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Spießer überall

Schon seit 14 Jahren ist die Jugendzeitschrift "Spiesser" auf dem ostdeutschen Markt erfolgreich. Einst von Dresdner Schülern gegründet, hatte das kostenlose Printmagazin zuletzt eine Auflage von 300.000 Stück erreicht. Seit September wird der "Spiesser" nun bundesweit verteilt.

Von Henning Hübert |
    30 Seiten stark ist der erste bundesweit verteilte "Spiesser" aus Dresden, und er ist sich treu geblieben: Viel Text und trotzdem bunt, viele kurze Statements samt Porträtfotos von befragten Schülern oder Schulabgängern. Etwa zur Leitfrage dieser Zeitschrift für Heranwachsende: Was findet ihr spießig? Chefredakteur Peter Stawowy:

    "Im Grunde sind wir doch alle Spießer. Oder sind wir doch keine Spießer? Und was macht man alles, um nicht spießig zu sein? Und der Name gibt der ganzen Zeitschrift irgendwie so eine Grundtonart, die wir immer wieder versuchen aufzugreifen und beizubehalten."

    Auch die erste bundesweite Ausgabe vom "Spiesser" haben professionelle Journalisten erstellt - sie redigieren die Texte der Autoren, meist Schüler, etwa zum Titelthema "Zu früher Schulbeginn". Ein anderes Thema im Septemberheft ist der Blick ins Portemonnaie und die Höhe des monatlichen Taschengeldes: 43 Beispiele von 30 Euro einer Schülerin bis zu 800 Euro einer Studentin. Damit will der "Spiesser" nah dran sein an der Lebenswirklichkeit seiner Leserschaft.

    "Es gibt quasi im Printbereich keinen Titel, der sich wirklich konkret an die Jugendlichen zwischen 14 und 22 wendet. Und wenn man dann in die Kernzielgruppe der 15- bis 19-Jährigen reingeht, da gibt es für die Jugendlichen nichts. Sie gelten für die Printlandschaft gemeinhin als verloren. Und da sind wir der klassische Gegenbeweis. Wir haben ein sehr, sehr gutes Feedback auf unsere Geschichten, wir bekommen unheimlich viel Leserresonanz. Wir wissen, dass wir funktionieren. Und wir sind natürlich auch ein Schreckgespenst für die Branche, weil wir kostenlos verteilt sind."

    Kostenlos, aber werbefinanziert - durch Annoncen, die sich auf etwa jeder dritten Seite finden - zum Beispiel von Banken, Versicherungen und Krankenkassen. Und hier gab es in der Vergangenheit auch Kritik an der Jugendzeitschrift: Dass sie in einigen Fällen mangelhaft getrennt habe zwischen journalistischem Beitrag und Werbeziel der Firmen. Gegen diesen Vorwurf wendet sich seit kurzem ein Redaktionsstatut, dass sich die Dresdner Redakteure der "Spiesser GmbH" für sich, die Autoren und Leserschaft gegeben haben. Chefredakteur Peter Stawowy:

    "Die sind zwar alle schon sehr pfiffig oder so. Aber wir haben trotzdem gesagt, wir haben eine Verantwortung. Es gibt an der Stelle zum Beispiel keine Alkoholwerbung, keine Zigarettenwerbung. Und wir haben das auch gleich festgelegt: keine Klingeltonwerbung. Und wir haben uns dann noch gesagt, o.k., wenn es Kooperationen gibt, wo es nicht ganz eindeutig ist, ob wir möglicherweise mit einem Partner zusammenarbeiten, gleich, ob jetzt Geld geflossen ist oder nicht, dass wir die Partner im Impressum aufzählen, mit denen wir kooperiert haben, um wirklich zu sagen, an der Stelle kann man jetzt uns auch nichts mehr vorwerfen, wir haben doch darauf aufmerksam gemacht. Es ist also klar ersichtlich: Das ist eine Kooperation."

    Wie kommt nun der "Spiesser" bei denen an, die ihn - im Westen - jetzt zum ersten Mal gelesen haben? Längst noch nicht an jeder Schule hat die Verteilung geklappt, hat die Millionenauflage auch ihre Leser gefunden. Die 10 b des Kölner Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums kennt den "Spiesser" schon. Hier hat in einer Vertretungsstunde ein Lehrer sie die Zeitschrift in Ruhe lesen lassen. Nach einer halben Stunde war noch kaum jemand fertig mit der Lektüre. Schülerinnen, aus dem Lesealter der Bravo herausgewachsen - mit ihrem ersten "Spiesser"-Eindruck:

    "Hier ist jetzt auch zum Beispiel Taschengeld und so etwas. Hab ich auch mal so mit meiner Mutter überlegt, weil, also ich krieg nicht ganz so viel. Und dann kann ich das auch mal zeigen und so. Das find ich ganz gut. Also ich bin noch nicht ganz durch, aber das hier mit dem Taschengeld, das finde ich ganz interessant. Ich werde das mal meinen Eltern zeigen und dann fordere ich mehr Taschengeld. Eigentlich lese ich normalerweise kaum Zeitungen. Aber die finde ich echt gut, weil: Sonst sind die Artikel immer so lang. Und ich fang an, dann denk ich nach den ersten drei Zeilen: Nein, jetzt habe ich keine Lust mehr. Aber hier finde ich das gut. Es sind so kleine Artikel, so kurz."

    Und auch die Jungen scheinen ganz angetan; fangen an, sich gegenseitig zu überprüfen, wer die Geografiefragen im Quiz richtig ausgefüllt hat.

    "Sind interessante Themen drin. Jugendlich halt.

    Sehe ich genauso. Aber was ich ein bisschen komisch finde, also, es ist ein bisschen unübersichtlich. Also, die Überschriften sind so klein. Aber von den Themen, wenn man sich reingelesen hat, sehr interessant. Die Aufmachung, die ist o.k., die ist eigentlich wie eine ganz normale Zeitung auch. Und dann kommt das nicht so billig rüber, obwohl es ja eigentlich wirklich umsonst ist."

    Die Themenauswahl übrigens soll sich nicht verändern, auch nach der Expansion der einst ostdeutschen Jugendzeitschrift in den Westen. Hauptsache nah dran sein an den Neigungen der 15- bis 19-Jährigen, das will der bundesweite "Spiesser" aus Dresden auch in Zukunft.