer dicht am Puls der Zeit bewegt. "Forever Young" heißt die Schau über den Mythos der Jugend.

Von Thomas Senne |
    Den Song "Forever Young" sucht man in dieser Schau vergebens, obwohl der Ausstellungstitel "Forever Young" dies irgendwie nahe legt. Doch auch wenn der Ohrwurm der Gruppe Alphaville nicht zu hören ist, hat er dennoch bei der Konzeption der Schau eine gewisse Rolle gespielt, sagt Kuratorin Harriet Zilch.

    "Tatsächlich kennen auch wir natürlich den Hit von Alphaville und wir fanden, das es irgendwie ein sehr eingängiger Titel ist. Deswegen haben wir ihn für diese Ausstellung gewählt. Er hat aber auch jetzt ganz konkret zwei Funktionen, zwei Ebenen. Einerseits ist 'Forever Young' das ein wenig augenzwinkernde Motto für unser Jubiläumsjahr, denn die Kunsthalle wird jetzt 100 Jahre alt. Und die andere Ebene ist eben, dass 'Forever Young' jetzt für eine Ausstellung steht, die sich dem dem Mythos der Jugend widmet."

    Einem Mythos, der oft im Rückblick verklärt wird. Ganz bestimmt nicht bei Elmgreen & Dragset, einem skandinavischen Künstlerduo. Es hat einen lebensecht wirkenden Jungen aus Epoxidharz auf ein Aluminium-Baugerüst gesetzt - mit Jeans und blauer Kapuzenjacke. Daneben: eine profane Cola-Dose. Der Blick der Figur drückt Melancholie und Frustration über sein Dasein als Jugendlicher aus. Durch diese Installation prangern die beiden Künstler Werteverfall und Orientierungslosigkeit in unserer Gesellschaft an.

    Eine verbogene weiße Rutsche mit zerbrochenem Gestänge symbolisiert in der Ausstellung auch die Verletzlichkeit der kindlichen Psyche, während eine Aquarellserie an unbeschwerte Tage mit Ballspiel und Karneval erinnert.

    Trendige Schwarz-Weiß-Fotografien, die Punkkonzerte oder auch abgewetzte Turnschuhe von Skatern zeigen, spiegeln das Aufbegehren einer ganzen Generation in den 80er-Jahren wider. Unverfälscht. Echt. Authentisch.

    Einen subtilen surrealen Protest gegen Unterdrückung in der Schule formuliert die Belgierin Sofie Muller in ihrem Werk "Clayresse". Angekohltes Schulmobiliar arrangiert sie zusammen mit einer kopflosen Mädchenskulptur aus Bronze zu einer bedrückenden Hommage an den Roman "Fahrenheit 451" von Ray Bradburry.

    Merkwürdig düster: die in einem abgedunkelten Raum der Kunsthalle präsentierte Videoinstallation des Künstlerpaars Teresa Hubbard und Alexander Birchler. In den gelblich gehaltenen Filmsequenzen schwankt ein pubertierendes Mädchen zwischen jugendlichem Trotz und der Sehnsucht nach familiärer Geborgenheit – mit Haus, Swimmingpool und Klavier.

    Wo aber bitteschön bleibt in dieser Schau die Unsterblichkeit - der Wahn der ewig währenden Jugend?

    "Natürlich ist ewige Jugend, Unsterblichkeit, so ein archetypisches Motiv, was unsere Kunst- und Kulturgeschichte durchzieht. Dennoch erscheint es gerade in unserer Gegenwart omnipräsent. Und mit Fitnessstudios und Schönheitschirurgie und der Kosmetikindustrie gibt’s da auch ganz konkrete Vorbilder, wie man nun die Jugend und Aktivität erhalten kann. Das erscheint uns als Hintergrund schon sehr interessant. In der Ausstellung ist es dann abstrakter. Da geht es dann eher darum – zum Beispiel in der Arbeit von Claus Richter -, dass man sich etwas bewahrt, was man vielleicht mit der Kindheit assoziiert."

    Damit verweist Harriet Zilch auf Hunderte von quietschbunten Plastikfiguren, Mickey-Mäusen und anderen fantastischen Kunststoff-Wesen, mit denen Claus Richter den letzten Raum dieser Ausstellung vollgestopft hat - wie ein Kinderzimmer.

    "Eigentlich ist es eine Suche nach Ursprüngen interessanterweise. Weil ich bin Bildhauer und Spielzeug hat für mich tatsächlich auch eine künstlerische Qualität, sogar das massenhaft industriell hergestellte Spielzeug."

    Forever young, ewig jung sein, möchte man angesichts dieses unerträglichen Plastikgewimmels dennoch nicht – lieber altern und reifen wie eine Frucht in der Natur.