
"Das sind jetzt große Spielelemente, das ist ein großes Krokodil in einer anderen Farbe."
Renate Müller wühlt sich einmal durch den riesigen Pappkarton, der ihr bis zum Bauch geht. Ganz unten am Boden: die Schildkröte zum Draufsitzen in blau-rot-beige. Oben ragt ein grüner Krokodilschwanz heraus. Frau Müller zupft an dünnen Müllsäcken herum, aus denen sie rote und grüne Giraffen hervorzaubert.
"Giraffen verfolgen mich eigentlich seit meiner Studienzeit. Diese Form finde ich für mein Formgefühl besonders passend."
Stoff-Giraffe mit Bauhaus-Bezug
Sie stopft die Giraffen wieder zurück in den Karton. Arglos, fast nachlässig sieht das aus, wenn man bedenkt, dass es sich hier um wertvolle Designobjekte, man könnte auch sagen: um Kunst handelt.
"Meine Dozentin, Helene Haeusler, bei der ich studiert habe, stammt eigentlich vom Alter aus dieser Bauhaus-Zeit. Und das ist mir sehr nahe, da habe ich natürlich meine Bezüge, zum Bauhaus."
Müllers berühmtes Nashorn, das Nilpferd oder die kleinen Vögelchen – es sind keine Stofftiere im herkömmlichen Sinne. Die Dinger haben etwas Minimalistisches an sich, sind auf wenige Farben und Materialien reduziert und extrem fest gestopft. Die Hülle besteht aus Rupfen, einem juteähnlichen Material, mit Lederbesätzen und Haltegriffen versehen. Fast unkaputtbar.
"Ein Prinzip meiner Gestaltung ist eine sehr einfache geometrische Formgebung, die auch dem simplen Rupfenmaterial angepasst ist. Ich muss sehr große Formen wählen, weil das Material sehr starr ist und sehr grob."
An der Wand hängen die vergilbten Schnittmuster, Jahrzehnte alt, wie alles in der Werkstatt: die Nähmaschinen, die Stopfeisen, die Tische und Stühle. Und natürlich die riesige Rolle mit Rupfen.
In wenigen Tagen wird die letzte Tier-Sendung verschifft. Eine Arche Noah mit Kurs auf New York. In Manhattan verkauft eine Design-Galerie das Spielzeug für mehrere tausend Dollar an Sammler und zahlungskräftige Eltern. Renate Müller wird natürlich zur Eröffnung da sein. Sie liebt New York und sie betrachtet diese späte Wendung in ihrem Leben als großes Glück.
Vom elterlichen Betrieb zum VEB
In den 60er-Jahren begann Renate Müller nach Maurerlehre und Studium der Spielzeuggestaltung, die Rupfentiere im Spielwarenbetrieb der Eltern zu produzieren. Als therapeutisches Spielzeug, das für Turnübungen eingesetzt wurde: "zum Beispiel zum Balancieren", und dabei noch einen Mehrwert hatte:
"Gerade das Krokodil mit den Zähnen, da kann einem Kind auch die Angst genommen werden, oder das andere Kind sagt: Ich kämpf mit dem!"
Die Palette wuchs rasch, die Stofftiere ernteten Preise. Dann wurde der Betrieb verstaatlicht zum "VEB Sonni" und Renate Müller in eine andere Abteilung versetzt:
"Sonni hat die erste Goldmedaille für textiles Spielzeug für meine Kollektion bekommen und dann plötzlich kam die Nachfrage auch im Ausland, auch im westlichen Ausland. Und deshalb wurden die Tiere dann bis 1989 produziert bei Sonni. Ohne mich."
Nach der Wende: Schluss. Renate Müller erwirbt den Nachlass zurück und fängt von vorne an. Hier in dieser Werkstatt, mit dem alten Werkzeug. Es entstehen Geschäftsbeziehungen nach Japan. Und dann die zur Galerie nach New York.
"So, gehen wir mal runter, in meine Katakomben, das ist der etwas staubigere Teil meiner Arbeit. Das ist der Raum, wo das Leder gestanzt wird und die Holzwolle gestopft wird."
Holzwolle und Rupfen
Renate Müller zieht ein L-förmiges Stück Stoff hervor. Oben schmal, hinter der Biegung etwas bauchiger, rechts und links hängen vier Lappen herunter. Es ist eine fertige Hülle aus Rupfen. Sie greift nach einem Stopfeisen und schiebt es samt Holzwolle durch ein handgroßes Loch ins Innere der Hülle.
"Und dann wird es hier Stück für Stück mit Handkraft und Muskelkraft ausmodelliert." Noch eine Ladung Holzwolle. Noch ein, zwei gekonnte Schläge. Marietta Schwarz: "Frau Müller, das sieht wahnsinnig anstrengend aus!" Renate Müller: "Ist es auch."
Und plötzlich ist er unverkennbar: der Kopf eines Seehundes.
Einen ganzen Monat braucht Renate Müller für manche Tiere vom Zuschneiden bis zum Stopfen. Ihre Finger sind taub vom Nähen. Aber sie macht weiter. Mit großer Lust. Nur der Rupfen, der noch aus alten DDR-Beständen stammt, geht langsam zur Neige. Bis zu ihrem 80. Lebensjahr, hat sie ausgerechnet, könnte er noch reichen. Danach ist Schluss.
"Ich werde immer wieder gefragt: Wer macht denn da mal weiter? Und dann sage ich immer: Wenn morgen ein Maler stirbt, der kann auch nicht sagen: Mein Sohn malt morgen die Bilder weiter. Das geht einfach nicht. Das ist meine künstlerische Handschrift, und die will ich auch nicht durch Fremde verfälschen lassen. Es kann nur schlecht werden. Schlechter."