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Spitzel dürfen keine Spitzel bespitzeln

Trotz aller Pannen bei der Verfolgung der Thüringer Neonazizelle - eine Abschaffung des Verfassungsschutzes kommt für Michael Hartmann nicht infrage. Dem Verfassungsschutz verdanke man wertvolle Erkenntnisse aus der Neonaziszene.

Michael Hartmann im Gespräch mit Martin Zagatta | 19.12.2011
    Martin Zagatta: Geld vom Verfassungsschutz für die Zwickauer Terrorzelle. Bei dieser Schlagzeile handelt es sich keineswegs um eine Falschmeldung. Mit einer Zahlung von 2000 Mark wollte das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz seinerzeit offenbar an das untergetauchte Trio herankommen und die drei sogar mit neuen Pässen versorgen. Verbunden sind wir jetzt mit Michael Hartmann, dem innenpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Herr Hartmann.

    Michael Hartmann: Guten Tag, hallo.

    Zagatta: Herr Hartmann, reiben Sie sich jetzt auch verwundert die Augen, oder traut man dem Verfassungsschutz mittlerweile alles zu?

    Hartmann: Na ja, also dass der Verfassungsschutz oftmals mit Methoden operieren muss, die vielleicht nicht so ganz stubenrein sind, das weiß man. Allerdings reden wir hier ja über einen Fall in Thüringen, der 13 Jahre zurückliegt und der für mich noch nicht ganz aufgeklärt ist. Ich habe nur das Wissen, das jetzt allgemein übermittelt ist. Allerdings muss man natürlich Fragen stellen, die in Richtung Verfassungsschutz gehen. Ich stelle aber auch Fragen, die in Richtung Polizei gehen: Wie konnte zum Beispiel das Trio unter den Augen der Polizei abtauchen? Und ich stelle auch Fragen, die in Richtung Staatsanwaltschaft gehen, denn wieso hat man dieses Trio sehr wohl beobachtet, nicht als terroristische Vereinigung eingestuft.

    Zagatta: Kritiker meinen ja, der Verfassungsschutz richte mehr Schaden an, als dass er nutze. Ist das so falsch?

    Hartmann: Also ich teile dieses Urteil nicht. Der Verfassungsschutz leistet in wichtigen Bereichen wertvolle Arbeit, immer geheim und dann auch mit den Methoden, die innerhalb unserer Verfassung und der Gesetze möglich sind. Es ist dem Verfassungsschutz auch viel Positives zu verdanken in der Vergangenheit. Allerdings sage ich schon, was wir da jeden Tag tröpfchenweise an Fakten erhalten, schlägt dem Fass den Boden aus. Zu einer generellen Verurteilung bin ich allerdings nicht bereit, weil ich auch weiß, dass da viel Sinnvolles geleistet wird.

    Zagatta: Also eine Abschaffung des Verfassungsschutzes kommt für Sie nicht in Frage?

    Hartmann: Nein! Das ist jetzt die populärste Forderung, die sie natürlich ganz schnell aufstellen können und vielleicht sich auch den schnellen Applaus holen. Wissen Sie, wir haben viele, viele Erkenntnisse des Verfassungsschutzes über Jahre bekommen - aus dem rechtsextremistischen Spektrum, aber auch im Bereich islamistischer Extremismus und Terrorismus -, die geholfen haben, Straftaten in Deutschland zu vereiteln. Das sollte nicht vergessen werden, so sehr die Kritik berechtigt ist.

    Zagatta: Sie haben angesprochen, dass man auch die Arbeit der Polizei in Zweifel ziehen dürfte, der Staatsanwaltschaft. Jetzt ist auch herausgekommen nicht nur diese Geldzahlung, sondern auch, dass die Fahnder gegeneinander gearbeitet haben. Der Thüringer Verfassungsschutz soll einen V-Mann darüber informiert haben, dass der von der Polizei überwacht wird. Sind das nicht insgesamt haarsträubende Zustände?

    Hartmann: Wenn das alles so zutrifft, ja, unbedingt. Und schauen Sie, eine Forderung von uns ist es ja nicht erst seit gestern oder heute, eine bessere Zusammenarbeit fest zu verankern. Das heißt, die Behörden müssen das, was sie an Erkenntnissen haben, auch zuverlässiger, gesicherter und institutionalisierter untereinander austauschen. Es darf auch nicht mehr so sein, dass die Spitzel die Spitzel bespitzeln und keiner weiß was davon. All das hat es leider gegeben.

    Zagatta: Die Grünen meinen ja, dass man jetzt nicht mehr auf parlamentarische Kontrollgremien setzen kann, das bringe uns nicht weiter, dass man jetzt ganz schnell Untersuchungsausschüsse einsetzen müsse. Ziehen Sie da mit?

    Hartmann: Also ich bin dafür, dass wir vollständig und rücksichtslos aufklären. Das heißt, nicht nach der politischen Farbenlehre orientiert darf ein Instrument der Aufklärung gewählt werden, sondern jene Instrumente, die helfen, tatsächlich diesen großen Skandal, diese großen Versäumnisse, 13 Jahre und weniger zurückliegend, aufzuarbeiten. Das ist für mich die wichtigste Feststellung. Und dann sage ich: Alle Instrumente, die dazu geeignet sind, müssen tatsächlich auch gezogen werden. Das kann ein Sonderermittler sein, das können weiterhin selbstverständlich die Gremien wie Parlamentarisches Kontrollgremium und Ähnliches mehr sein, das kann ein Untersuchungsausschuss sein und es kann eine Bund-Länder-Kommission sein. Da sollten wir nichts übereilen. Vielleicht muss man sogar verschiedene Aufklärungsgremien nebeneinander parallel arbeiten haben, damit die bestmögliche Aufklärung erreicht wird.

    Zagatta: Wieso dauert das so lange, darüber zu entscheiden? Seit sechs Wochen wissen wir ja jetzt, dass diese Mordserie bekannt geworden ist. Warum gibt es da immer noch keine Entscheidung?

    Hartmann: Es gibt noch keine Entscheidung über Sondergremien, aber es gibt mit hohem Druck arbeitende Gremien. Ich bin selbst Mitglied des Innenausschusses und des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Deutschen Bundestages. Wir haben ständig Sondersitzungen, wir verlangen ständig Auskünfte und erhalten die auch. Aber um zu sehen, ob es tatsächlich notwendig ist, weitere Instrumente zu ziehen, ist es, glaube ich, ganz gut, dass wir dort erstmal die notwendige Aufklärungsarbeit vollbringen, um zu sehen, jetzt sind wir an Grenzen erreicht, die nur mithilfe anderer Gremien oder anderer Personen – der Sonderermittler spielt ja auch eine Rolle – erreicht werden.

    Zagatta: Sie haben das eben herausgestrichen: Sie sind der zuständige Fachmann der SPD. Jetzt sind sechs Wochen vergangen, seit die Mordserie bekannt geworden ist. Können Sie sich denn mittlerweile mit den Informationen, mit den vielen Informationen, die Sie da wahrscheinlich bekommen haben, zusammenreimen, wie es dazu gekommen ist, dass diese Gruppe so unbehelligt morden konnte?

    Hartmann: Nein, so ganz klar ist mir das immer noch nicht, um ganz ehrlich zu sein. Ich sehe aber drei Ansatzpunkte. Erstens: Wir hatten und haben ein gesellschaftliches Klima gehabt in Teilen der Bundesrepublik, wo man vielleicht nicht gerade blind war auf dem rechten Auge, aber doch schon ein bisschen geschielt hat, weil man sich viel zu sehr an dieses hässliche Alltagsphänomen gewöhnt hat. Das ist der eine Punkt. Der zweite Punkt: Wir haben organisatorische Defizite, die Zusammenarbeit zwischen den Behörden auf Landesebene und zwischen Bundes- und Landesebene war bisher nicht gut genug. Und drittens: Wir haben nicht ausreichend gesetzgeberische Möglichkeiten, da müssen wir auch was ändern. Ich glaube, wir brauchen eine Verbunddatei, um das Stichwort hier zu nennen.

    Zagatta: Und Sie fühlen sich bisher in diesen sechs Wochen Arbeit ausreichend informiert?

    Hartmann: Ich habe nicht den Eindruck, zumindest, was die Bundesbehörden anbelangt – und das ist meine originäre Zuständigkeit -, dass da jemand mauert und sich verweigert, sondern ganz im Gegenteil. Es wird sehr offen berichtet und wissen Sie, für mich war es geradezu erlösend, so paradox das im ersten Moment klingen mag, als Heinz Fromm als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz sagte, das ist eine Niederlage der Sicherheitsbehörden. Denn erst, indem ich das zugestehe, habe ich auch den ersten Schritt gemacht, um gründlichst aufzuarbeiten. Ich sehe keine Haltung, die mauert und verweigert, aber ich sehe bei diesem Gewirr an Fakten, bei der Kompliziertheit der Lage und bei vielem Ungeklärten auch noch eine Menge an Bedarf. Ich sage Ihnen, bis wir das endgültig aufgeklärt haben, werden egal welches Gremium wir wählen nicht Wochen und Monate, sondern unter Umständen sogar Jahre vergehen.

    Zagatta: Michael Hartmann, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Hartmann, vielen Dank für das Gespräch.

    Hartmann: Sehr gerne!

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